Der Wahrheitssucher

Das Gesicht als Kunstwerk: Eine Ausstellung im brandenburgischen Trebnitz zeigt Porträtarbeiten von Gustav Seitz

Bertolt Brecht und Thomas Mann: Zwei sehr ungleiche Plastiken von Gustav Seitz zweier sehr ungleicher Künstler
Bertolt Brecht und Thomas Mann: Zwei sehr ungleiche Plastiken von Gustav Seitz zweier sehr ungleicher Künstler

Betritt man das Gustav-Seitz-Museum, das nun seit fünf Jahren in der Märkischen Schweiz beheimatet ist, sieht man sich seit Eröffnung der aktuellen Sonderausstellung »Zwischen Abbild und Wahrheit« zunächst dem Kopf des »Mongolen« gegenüber, einer Büste, die Gustav Seitz 1925, erst 19-jährig, anfertigte. Es handelt sich dabei um sein Bewerbungsstück für einen Studienplatz an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin-Charlottenburg.

Man erkannte offenbar das Talent, das diese Arbeit versprach, sah wohl den feinen Blick für die mimischen Details, in denen der junge Künstler sich dennoch nicht verlor. Man ahnt hier bereits den großen Bildhauer der kommenden Jahrzehnte, der sich nicht vor Reduktion scheute.

Von diesem ersten Kopf bis zum letzten, einer Plastik nach dem Gesicht des Kunsthistorikers Alfred Hentzen aus dem Jahr 1969, Seitzens Todesjahr, darf man hier einer Bildhauerlaufbahn folgen. Insgesamt 25 Figuren sind zu bewundern, flankiert von zeichnerischen Vorarbeiten, kurzen Ausstellungstexten und Tagebuchnotaten des Künstlers.

Es ist nicht einfach, einen Überblick zu geben angesichts der Vielzahl von Porträts, die Seitz geschaffen hat. Die Ausstellung führt durch verschiedene Werkgruppen: angefangen bei den frühen Arbeiten über die Darstellungen der Schriftstellerbrüder Mann und verschiedener Künstlerkollegen bis zu Eindrücken von seiner Asienreise und den zahlreichen Frauenporträts.

Die Plastiken geben nicht allein Zeugnis von einer hohen künstlerischen Qualität, von einem Festhalten an der figürlichen Darstellung allen künstlerischen Moden zum Trotz und von großem sinnlichen Ausdruck. Sie schaffen auch ein Porträt anderer Art des Künstlers selbst. Über die Arbeiten erfährt man von seinen Weggefährten, von seinem schweren Weg von Ost nach West, ähnlich dem seines Freundes Ernst Bloch, dessen Büste in Trebnitz ebenfalls bestaunt werden kann.

Hervorstechend ist die große Darstellung von Thomas Mann – eine Auftragsarbeit. Majestätisch wirkt der Fürst des bürgerlichen Realismus. Man erahnt, wie wenig nah die beiden Persönlichkeiten sich waren. Dieses Bild komplettieren die Tagebuchaufzeichnungen, die in der Ausstellung nachzulesen sind. Seitz war wohl froh, als die Sitzungen mit dem Literaten ein Ende fanden. Ganz anders ist es bei Brecht, der Seitz in seiner künstlerischen Arbeit, aber auch im Persönlichen und in seinem ambivalenten Verhältnis zur DDR viel eher glich. Der grundsympathische, einnehmende Brecht-Kopf ist eine nachgeholte Beschäftigung mit dem Freund. Er entstand erst nach dem frühen Tod des Theatermannes.

Auf der Suche nach dem Markanten in den Gesichtern von Seitz’ Porträtobjekten fallen die drei ungleichen Herren Tadeusz Kantor, Bertolt Brecht und Otto Manigk heraus, deren Nasen gleichermaßen eine fast unnatürlich schiefe Darstellung finden. Seitz’ unbestechlicher Blick auf sein Gegenüber, die Erkenntnis freilegende Konzentration auf einzelne Merkmale und der Mut zur sinnstiftenden Zurückhaltung und Auslassung sind es, die den Plastiken mehr Wahrheit verleihen, als es jede detailgetreue und fotografiegleiche Abbildung könnte. Der schlichte Ausstellungstitel weist dem Besucher den Weg: Wir haben es hier mit einem Künstler zu tun, also einem, der die Wahrheit sucht.

»Zwischen Abbild und Wahrheit – die Porträtkunst von Gustav Seitz«, bis 26. März 2023, Gustav-Seitz-Museum, Trebnitz.

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