Soziales Pflichtjahr für die FDP

Wenn Jugendliche nach der Schule im Altersheim wertvolle Erfahrungen sammeln, tun sie das für sich und die Menschen, nicht für einen Staat, dem man angeblich etwas schuldet, findet Christoph Ruf.

Debatte um Pflichtdienst – Soziales Pflichtjahr für die FDP

Natürlich darf auch der olle Kennedy nicht fehlen, wenn die Nation über Sinn und Zweck eines sozialen Pflichtjahres debattiert: »Frag nicht, was dein Land für dich tun kann. Frag, was du für dein Land tun kannst.« Ulrich Wickert hat diese historische JFK-Sentenz tatsächlich völlig affirmativ in der »Süddeutschen Zeitung« zitiert und danach ein flammendes Plädoyer dafür gehalten, dass Jugendliche doch bitte künftig nach dem Abitur ein Jahr lang etwas Sinnvolles tun mögen: Pflege, Krankenhaus, Altersheim, aber auch Umweltschutz und Entwicklungsdienst. Um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Vor allem aber, weil sie nach dem Abitur oft eh orientierungslos seien und sich die Frage nach dem Sinn aus sich selbst heraus nicht beantworten können. »Dann würden sie nicht mehr nach dem Sinn des Lebens fragen. Denn sie hätten ihn bereits gefunden«, meint Wickert.

Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Wobei ich das alles gar nicht ausschließlich ins Lächerliche ziehen möchte, denn in der Argumentation steckt bei allem großbürgerlichen Urvertrauen in einen per se offenbar guten »Staat«, für den man etwas »tun« müsse, viel Richtiges. Zunächst einmal die Beobachtung eines bestimmten Typus von Jugendlichen. Es gibt sie, die Menschen, die keine Diskussion führen können, die länger als zehn Sekunden dauert, die ihre Wäsche von den Eltern waschen lassen. Und die dann praktischerweise auch gleich fragen, wen sie wählen sollen, wenn die Zeit fehlt, um im »Wahlomat« zu schauen, was die Buchstabenkombination »C-D-U« denn wohl bedeutet. Zum Dank überbrücken die Eltern dann finanziell die lange Zeit zwischen Abitur und dem Moment, an dem der Nachwuchs einsieht, dass es doch die beste Idee ist, das Geschäft des Vaters zu übernehmen. Was also spräche dagegen, vorher noch ein Jahr im Pflegeheim oder bei der Vogelstation an der Nordseeküste einzubauen? Individuell wären das gute Erfahrungen, und sie brächten »der Gesellschaft« etwas. In dem Fall also der bettlägerigen Seniorin oder dem bedrohten Seeadler.

Womit wir beim Problem am Kennedy-Satz wären, denn der Staat ist im Gegensatz zum inkontinenten Opa nichts, dem man etwas schulden würde. Weshalb es auch viele Gründe gibt, als politisch denkender Mensch das Pflichtjahr abzulehnen. Warum sollte man in die Bresche springen, wenn ein Land, das einen immensen Reichtum so ungerecht verteilt wie Deutschland Millionen von Stellen im pädagogischen und sozialen Bereich so miserabel bezahlt, dass viele, die eigentlich gerne dort arbeiten würden, sich anderen Berufen zuwenden? Und auch die plan- und orientierungslosen Teenager sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Produkt des Erziehungsstils vieler Eltern, die den Helikopter kreisen lassen, bis das Kind aus dem Haus ist. Also mit 25. Sie sind aber auch das Resultat einer Politik, die Wirtschaftsförderung mit Bildungspolitik verwechselt und deshalb 2012 das achtjährige Gymnasium eingeführt hat, das in manchen Bundesländern immer noch die Regel ist. Und zwar nicht aus pädagogischen Gründen, sondern, weil sie in einer Hochphase des Neoliberalismus auf das Wehklagen der Wirtschaftsverbände hereingefallen ist. Die hatten gejammert, dass der Nachwuchs im internationalen Maßstab viel zu spät seine bald 50-jährige Berufslaufbahn beginne und es doch tatsächlich noch 22-Jährige gebe, die ein Buch lesen, dessen Nutzen sich nicht unmittelbar in den Dax-Parametern widerspiegelt.

Doch auch wenn man diesem Staat sicher nichts im Kennedy’ schen Sinne schuldet – allein die Tatsache, dass Christian Lindner sich so vehement gegen ein soziales Pflichtjahr ausspricht, ist ein Beleg dafür, dass es eine gute Idee sein muss. »Es bleibt Freiheitsentzug, Volkserziehung und Verschwendung von Lebenszeit«, hat er als Chef einer Partei getwittert, die keine Gesellschaft mehr kennt, sondern nur noch Individuen. Eines steht somit fest: Ein soziales Pflichtjahr für die FDP wäre eine ganz hervorragende Idee.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -