Frei assoziiert?

Über kollektives Arbeiten in den Künsten

Bienen können gut im Kollektiv arbeiten, haben aber mutmaßlich keinen Kunstbegriff.
Bienen können gut im Kollektiv arbeiten, haben aber mutmaßlich keinen Kunstbegriff.

Jede Ausgabe der Documenta hat ihre Kontroversen ausgelöst. Die Debatte über das Unvermögen, antisemitische Kunstwerke als solche zu erkennen und entsprechend nicht öffentlich auszustellen, überschattet noch immer die Frage nach der Praxis des Kuratorenkollektivs, das hinter dem Spektakel steht. Dabei ist jene nicht minder diskussionswürdig. Schon Adam Szymczyk, Kurator der vorangegangenen Documenta-Ausgabe, verfolgte einen Ansatz, der sich von großen Künstlerpersönlichkeiten abwandte und stattdessen das gemeinsame Entwickeln ethischer Praktiken und die Artikulation von Erfahrungen gesellschaftlicher Minderheiten in den Vordergrund stellte – um so eine bessere Welt zu entwerfen.

Das aktuelle Kuratorenkollektiv Ruangrupa aus Indonesien spitzt diese Prämisse noch weiter zu: Unter dem Titel »Lumbung«, was Reisscheune bedeutet und auf eine alte Tradition des Ernteteilens der Bauern verweist, soll es explizit um Kollektivität, Ressourcennutzung und globale Gerechtigkeit gehen. Das Erproben neuer Formen der Gemeinschaft steht im Zentrum des kuratorischen Konzepts: So kann es für Ruangrupa etwa schon Kunst sein, wenn man zusammen feiert. Gemeinsam etwas zu tun, das scheint Hauptzweck dieser Schau zu sein. Ist das ein Fortschritt?

Das Zusammendenken von Kunst und Gemeinschaft ist nicht neu. Sämtliche Avantgarden des 20. Jahrhunderts waren davon auf ihre Weise getragen. Die Kunst sollte den Weg in eine bessere Gesellschaft ebnen. Im Kollektiv sollte die Menschheit sich den russischen Konstruktivisten zufolge befreien und die Gesellschaft im Sinne des Kommunismus rationaler einrichten. Den französischen Surrealisten ging es eher um Anarchie, um die Befreiung des Einzelnen aus dem gesellschaftlichen Zwang; darum, die Tat eines Individuums nicht als notwendige Folge seiner Umstände zu begreifen, sondern als völlig frei von Motiven und Zwecken.

Trotz dieser jeweils geteilten Utopie der Mitglieder einer Avantgarde-Bewegung blieb das künstlerische Arbeiten meist doch auf Einzelne beschränkt. Dieser praktische Individualismus passte zu den populären Formen: Ein Roman schreibt sich nicht gut zusammen, und auch ein Bild malt man wohl am besten allein. Zu sehr scheint das gemeinschaftliche Arbeiten einen (schlechten) Kompromiss zu verlangen.

Einen neuen Ansatz bot die von den Ideen der Situationisten beeinflusste Performancekunst, die in den 60er Jahren zum Begriff wurde. Dabei geht es gerade nicht um das vollendete Werk, sondern um den Prozess. Performancekünstler stellen unweigerlich die Grenze zwischen sich und dem Publikum infrage. Das Leben selbst solle zur Kunst werden, so die Situationisten. Wie weit kann man den Kunstbegriff ausdehnen? Und wie sehr den autonomen Künstler verschwinden lassen? Dass der Fokus auf Kollektivität im Fall von Ruangrupa auch zu einer fehlenden Verantwortungsübernahme führte, konnte man in Kassel beobachten.

Als René Pollesch im vergangenen Jahr die Intendanz der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz übernommen hatte, geisterte durch die Feuilletons die Behauptung von der kollektiven Leitung. Mehr linker Schein als Sein. Im Theater, naturgemäß eine sehr arbeitsteilige Angelegenheit, wird die Debatte um Künstlerkollektive seit gut 100 Jahren intensiv geführt, ohne sich, wie heute angesichts von Machtmissbrauchsfällen üblich, auf Fragen der Leitung einer Institution zu beschränken. Während Helden und ihre Antagonisten von der Bühne verschwinden und Massendarstellungen Platz machen sollten, wurde auch die künstlerische Produktion selbst überdacht. Das Kollektive sollte das überkommene »Künstlergenie« ersetzen.

Wie kann das aussehen? Aus der »Werkstatt Brecht« kommen Anregungen, die uns eine Richtung weisen. Es war das kreative Zusammenwirken mehrerer Künstlerpersönlichkeiten in immer neuen Konstellationen unter der Maßgabe, dass die verschiedenen Begabungen sich gegenseitig beflügeln, das einen Teil der Brecht’schen Theaterrevolution ausmachte. Die Mär vom ausbeuterischen Frauenfresser Brecht ignoriert, wie oft er selbst nur zuliefernder Mitarbeiter war, dessen Name in kleinen Lettern genannt wurde.

Einen anderen Weg ist Jean-Luc Godard gegangen, als er Ende der 60er Jahre Teil der »Groupe Dziga Vertov« wurde; hier verschwanden die einzelnen Filmemacher hinter dem Kollektiv. Reden wir von kollektivem Arbeiten, kann es nicht um eine Verneinung persönlicher Verantwortung gehen und auch nicht um eine bürgerliche Vorstellung von irgendwie gleichen Anteilen verschiedener Beteiligter, die voraussetzt, das eigene enge Demokratieverständnis stünde über dem ästhetischen Produkt.

Der Begriff des Kollektiven genießt keinen Schutz, kann genauso gut zur hohlen Phrase degradiert werden wie zur Chiffre für neoliberale Arbeitsprozessoptimierung verkommen. Umso wichtiger ist es, über Möglichkeit und Unmöglichkeit kollektiven Arbeitens in den Künsten aus linker Perspektive zu streiten. Keinem richtigen Leben im falschen reden wir den Mund, aber einer Kunst, die sich weitestmöglich den spätkapitalistischen Realia zu entziehen versucht und ihnen vielleicht sogar zuwiderläuft.

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