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  • Christoph Martin Wieland

Er lehnt sich auf gegen alles

Wie Weimar berühmt wurde: Vor 250 Jahren mit dem Dichter und Prinzenerzieher Christoph Martin Wieland

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 7 Min.
WWW klassisch: Wieland weiland in Weimar
WWW klassisch: Wieland weiland in Weimar

Er hatte an eine Anstellung am Wiener Hof gedacht, aber daraus wurde nichts. Maria Theresia ließ sich zu einer Reaktion nicht herab. Er war zwar eine europäische Berühmtheit, doch er war auch Protestant, und außerdem galt er als sittenloser Freigeist. Aber da gab es, nicht weit von seiner inzwischen ungeliebten Wirkungsstätte Erfurt entfernt, das kleine und eher bedeutungslose Weimar, ein Sechstausend-Seelen-Nest mit überwiegend ländlicher Bevölkerung. Und dort, in der Wilhelmsburg, Regierungssitz des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, suchte die junge, früh verwitwete Regentin Anna Amalia einen Lehrer für ihre beiden minderjährigen Söhne, vor allem den älteren Carl August.

Die Wahl fiel auf Christoph Martin Wieland, den Dichter und schlecht bezahlten Erfurter Philosophieprofessor, der im November 1771 zu ersten Gesprächen mit der Herzogin geladen wurde. Noch war Deutschland keine Nation, es gab keine Hauptstadt, und es gab auch kein kulturelles Zentrum. Das sollte sich ändern. Am 28. August 1772 wurde das offizielle Dekret unterzeichnet, mit dem Wieland als Prinzenerzieher ins Amt eines Sächsisch-Weimarischen Hofrats wechselte. Drei Wochen später, kurz nach seinem 39. Geburtstag, zog er von Erfurt nach Weimar. Hier gab es eine kunstsinnige Fürstin und, einmalig in Deutschland, ein Theater, »welches Jedermann dreimal in der Woche unentgeltlich besuchen darf«, wie er schrieb.

Christoph Martin Wieland, 1733 in der Nähe des schwäbischen Biberach geboren, war der erste Schriftsteller von Rang, der ins thüringische Städtchen zog und damit Weimars Blütezeit einleitete. Drei Jahre nach ihm, 1775, kam, eingeladen vom nun regierenden Carl August, Goethe, 1776, auf Betreiben Wielands und Goethes, Herder und zuletzt, Ende 1799, nach seiner Zeit in Jena auch Schiller. Auf den liebenswürdigen, schmächtigen Wieland blickte man damals überall in Deutschland. Und nicht nur dort. Napoleon bat ihn 1808 zu einem anderthalbstündigen Treffen nach Erfurt und verlieh ihm das Kreuz der französischen Ehrenlegion. Er war ein populärer, weltoffener und menschenfreundlicher Geist, seiner Zeit immer ein Stückchen voraus, ein graziöser, fleißiger und ungemein vielseitiger Autor, von den Musen betäubt, wie Jean Paul achtungsvoll rühmte. Ein Gesellschaftskritiker und glänzender Kenner der Antike, der erste Übersetzer von Bedeutung, der 22 Stücke Shakespeares ins Deutsche brachte und dann auch noch den geliebten Horaz sowie den Spötter Lukian. Seine frivolen Verserzählungen, die Satiren, Märchen, philosophischen Causerien und politischen Dialoge, den von Lessing gepriesenen Roman »Geschichte des Agathon« und die »Abderiten«, eine in Griechenland angesiedelte Schildbürgergeschichte, riss man sich in seinen besten Zeiten aus den Händen.

Erst als die Jungen sich aufmachten, die literarische Bühne zu erobern, kam er allmählich aus der Mode. Dann steckten sich die Poeten des Göttinger Hainbunds, die ihn für unchristlich hielten und genervt waren von seiner Allmacht, mit den Seiten seines romantischen Gedichts »Idris und Zenide« die Pfeifen an, die Romantiker höhnten respektlos nach Kräften, und der 25-jährige Goethe, einer der wilden Stürmer und Dränger, verfasste eine Farce mit dem Titel »Götter, Helden und Wieland«. Hinterher kam er aus dem Staunen nicht heraus, denn der Geschmähte beschämte ihn. Er schlug nicht zurück, sondern rühmte das kleine Werk als »ein Meisterstück von Persiflage und sophistischem Witze«. Von da an war auch Goethe auf seiner Seite.

Wieland war jetzt Hofrat, verantwortlich für die geistige Prägung des Erbprinzen Carl August (der später nicht müde wurde, seinen Erzieher zu loben) und zugleich demonstrativ bemüht, seine bürgerliche Unabhängigkeit zu wahren. »Die Hofluft«, erklärte er, »soll mich, wie ich hoffe, nicht anstecken«, und seine Feinde und Missgönner sollten auch das Vergnügen nicht haben, dass er Grundsätze, die er gerade in seinem Roman »Der goldene Spiegel« (1773) formuliert hatte, verraten werde. »Mit einem Worte«, hatte er dort geschrieben, »wehe dem Volke, dessen Beherrscher nicht lieber der Beste unter den Menschen als der Mächtigste unter den Königen seyn möchte!« Dabei war Weimar das Beste, was ihm passieren konnte: Nach drei Jahren war sein Schüler Carl August volljährig und wurde regierender Herrscher, und er konnte sich fortan, ausgestattet mit einer lebenslangen Pension, ganz seiner literarischen Arbeit widmen. Sie hatte für ihn ohnehin oberste Priorität.

