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Alte Fronten, bekannte Konflikte
In der Debatte zum Infektionsschutzgesetz wird erneut um Details weniger Maßnahmen gerungen
Die Videokonferenz der Gesundheitsminister der Länder am Mittwoch hat noch einmal Schwung in die Debatte um die Pandemiemaßnahmen gebracht. Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte zum neuen Infektionsschutzgesetz reichten nämlich etlichen Fachministern nicht aus.
Ein Kritikpunkt betrifft die Frage, wie lange die Impfung vor der möglichen Maskenpflicht ab Herbst bewahren kann. In den Vorgaben des Bundes soll es ab Oktober noch um Maskenpflichten für Fernbahn und Flugzeug sowie für Gesundheitseinrichtungen gehen. Alle anderen »öffentlichen Innenräume«, darunter in der Gastronomie, bei Veranstaltungen und im Nahverkehr, können die Bundesländer selbst regeln. Die Maskenpflicht dort sollte aber Ausnahmen ermöglichen, wenn es einen aktuellen negativen Test oder einen Genesenen- oder Impfausweis gibt, der nicht älter als drei Monate ist.
Bei dieser Vorgabe tauchen mehrere Probleme auf: Wer vor Wochen geimpft wurde, kann durchaus auch wieder infektiös sein. Dass diese Personen dann im möglichen Gedränge ohne Masken unterwegs wären, wirft Fragen auf, zumal eine Maskenpflicht in der Gastronomie sowieso nicht durchgehalten werden kann, wenn Menschen den ein oder anderen Schluck oder Happen zu sich nehmen. Eine andere Schlussfolgerung aus der Vorgabe einer höchstens drei Monate alten Impfung ist gravierender: Wie ist diese Regel für Menschen umzusetzen, die bereits zweimal geboostert sind? Das sind schon jetzt 6,8 Millionen Menschen. Sollten im September dann mehrere neue Vakzine gegen die Omikronvariante zugelassen werden, entstünde insbesondere für sie der Druck, sich im Herbst erneut impfen zu lassen, womöglich ohne den medizinisch gebotenen zeitlichen Abstand von sechs Monaten zur letzten Impfung.
Über Impfungen wird in den Eckpunkten zum neuen Infektionsschutzgesetz nur indirekt gesprochen. Nicht nur, dass die allgemeine Impfpflicht demnach obsolet ist, auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht findet so wenige Anhänger, dass selbst sie auf schwachen Füßen steht, es sei denn, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will sich die Option für die Pandemiemaßnahme je nach weiterem Verlauf der Sommerwelle noch offenhalten, um sie kurz vor der Verhandlung im Bundestag einzubringen. Im Moment lässt er anderes verlauten: Es könne ja gerne nach der Vorgabe der Ständigen Impfkommission (Stiko) gehen, aber diese müsse ihre Empfehlung aktualisieren, wer eine vierte Impfung brauche.
Schon vor dem Ministertreffen hatte Lauterbach in Sachen Impfung einen nicht mehr allzu harten Ton angeschlagen. Noch im Juli hatte er gesagt, dass vier Impfungen auch für jüngere Menschen in bestimmten Fällen sinnvoll sein könnten. Jetzt, möglicherweise in Zweifel versetzt durch die gerade durchgestandene eigene Corona-Infektion nach vier Impfungen, will der Minister nichts mehr davon wissen. Unzufrieden mit einer solch sprunghaften Kommunikation ist unter anderem Stiko-Mitglied Rüdiger von Kries, der im Live-Stream der »Welt« klare Worte fand: »Es gibt zurzeit keine Notwendigkeit, blitzschnell zu handeln. Es gibt keinen Grund, warum Lauterbach sich zu impfrelevanten Fragen äußert, bevor die Stiko sich mit diesen befasst hat.« Die Unabhängigkeit des Gremiums sei ein hohes Gut und dürfe nicht in Frage gestellt werden.
Dass in den Eckpunkten zum Infektionsschutzgesetz stärkere Maßnahmen wie ein Lockdown oder Schulschließungen nicht erwähnt sind, ist offenbar Justizminister Marco Buschmann (FDP) zu verdanken. So überrascht es wenig, dass Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (ebenfalls FDP) am Mittwoch flächendeckende Schulschließungen für die kommenden Monate ausschloss. Kritik aus einigen Bundesländern an den Vorschlägen zum Gesetz wies sie zurück: Die Landesregierungen hätten jede Möglichkeit, sich für ihr Bildungswesen Regeln zu geben. Sie könnten und sollten dies schon jetzt vorbereiten.
Im virtuellen Treffen der Gesundheitsministerinnen gab es am Dienstagnachmittag keinen offenen Streit. Die christdemokratischen beziehungsweise -sozialen Vertreter von Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein meldeten zwar ihre Bedenken zu dem Vorschlag mit den Impfungen an, wie von Anwesenden kolportiert wurde. Ansonsten herrschte eher eine entspannte Atmosphäre. Im Nachgang zeigte sich Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) enttäuscht: Bundesgesundheitsminister Lauterbach habe kein Interesse an Nachbesserungen und Präzisierungen beim Infektionsschutzgesetz gezeigt.
Am Mittwoch meldeten jedoch auch SPD-Politiker Nachbesserungsbedarf an. So monierte der rheinland-pfälzische Gesundheitsstaatssekretär Denis Alt, dass Kriterien fehlten, nach denen Maßnahmen umsetzbar wären. Auch sei unklar, wie insbesondere die vorgesehenen Ausnahmen von der Maskenpflicht in Innenräumen kontrolliert und umgesetzt werden könnten. Bislang ist seitens des Bundes die Rede davon, dass dafür die Corona-Warn-App umprogrammiert werden könnte. Laut Alt ist man in den Ländern von dieser Möglichkeit nicht überzeugt, da nicht jeder die App nutze oder überhaupt ein Smartphone habe.
Der Entwurf für das Infektionsschutzgesetz, das von Oktober an gelten solle, befindet sich noch in einem frühen Stadium. Mitte August soll er im Bundeskabinett behandelt werden.
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