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Subjekte der Grausamkeit
Dröhnendes Pathos: Das Staatsschauspiel Dresden zeigt einen »Macbeth« ohne Substanz. Dabei schreibt Shakespeare noch immer unsere Stücke
Die Aufführung am Staatsschauspiel Dresden bewegt sich im Kreis: Schon wahnhaft tritt Macbeth auf die Bühne. Durch sein Wort oder seine Hand gemordet sind die Könige und Thanes, die nach der absoluten Macht über Schottland trachten könnten. Auch seine Frau, Lady Macbeth, nahm sich, geplagt durch Mitschuld und Komplizenschaft, das Leben. Allein bleibt der Tyrann auf seiner Burg zurück und memoriert die prophetischen Sprüche, mit denen er die Zukunft festschreiben wollte. Drei Hexen sagten ihm die Königswürde voraus und sicherten ihm Unversehrtheit zu, bis »Birnams Wald marschiert auf Dunsinane«. Sein Tod markiert den Anfang der »Geburt des Subjekts der Grausamkeit«, wie es Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann beschrieb. »Mein Tod wird euch die Welt nicht besser machen«, ruft er in Heiner Müllers Fassung des Shakespeare’schen Königsdramas aus, bevor Soldaten seine Leiche plündern. Auch wenn ein Tyrann fällt, wird die Gewalt keinen Abbruch finden.
Mit diesem Ende einer »Geschichte im Stillstand« (Lehmann) beginnt ein Abend, in dem alle theatralen Mittel in einer Theatershow kulminieren. Oft geht der Text in den Übersetzungen von Dorothea Tieck und Heiner Müller zwischen den elektronisch verzerrten Klängen der Band Woods of Birnam unter. Ihr Frontmann Christian Friedel übernimmt in der Inszenierung neben Gesang auch Regie und die Hauptrolle. Die Shakespeare-Bearbeitung knüpft an den »Hamlet« von Roger Vontobel an, der 2012 am Staatsschauspiel Dresden Premiere feierte. Für diesen hatte die Band einige Lieder geschrieben, auch hier spielte Friedel die Titelrolle. Die »Macbeth«-Inszenierung, auf die das Publikum zwei Jahre gewartet hatte, vereinte eine Lichtshow von Johannes Zink und Videokunst von Clemens Walter und Jonas Dahl zu einem opulenten Rockkonzert. Das dröhnende Pathos ließ der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Müller’schen Text oder nuanciertem Schauspiel nur wenig Platz.
Fixiert auf die aristokratischen Akteure, versucht sich die Aufführung zwischen Schall und Wahn an einer überwältigenden Psychologisierung. Daran wirken die Tänzer*innen, choreografiert von Valentí Rocamora i Torà, mit, wenn sie klaustrophobische oder paranoide Gemütszustände Macbeths in Bewegung umsetzen. Zwischen Deko und Effekt steht ihr Part nicht als gleichwertiger, künstlerischer Teil der Aufführung neben Text oder Musik. Neben dem ganzen Tam-Tam will sich der Abend als Reflexion auf autoritäre Kräfte unserer Tage verstanden wissen. In der lang gezogenen Produktionszeit kam es zum Sturm auf das Kapitol, der in die Inszenierung einfließen sollte. »Das Volk ist nicht mehr Souverän, sondern Spielball in den Händen von Männertyrannen.« Das sei ein düsteres Zukunftsbild, das sich von Macbeth bis heute wiederhole, heißt es im Begleittext von Dramaturgin Julia Weinreich. Fraglich ist, ob das Volk souverän sein konnte in einem Jahrhundert, das gerade erst die »Morgenröte des Kapitalismus« (Müller) bestaunen durfte. Zuweilen sind vielmehr die sich formierenden Volkskörper das Problem – neben allen machthungrigen Männertyrannen.