Was man später ins Phänomen Weimarer Klassik fasste, begann 1773 mit der Uraufführung der »Alceste«, der ersten »Oper in deutscher Zunge«, Wielands Bearbeitung eines antiken Stoffs für ein kleines Ensemble (mit der Musik von Anton Schweitzer), sowie der Gründung einer Zeitschrift, die, von ihm schon lange geplant und in den Grundzügen bereits konzipiert, als Publikation für das gesamte Deutschland gedacht war. »Das Ding soll, um das, was es ist, gleich an der Stirn zu führen«, schrieb er im September 1772, »der deutsche Merkur heißen.« Die Monatsschrift, die seit 1790 den Titel »Neuer Teutscher Merkur« führte, holte den Weltgeist nach Weimar und hat seit 1773 fast vier Jahrzehnte lang die Leser mit allem versorgt, was zur Meinungsbildung eines aufgeklärten Publikums notwendig war. Berichtet wurde über neue Bücher, Autoren und Philosophen, über Immanuel Kant und seine Lehre, über das Weimarer Theater, andere Länder und, so umfassend wie nirgendwo sonst, die politischen Ereignisse in Frankreich nach der Revolution. »Der Teutsche Merkur« hat seinen Erscheinungsort Weimar in die deutsche Literatur eingeführt und der Stadt internationale Beachtung beschert.

Als das Jahrhundert zur Neige ging, zog es Wieland ins Freie. »Ich muß aufs Land«, schrieb er 1796. Eine Weile reiste er herum, prüfte die Angebote, dann war der Alterssitz gefunden, ein Rittergut in Oßmannstedt, etwa zehn Kilometer von Weimar entfernt. Wieland zahlte 22 000 Reichstaler und zog, »höchlich vergnügt«, im zeitigen Frühjahr 1797 mit Frau, zwei Söhnen, vier Töchtern und Enkelkindern um.

Er war inzwischen auf dem Höhepunkt seines Ruhms. »Wieland«, hatte Weimars Unternehmer Bertuch an den Leipziger Verleger Georg Joachim Göschen schon im November 1793 geschrieben, »ist nun ohnstreitig der erste klassische Dichter der Nation; man wird ihn immer kaufen, und jeder Teutsche, der nur ein paar Dutzend Bücher sammelt …, wird seinen Wieland so gut haben müssen, wie der Franzoß seinen Voltaire und der Engländer seinen Milton und Pope hat.« Das war mit dem Blick auf das spektakulärste Unternehmen geäußert, das sich damals denken ließ, das in Deutschland noch nie Dagewesene: Göschens kühnes Projekt einer Sammlung sämtlicher Wieland-Werke in vier verschiedenen Formaten und Ausstattungen, von der Klein-Oktav- bis zur luxuriösen Quartausgabe. So etwas gab es bisher nur in Frankreich. Göschen liebte Wieland, und er widmete ihm eine Edition, wie es sie in dieser Form auch später nie wieder gab. Und das Schöne war: Das Lesepublikum liebte ihn auch.

Nach Oßmannstedt, wo Wieland seinen großen Altersroman »Aristipp und einige seiner Zeitgenossen« schrieb und sich um das »Attische Museum«, seine neue Zeitschrift, kümmerte, kamen sie irgendwann alle: der Herzog, Goethe und Sohn August, Herder, Jean Paul, Göschen, Clemens Brentano, Savigny, Ernst Moritz Arndt, Seume, der Berliner Bildhauer und Grafiker Schadow, dazu Besucher aus vielen europäischen Ländern. Im kalten Januar 1803 kam für sechs Wochen auch der 25-jährige Kleist, ein liebenswerter, wenngleich schwieriger Gast. Hinterher schrieb er: »Ich habe das Haus mit Thränen verlassen, wo ich mehr Liebe gefunden habe, als die ganze Welt aufbringen kann.« Es kam auch Sophie von La Roche mit ihrer Enkelin Sophie Brentano, eine 23-jährige kluge und sensible Schöne, die von Wieland, seiner Bibliothek, der Lindenallee im Park so begeistert war, dass sie alleine wiederkam, als seine »Seelen- und Herzenstochter«. Sie wechselten Briefe und unterhielten sich über seinen »Aristipp«. Doch plötzlich, Anfang September 1800, erkrankte sie und starb Ende des Monats. Sie wurde im Park, unten an der Ilm, begraben. Dort ruht seit 1801 auch Wielands Frau. 1803 gab der trauernde und entmutigte Wieland Oßmannstedt auf und zog zurück nach Weimar in ein Haus am Platz vorm Theater (das nicht mehr existiert).

Am 20. Januar 1813 starb auch er. Begraben hat man ihn neben den beiden Frauen im Park von Oßmannstedt. Goethe, der nie zu Beerdigungen ging, war nicht dabei. Aber er hat, seit seiner Ankunft in Weimar voller Sympathie für den Alten, bald danach zu Wielands Andenken in der Trauerloge gesprochen. »Er lehnt sich auf gegen alles, was wir mit dem Wort Philisterei zu begreifen gewohnt sind«, sagte er da, »gegen stockende Pedanterie, kleinstädtisches Wesen, kümmerliche äußere Sitte, beschränkte Kritik, falsche Sprödigkeit, platte Behaglichkeit, anmaßende Würde, und wie diese Ungeister, deren Name Legion ist, nur zu bezeichnen sein mögen.«

Arno Schmidt, der 1956 in einem seiner großen Radioessays Wielands Leistung und Bedeutung würdigte und mit Hingabe für den inzwischen Vergessenen warb, war 1939 das erste Mal in Oßmannstedt, diesem bedeutsamen literarischen Ort, und wiederholte den Besuch 1958. Er meinte, jeder Deutsche müsse einmal im Leben hierherkommen.

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