»Ich hatte nicht vor, mich zu outen«

Eine nicht-binäre Person verklagt das Land Hessen wegen Diskriminierung

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Aktivist*innen demonstrieren gegen die sogenannte »Demo für alle«, die sich gegen Schulaufklärung zu LGBTIQ richtet.
Aktivist*innen demonstrieren gegen die sogenannte »Demo für alle«, die sich gegen Schulaufklärung zu LGBTIQ richtet.

Mar Diotima klagt gegen das Land Hessen wegen Diskriminierung: Am Freitag findet der erste Prozesstermin vor dem Arbeitsgericht Gießen statt. Der Name ist ein Pseudonym, weil es der klagenden Person wichtig ist, ihre Identität nicht öffentlich zu machen, um sich vor Transfeindlichkeit zu schützen. Diotima ist nicht-binär, das heißt, dass sich eine Person weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt. Statt dem binären sie oder er nutzt Diotima ein Pronomen gebildet aus e und dem Anfangsbuchstaben des Vornamens, hier em. Diotima sollte 2021 in einer hessischen Schule als Nachhilfe-Lehrkraft anfangen. Doch nachdem der Schulleiter herausfand, dass sich Diotima nicht als cis-Frau identifiziere, habe er die bereits zugesagte Stelle wieder abgesagt.

Wie es dazu kam, ist kompliziert. Diotima habe bei der Bewerbung auf dem Lebenslauf ihren selbstgewählten Vornamen Mar genutzt, auf den Zeugnissen tauchte der im Pass eingetragene weibliche Vorname noch auf. Der Ergänzungsausweis, auf dem zwei selbstgewählte nicht-binäre Vornamen stehen, spielte damals keine Rolle. »Ich hatte nicht vor, mich zu outen«, sagt Diotima im Gespräch mit »nd.DerTag«. Das ist nicht ungewöhnlich. Laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist ein Drittel aller LGBTIQ*-Personen am Arbeitsplatz nicht geoutet, weil sie Diskriminierung befürchten müssen. Im Vorstellungsgespräch habe der Schulleiter Diotima als »Frau Diotima« vorgestellt und em habe dem nicht widersprochen. »Im Schulalltag wäre diese binäre Ansprache für mich in Ordnung gewesen«, sagt em. Nach dem Vorstellungsgespräch habe der Schulleiter angerufen und sich nach der Herkunft des Rufnamens erkundigt. Das sei aber keine große Sache gewesen. Nach einer Hospitation im Unterricht sagte die Schulleitung die Stelle zu und händigte einen Stundenplan aus – für mehr Stunden als bislang angedacht.

Nachdem in einer E-Mail dann Diotimas zweiter, bislang nicht verwendeter Vorname auftauchte, rief der Schulleiter em erneut an und fragte nach. Nach Diotimas Erinnerung sagte er, diese Frage sei wichtig wegen der Identität. Daraufhin habe Diotima gesagt, dass es als trans Person nicht so leicht sei, über Identität zu sprechen. Ab diesem Moment habe er auf die Kinder in der Schule hingewiesen, die auch manchmal nicht wüssten, wer sie sind. Diotima habe ihm daraufhin versichert, dass dies nichts am Vereinbarten ändere und die Anrede Frau Diotima weiterhin gelte. Er habe dann gebeten, Bescheid zu sagen, falls sich etwas ändere. »Ich habe gedacht, dass der Schulleiter nicht nicht-binär denkt und befürchtet, dass ich irgendwann ›Herr Diotima‹ sein könnte – und das wäre dann ein Problem«, erzählt em.

Eine Gruppe von Unterstützer*innen begleitet den Prozess unter dem Namen transriots solidarisch. Sie kritisieren das: »Der Schulleiter unterstellt eine Unklarheit der Geschlechtsidentität, die irgendwie problematisch ist.« Dies sei besonders vor dem Hintergrund problematisch, dass es eine Schule ist, die an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie angeschlossen ist. Auch trans Kinder und Jugendliche werden dort unterrichtet. »Der Schulleiter pathologisiert die Schüler*innen und zieht eine Parallele zu Diotima«, so die Unterstützer*innen. Auf das Telefongespräch erfolgte eine Absage aus »internen Gründen«.

Angela Kolovos ist Anwältin für Arbeitsrecht und vertritt Diotima. Sie schreibt in der Klageschrift: »Es ist eindeutig, dass die klagende Person eingestellt worden wäre, hätte sie ihre geschlechtliche Identität nicht preisgegeben.« Im Gespräch mit »nd.DerTag« gibt sie sich optimistisch: »Laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz ist eine Schlechterstellung aufgrund des Geschlechts verboten. In einem Verfahren muss der Arbeitgeber beweisen, dass er nicht diskriminiert hat, wenn die betroffene Person Indizien für eine Diskriminierung darlegen kann. Hier ist die Situation aber recht eindeutig.« Die Argumentation des Landes Hessens, dass Diotima nicht aufgrund der trans-Geschlechtlichkeit, sondern aufgrund eines nicht nachvollziehbaren Wechsels des Vornamens nicht eingestellt worden wäre, hält sie für eine Schutzbehauptung. »Es ist nicht erkennbar, inwiefern die Schüler*innen von der Verwendung unterschiedlicher Vornamen beeinträchtigt wären. Erstens sind sie im Schulkontext nur mit dem Nachnamen konfrontiert und zweitens ist ein Namenswechsel zum Beispiel bei Heirat durchaus üblich«, so Kolovos. Auch zweite Vornamen sind in Deutschland keine Seltenheit.

Der Prozess hat aus Sicht von Diotima und der Unterstützer*innen eine politische Bedeutung: »Es geht mir weniger um eine Entschädigung, sondern darum, dass das Konsequenzen hat«, sagt Diotima. Für die Unterstützer*innen geht es nicht nur um Diotimas individuelle Erfahrung, sondern die allgemeine Diskriminierung von trans Personen auf dem Arbeitsmarkt: »Das Land Hessen wirbt damit, queere Menschen zu unterstützen. Doch de facto werden queere Menschen diskriminiert und aus diesen Stellen herausgehalten«, sagt die Unterstützer*in. Das hessische Kultusministerium äußert sich auf Nachfragen von »nd.DerTag« nicht zu dem Fall, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.

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