Motivation ist der Schlüssel

Sport könnte für Menschen mit Depressionen gute Dienste leisten - wenn die Bedingungen stimmen

Am Anfang fällt der sportliche Neubeginn Menschen mit Depressionen häufig besonders schwer.
Am Anfang fällt der sportliche Neubeginn Menschen mit Depressionen häufig besonders schwer.

Laufen, Gewichte drücken, schwimmen – wer sich routinemäßig zum Schwitzen oder in eine leichte körperliche Erschöpfung bringt, kennt das gute Gefühl danach. Die Welt scheint aufgeräumter, der Elan für bekannte und neue Aufgaben ist wieder da, man fühlt sich wohl.

So ist es naheliegend, Sport auch Menschen mit einer Depression zu empfehlen. Oft sind sie antriebsarm und körperlich wenig aktiv. Walking, Joggen, Radfahren oder Wandern könnten helfen, ihre Beschwerden zu lindern. Die große Frage ist nur, wie diese Gruppe dazu gebracht werden kann, überhaupt mit dem Sport zu beginnen – oder sich auch nur mehr zu bewegen. Das nächste Rätsel ist, ob mehr Bewegung diesen Patienten wirklich etwas bringt – und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

Diesen Themen widmet sich das Projekt Step.de, dessen Ergebnisse kürzlich von beteiligten Medizinern und Vertretern der Betriebskrankenkassen vorgestellt wurden. Finanziert wurde es im Rahmen des Innovationsfonds im Gesundheitswesen. Hier können seit 2016 neue Versorgungsformen erprobt werden. Insgesamt wurde das Projekt für 48 Monate mit zwei Millionen Euro gefördert.

Besonders dringlich scheint der Ansatz deshalb, weil in Deutschland 5,3 Millionen Menschen mit einer Depression leben, von denen fast zwei Drittel unbehandelt bleiben. Letzteres liegt auch an dem Teufelskreis zwischen vergeblicher Suche nach einem Therapieplatz und der eigenen Apathie. Hinzu kommt die Scham, das Stigma einer psychischen Krankheit zu tragen. Aus den Versorgungsengpässen resultieren durch lange Arbeitsausfälle hohe Kosten.

Das konkrete Angebot unter dem Namen Step.de richtet sich an Menschen mit leichter bis mittelgradiger Depressionen. Während der Laufzeit der Studie, die kurz vor dem Abschluss steht, wurden 393 Patienten und Patientinnen betreut. Das Programm wird in kleinen Gruppen bei besonders geschulten und zertifizierten Sporttherapeuten absolviert. Dabei geht es auch darum, Eigeninitiative und Motivation zu stärken und eine Chronifizierung der Depression zu verhindern.

Vor dem Start sind einige Gespräche nötig – zuerst eine allgemeinere Beratung, dann das Erstgespräch mit einem Psychotherapeuten. Wenn klar ist, dass eine Sporttherapie passen könnte, und auch von der physischen Gesundheit her nichts dagegenspricht, folgt ein Sporteingangstest. Hier ist zu klären, wo die Teilnehmer mit ihrer Fitness stehen und von welchem Level sie starten können. Die eigentliche Therapie in der Gruppe wird in 32 Einheiten zu jeweils 60 Minuten absolviert. Bewährt haben sich zwei Termine in der Woche über vier bis sechs Monate.

Die jeweils eine Stunde dauernden Einheiten bestehen zu je 20 Minuten aus Ausdauersport, Krafttraining und Entspannungstechniken. Sport- oder Physiotherapeuten haben eine spezielle Schulung absolviert, zu Themen wie Erkennen von Notfällen, Symptomatik bei Depressionen oder auch zu einem motivierenden Umfeld.

Das Gesicht des Projekts ist bei dessen Vorstellung Patientin Daniela S. Die schwarzhaarige Frau schildert in einem Begleitfilm, wie ihre Depression aussah: Schlafprobleme, Angst und Panikattacken gehörten zum Alltag. Die Sportstunde wurde für sie zu einem Pflichttermin, bei dem sie am Anfang noch zurückhaltend war. Jedoch entstand schnell ein Austausch unter den Teilnehmern. Auch die präzise und zugewandte Betreuung durch den Trainer lernte Daniela S. zu schätzen.

Das körperliche Auspowern wurde zum Erfolgserlebnis, Anstrengung gehörte dazu. »Ich habe wieder gelacht«, erzählt sie in die Kamera. Sie habe ihr Gefühl für sich selbst wiedergefunden, was ihr zuvor mit Unterstützung durch einen Psychologen noch nicht gelungen sei. Jetzt geht es ihr besser: »Ich bin da einfach nur noch glücklich rausgegangen.«

Den positiven Fallbericht ergänzt die Begleitforschung. Für das Projekt wurden die Patienten per Zufallsauswahl entweder der Sporttherapie oder einer Psychotherapie zugeordnet. Die Effekte beider Therapien stellen sich als in etwa gleichwertig heraus. Bis die Sporttherapie in die Regelversorgung kommt, die dann für alle gesetzlich Versicherten zugänglich ist, gibt es zunächst einen Selektivvertrag zwischen drei Betriebskrankenkassen und Psycho- und Sporttherapeuten. Diesem können andere Krankenkassen beitreten. In Berlin sind an der Durchführung zum Beispiel fünf Sport-Gesundheitspark-Zentren beteiligt. Patienten können online mitmachen oder im Wechsel vor Ort und online.

Für Armin Rösl von der Deutschen Depressionsliga, einer Patientenorganisation, erklärt sich der Erfolg des Projekts vor allem aus der Gemeinschaft. »Man motiviert sich als Depressiver nicht allein«, weiß der Journalist, der bei einem Klinikaufenthalt vor elf Jahren die Sporttherapie anfangs, vor allem die Gymnastik früh am Morgen, nur als »die Hölle« empfand. Gelernt hat er daraus: »Man muss sich aufraffen. Hinlegen und Medikamente nehmen allein, das reicht nicht.«

Das Projekt Step.de hat einen Beleg dafür geliefert, dass Sport bei seelischen Krankheiten einen Beitrag zur Linderung leisten kann. Was die Motivation betrifft, so wird diese nach Meinung von Bernd Wohlfahrt, Sportmediziner an der Berliner Charité, auch von »banalen äußeren Faktoren« beeinflusst. Was ist die richtige Sportart? Ist ein Gruppentraining günstiger oder eher ein Coach nötig? Wie auch bei Krebspatienten plädiert Wohlfahrt dafür, dass Therapeuten und Übungsleiter die bestmögliche individuelle Variante finden müssen, damit der Sport zum Erfolgserlebnis wird.

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