- Berlin
- Energiekrise
Niemand soll abrutschen
Der Bund hat mit seinem Entlastungspaket vorgelegt. Nun streitet das Land Berlin um zusätzliche Absicherungen
Rund 65 Milliarden Euro will der Bund in die Hand nehmen, um zu entlasten und die Folgen steigender Preise abzufedern. Das Land Berlin, das versprochen hat, die Maßnahmen des großen Bruders zu ergänzen, steht nun unter Zugzwang. Die Oppositionsfraktionen schalten gegen die rot-grün-rote Koalition auf Angriff.
»Sie sagen seit Wochen, dass Sie auf den Bund warten wollen«, kritisiert CDU-Fraktionschef Kai Wegner am Donnerstag in der ersten Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses nach der Sommerpause. Das Entlastungspaket, wenngleich »nicht der große Wurf«, sei nun da: »Wie lange wollen sie eigentlich noch warten?« Aus dem 560 Millionen Euro schweren Härtefallfonds des Senats sei noch kein einziger Cent geflossen.
Es ist vor allem die Berliner Mittelschicht, um die sich Wegner Sorgen macht. Die Menschen seien mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem sie sich fragten, ob sich Arbeit überhaupt noch rentiere. »Der Fleißige darf nicht der Dumme sein«, sagt der CDU-Politiker, auch die Berliner Wirtschaft leide. »Ich will, dass der Bäcker ums Eck auch morgen früh noch weitermachen kann.« Hohe Rechnungen brächten etliche Unternehmen in Bedrängnis. Auch in der Coronakrise sei es gelungen, das Schlimmste zu verhindern.
Neben einem »echten Energiepreisdeckel«, auch für Heizöl und Gas, fordert Wegner ein 365-Euro-Ticket. Doch auch die jüngst erlassene Erhöhung der Parkgebühren komme »zur Unzeit« und müsse rückgängig gemacht werden. Zudem sei es an der Zeit, die erst zu 25 Prozent erfolgte Umrüstung der Berliner Laternen auf LED-Leuchten voranzutreiben. Zugleich gelte es, bürokratische Hürden zu minimieren. »Man muss acht Monate auf die Genehmigung einer Photovoltaikanlage warten«, sagt Wegner. »Das muss schneller gehen.«
Den Vorwurf der politischen Untätigkeit will Berlins Regierende Bürgermeisterin nicht auf sich sitzen lassen. »Ich weiß nicht, ob sie Zeitung lesen«, entgegnet Franziska Giffey in Richtung der Opposition. Bereits seit Wochen und Monaten arbeite der Senat daran, absichernde Maßnahmen für die Berliner*innen vorzubereiten. Ein entsprechendes Entlastungspaket werde »in den nächsten Tagen« finalisiert, die SPD-Politikerin verweist unter anderem auf einen anstehenden Energiegipfel kommende Woche.
Geplant sei unter anderem, soziale Einrichtungen, vom Krisentelefon bis zur Schuldnerberatung, zu unterstützen. Das Geld des im Haushalt vorgesehenen Härtefallfonds solle sowohl Bürger*innen als auch Unternehmen zugutekommen. Zudem kündigt Giffey einmal mehr einen günstigeren Nahverkehr an, und das nicht ohne auf den CDU-Chef zu reagieren: »Herr Wegner, ich finde total erstaunlich, wie Sie gerade Ihre soziale Ader entdecken.« Die Christdemokraten seien selbst diejenigen gewesen, die entsprechende Ticketmodelle ausgebremst hätten.
Die Berliner Grünen hingegen betonen, bei Entlastungen gezielt vorzugehen und vor allem niedrige Einkommensklassen zu unterstützen. »Wir werden aufpassen müssen, dass sich die Armut nicht in die Mitte hineinfrisst«, sagt Fraktionschef Werner Graf. »Die ›Freibier für alle‹-Mentalität muss vorbei sein.« Es gehe um diejenigen, deren Einkommen mindestens für einen Wohnberechtigungsschein 180 qualifiziere. So erreiche man bereits über die Hälfte der Berliner Haushalte, so Graf.
Dringend nötig sei außerdem ein Mietenstopp für Nettokaltmieten für ein Jahr. Kritik richtet sich auch in Richtung Vater Staat: »Wenn der Bund schon selber nicht den Mut hat, soll er uns eine Länderöffnungsklausel für das Mietrecht geben.« Wie schon in der Pandemie habe die Regierung in ihrem Entlastungspaket Soloselbständige wie Künstler oder freie Medienschaffende vergessen. »Wir müssen auch diesen Menschen helfen«, sagt der Grünen-Politiker. Gerade in der Hauptstadt spielten solche Berufsgruppen eine wichtige Rolle.
Der linke Fraktionsvorsitzende Carsten Schatz sichert der Berliner Bevölkerung ebenfalls weitere Absicherung in Sachen Miete zu: »Wir werden dafür sorgen, dass keine Mieterinnen und Mieter bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf die Straße gesetzt werden, weil sie gestiegene Energiekosten nicht zahlen können.« Dabei wolle man nicht abwarten, ob sich der Bund zu einem Moratorium bei Wohnungskündigungen durchringen werde oder nicht.
Schatz zufolge braucht es außerdem eine regelmäßige monatliche Unterstützung für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen – »und zwar jetzt und nicht erst im März«. Auch andere Entlastungen würden nur funktionieren, wenn sie schnellstmöglich umgesetzt würden. Um seine Versprechen an die Berliner*innen einzuhalten, werde der Senat die im Haushalt eingeplanten Mittel nochmals aufstocken, so der Linke-Politiker.
Kritik von FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, die Linke wolle für Unruhe auf den Straßen sorgen, um aus der Krise zu profitieren, will Schatz derweil nicht gelten lassen. »Selbstverständlich gehört Protest zur Demokratie«, sagt der Fraktionschef. Es seien zivilgesellschaftliche Bündnisse, die von der Linken unterstützt würden. »Keine Sache mit rechts« sei dabei klare Devise.
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