So zeigt besonders die Fassung Heiner Müllers, in der die geknechteten Bauern eine große Rolle spielen, »das Elend der Unteren, aber er lässt nichts von ihrer oft beschworenen Menschlichkeit aufscheinen« (Lehmann). Es bleibt ein Wechselspiel zwischen Masse und Agitatoren, die mit Thesen und Gewaltrufen die Fruchtbarkeit des gesellschaftlichen Bodens erst erkunden, bevor sich das destruktive Gemisch zu Kulminationspunkten wie dem »Sturm auf Berlin« im August 2020 verbindet. Die Großdemonstration aus Corona-Leugnern, Esoterikern, Reichsbürgern und Rechtsextremen zeichnete sich durch eine diffuse ideologische Gemengelage aus, die sich bis heute zu keiner eindeutigen rechten Linie formiert hat. So stehen Corona-Leugner und rechte Sozialprotestler vor zweieinhalb Wochen nicht in vollständiger Personalunion am Montag auf dem Leipziger Augustusplatz, um für die Öffnung von Nord Stream 2 und gegen den »Wirtschaftskrieg« der EU und die Nato zu demonstrieren. Manche rechtsoffenen Camp-David-Träger seien sich noch nicht sicher, ob sie doch noch zum Demo-Auftakt der Partei Die Linke wechseln wollen. Sören Pellmann, der in Leipzig ein Direktmandat erhielt, und andere Partei-Kolleg*innen riefen auf der anderen Seite des Platzes zum »heißen Herbst« am symbolträchtigen Tag auf.
Spätestens seit den Pegida-Protesten, die in Dresden noch immer stattfinden, ist der Montag stark von rechts besetzt. Der Versuch, ihn von links zu vereinnahmen, lud zu einem Kräftemessen ein, das sich dann auf dem zentralen Leipziger Platz abzeichnete. Jürgen Elsässer, ein machthungrig-kalkulierender, im Wahn fortgeschrittener Macbeth und Chefredakteur des vom Verfassungsschutz als »erwiesen rechtsextrem« eingestuften Magazins »Compact«, sieht in der Gleichzeitigkeit eine Chance, um reaktionäre Teile der Linken zu umwerben. Friedenstauben, einseitige Sanktionskritiker und Putin-Verteidiger verteilten sich auf beiden Seiten des Platzes.
»Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen.« Mit dem preußischen Heeresspruch schwor auch Martin Kohlmann, Vorsitzender der Kleinstpartei Freie Sachsen, auf die Montagsdemo ein, wehrte sich jedoch später im Interview mit dem »Spiegel« gegen die Idee eines gemeinsamen Marsches. Dagegen formierte sich in Leipzig nun das breiter aufgestellte linke Protestbündnis »Jetzt reicht’s! – Wir frieren nicht für eure Profite!«, in dem Gewerkschaften, Umweltverbände, antifaschistische Bündnisse und Parteien einen Energiepreis- und Mietenddeckel, eine Fortführung des Neun-Euro-Tickets und eine Übergewinnsteuer für alle Unternehmen fordern und am 15. Oktober – zum Glück ein Samstag! – zur Großdemonstration aufrufen. Gemeinsam mit Kampagnen wie »Genug ist Genug!«, dem Neun-Euro-Fonds oder der Initiative Sanktionsfrei bilden sich neben der plumpen Elitenkritik, die am 5. September in Variationen angeboten wurde, viele solidarische Initiativen.
Doch die Reaktion schweigt nicht. Schon während der Corona-Pandemie gelang es rechten Gruppierungen, die Krise besser für sich zu nutzen und auf die Straße zu tragen. Die antisemitischen Verschwörungstheorien sind flexibel und statt gegen die »Corona-Diktatur« lässt sich problemlos gegen die »Gasdiktatur« von Robert Habeck mobilisieren. Die Subjekte der Grausamkeit gebären sich in diesen »Wir sind das Volk!«-Körpern immer neu. Es ist die »Wiederkehr des Gleichen«, der Shakespeare’schen Schatten, die totale Macht behaupten, bevor sie sie besitzen. Die Machtspiele und blutigen Intrigen aus »Macbeth«, »Hamlet« oder »König Lear« bleiben unsere, bis wir uns nicht mehr in ihnen erkennen, hofft Müller, der den Autor an der Schwelle zwischen feudaler und bürgerlicher Welt nicht als zeitlosen Meister schätzte. So heißt es in seiner Rede »Shakespeare eine Differenz« auf Einladung der Shakespeare-Gesellschaft (Ost): »Wir sind bei uns noch nicht angekommen, solange Shakespeare unsere Stücke schreibt. Shakespeare ist ein Spiegel durch die Zeiten, unsere Hoffnung eine Welt, die er nicht mehr reflektiert.«
Nächste Vorstellungen: 28., 29.9. und 16.10.
www.staatsschauspiel-dresden.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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