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West-Berliner Gloria
Ein Nachruf auf die ICC-Architektin Ursulina Schüler-Witte
Eine »geballte Arbeiterfaust, die sich in den Himmel streckt«, das wollte Wolfgang Böttger in den 70er Jahren in den Entwürfen des Steglitzer Bierpinsels sehen. Der damalige Generalkonsul von Haiti in West-Berlin, wollte »die Russen«, also die Handelsorganisation der Sowjetunion, davon überzeugen, in dem ikonischen Turm über der Schloßstraße Luxusgüter wie Krim-Sekt, Kaviar oder Nerzfelle zu verkaufen und ein russisches Spezialitätenrestaurant einzurichten. Die Architektin des einst rot-orangen Bauwerks, Ursulina Schüler-Witte, schilderte diese Geschichte in ihrer 2015 erschienenen Autobiografie.
Schüler-Witte ist 89-jährig bereits im Mai verstorben, bekannt wurde dies erst durch eine vor wenigen Tagen erschienene Traueranzeige der Berlinischen Galerie, die den schöpferischen Nachlass und den ihres Mannes Ralf Schüler, der bereits 2010 im Alter von 80 Jahren gestorben ist, verwaltet.
Damit wird Ursulina Schüler-Witte leider nicht mehr erleben, wie eines der beiden Hauptwerke des Architekten-Ehepaares in neuem Glanz wiederersteht. 2024 sollen der 1974 eröffnete U-Bahnhof Schloßstraße und der 1976 fertiggestellte Turm, der schnell den Namen Bierpinsel weghatte, endlich saniert sein. Seit Jahrzehnten befindet sich der Bahnhof mit zwei Gleisebenen – hier hätte die zu West-Berliner Zeiten geplante U10 fahren sollen – in einem traurigen Zustand. Die futuristischen tiefblauen, rot-orangen und gelben Einbauten und Wandverkleidungen auf rauem Sichtbeton herausgerissen oder ruiniert. Die Architektin kämpfte 2016 mit ihrem Urheberrecht gegen unsensible Sanierungspläne der Berliner Verkehrsbetriebe; das Landesdenkmalamt setzte dem Treiben 2017 mit einer Unterschutzstellung ein Ende.
Der ebenfalls futuristische Turm, dessen Bau das Architektenpaar zusätzlich zum Auftrag für die Gestaltung des U-Bahnhofs durchsetzte, steht seit fast 15 Jahren leer, die verblichene Fassade wurde 2011 mit Street-Art-Motiven bemalt. »Grauenhaft« nannte das Schüler-Witte und drohte mit einem Rechtsstreit.
Doch dafür hätte die Witwe wohl auch gar kein Geld gehabt. Sie lebte 2016, als sie »nd« zu einem Gespräch zu den Querelen rund um die Steglitzer Schloßstraße empfing, schon seit Jahren in einer kleinen landeseigenen Zwei-Zimmer-Wohnung in Wedding. Das hing mit dem größten und bekanntesten Bauwerk des Architekten-Ehepaares zusammen, dem Internationalen Congress-Centrum (ICC) zu Füßen des Berliner Funkturms. Der 313 Meter lange, 89 Meter breite und fast 40 Meter hohe Kolossalbau am Ende der Avus ist von den Berlinern mit zahlreichen, deutlich weniger piefig-schmeichelhaften Spitznamen als der Turmbau zu Steglitz bedacht worden, unter anderem »Panzerkreuzer Charlottenburg«.
Bei der Fertigstellung 1979 schlug das in nur vier Jahren erbaute Gebäude mit der damals unfassbaren Summe von fast einer Milliarde D-Mark zu Buche – mehr als das Dreifache der ursprünglich veranschlagten Baukosten. Die erste Kostenberechnung von 289 Millionen DM lieferte die Neue Heimat Städtebau, die den Zuschlag für die Realisierung erhielt. »Völlig unrealistisch«, sagte Schüler-Witte zur anfänglichen Kalkulation des Konzerns, der im Besitz des Gewerkschaftsbundes DGB gewesen war, bevor er nach Aufdeckung des Neue-Heimat-Skandals 1982 unterging. Für das realisierte Raumvolumen von 850 000 Kubikmetern sei der Preis »nicht zu beanstanden« gewesen, so die Architektin. Langwierige und teure Rechtsstreitigkeiten im Nachgang ruinierten das Paar finanziell nachhaltig.
Wie das Architektenpaar zu dem silbergrauen Äußeren des »Raumschiffs« – so ein weiterer Spitzname des Gebäudes – kam, darüber mag das Vorwort des Rückblicks auf das Leben und Schaffen von Ursulina Schüler-Witte und ihrem Mann einen Einblick geben. »Es war im März 1936, als Ralf Schüler an der Hand seines Vaters am Potsdamer Platz stand und fasziniert in den Himmel sah, an dem zwei riesige silberglänzende Luftschiffe (…) majestätisch über der Stadt kreisten«, schrieb die Architektin. »Die Faszination dieses Anblicks sollte Ralf sein Leben lang nicht vergessen.« Die Erkenntnis, dass die von Schüler »als vollkommen empfundene Schönheit« auf der »Übereinstimmung der vollendeten Form mit ihrer genialen Konstruktion beruhte«, habe diese Liebe viel später vertieft und definiert.
Das ICC war ein großartiges Gesamtkunstwerk des Architektenpaars. Vom Konferenzsaalstuhl über das Leitsystem aus farbigen Neonröhren bis zu den Teppichböden hatten die beiden alles selbst entworfen. Doch der Messegesellschaft wurden der Betrieb und vor allem die Sanierung des Gebäudes zu teuer, im April 2014 fand mit einer Aktionärsversammlung die letzte Großveranstaltung statt. Bis heute ist die Zukunft des herausragenden Baus ungeklärt, der in einer Reihe steht mit internationalen Architektur-Ikonen. »Es gibt so viele Baustellen, um die ich mich gerade kümmern muss«, seufzte Ursulina Schüler-Witte 2016. Immerhin hatte sie 2019 noch erlebt, dass auch das ICC unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Weniger bekannt ist, dass das Architektenpaar auf eigene Kosten 1987 im Tiergarten Mahnmale für die 1919 ermordeten Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aufstellen ließen. An den Ort von Liebknechts Ermordung erinnert eine Ziegelstele am Neuen See. Die skulpturalen gusseisernen Lettern Rosa Luxemburg markieren jene Stelle, an der ihr Leichnam einst in den Landwehrkanal geworfen wurde. Beim reaktionären Teil der West-Berliner Bevölkerung wurde es als Zumutung bezeichnet, »wenn in unserer eingemauerten Stadt Kommunisten geehrt werden«.
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