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Baum, Bank und Brunnen
Engagierte Wissenschaftler wollen die Stadt Leipzig und ihre Bürger besser gegen Hitze wappnen
Wenn es heiß wird in der Stadt, hilft passende Musik. Als in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio einmal weit über 30 Grad erreicht wurden, listete ein örtliches Nachrichtenportal »25 perfekte Songs für die Hitzewelle« auf. Platz zwei ging an die Band »Kool & the Gang« mit dem Titel »Too hot« – »zu heiß«. Er gibt auch praktische Hinweise: » Such dir eine Zuflucht, Lady! Renn in den Schatten!«
Melanie Gerhards würde den Ratschlag wohl unterschreiben. Die Leipziger Psychiaterin und Neurologin ist Teil einer Gruppe von Medizinern, die Health for Future heißt und sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise befasst. Weil Hitzewellen in Großstädten mittlerweile ein relevantes gesundheitliches Risiko darstellen, suchen sie Möglichkeiten, die Gesundheit zu schützen. Schattenspender wie Bäume spielen dabei eine ebenso zentrale Rolle wie kühle öffentliche Räume als Zufluchtsorte. Ihr Ideal wäre eine Kombination aus Bäumen, Bänken und Brunnen: »Solche Wohlfühlorte befördern soziales Miteinander, und es können nachbarschaftliche Netzwerke entstehen, die auch in Hitzewellen den Alltag erleichtern.«
Nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit ist beeinträchtigt, wenn die Temperaturen den Wohlfühlbereich verlassen. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung wies nach, dass die Zahl von Hassbotschaften in sozialen Netzwerken wie Twitter bei hohen Temperaturen stark zunimmt. Ebenso fatal wie für das soziale Miteinander ist Hitze für die Gesundheit. Während einer Hitzewelle steige das Risiko von Frühgeburten um 15 Prozent, erklärt das Uniklinikum Leipzig. Die Zahl medizinischer Notfälle wächst sprunghaft. Während Hitzeperioden nimmt die Zahl von Kreislaufversagen, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Astmaanfällen und Luftnot bei Menschen mit Vorerkrankungen zu. Auch Dehydrierung und dadurch verursachte Desorientierung sind ein schwerwiegendes Krankheitsbild. Betroffene müssen ins Krankenhaus, »wo das Personal selbst durch Hitze beeinträchtigt ist«. Nicht wenige Menschen verlieren wegen Hitze sogar ihr Leben. Im Juni, als in Deutschland teils über 40 Grad gemessen wurden, gab es laut Statistischem Bundesamt 9130 Todesfälle mehr als im langjährigen Mittel, ein Plus von zwölf Prozent. Die meisten traten »in Phasen sehr hoher Temperaturen« auf.
Hitze ist also gefährlich. Allerdings hätten das »die meisten Menschen noch nicht auf dem Schirm«, sagt Karsten Haustein. Der Meteorologe verweist auf Medienberichte über bevorstehende heiße Tage, die regelmäßig noch immer mit Bildern im Wasser planschender Kinder illustriert werden: »Dabei wären Fotos leidender älterer Menschen viel passender.« Haustein befasst sich mit Attributionsforschung, der Frage also, wie eindeutig Phänomene wie Hitzewellen und der Klimawandel in Zusammenhang zu bringen sind, einschließlich der unvermeidlichen Hitzeopfer. Unter Experten gilt als sicher, dass die extreme Hitze im Sommer 2003 rund 70 000 Menschenleben in Europa gekostet hat.
Als erwiesen gilt auch, dass sich Hitzewellen häufen, »eine eindeutige Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels«, sagt Haustein. Der Deutsche Wetterdienst erklärte im Juni anlässlich einer Hitzewelle von »historischem Ausmaß«, dass die Marke von 40 Grad, die in Deutschland erstmals 1983 erreicht wurde, inzwischen regelmäßig übertroffen wird. Phasen, in denen es mindestens drei Tage in Folge über 30 Grad heiß ist und das Thermometer nachts nicht unter 20 Grad sinkt, gab es bis zur Jahrtausendwende drei- bis fünfmal in 30 Jahren; ab 2030 ist damit zwei- bis dreimal im Jahr zu rechnen.
Auf diese Entwicklung müssen sich Bürger und Kommunen vorbereiten, sagen die Medizinerinnen von Health for Future Leipzig. In ihrer Stadt gibt es zwar viele Parks und Grünflächen, in denen es an heißen Tagen etwas kühler ist als in baumlosen Straßen zwischen Wohnhäusern. Doch eine Karte des Leipziger Umweltamtes zeigt, dass auch hier in vielen Vierteln eine »sehr ungünstige thermische Situation« herrscht. In entsprechenden Straßenzügen leben mit 320 000 Menschen mehr als die Hälfte der Leipziger. »Das zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist«, sagt Melanie Gerhards. Um so wichtiger ist das, weil ein Drittel davon Kinder oder ältere Menschen sind. Sie zählen neben Menschen mit bestimmten Erkrankungen, Wohnungslosen oder Arbeitnehmern, die im Freien tätig sind, zu den »vulnerablen Gruppen«. Bei Senioren, betonen Wissenschaftler, bewirkt eine verminderte Schweißproduktion, dass die körpereigene Kühlung schlechter funktioniert. Zudem ist im höheren Lebensalter oft die Wahrnehmung von Durst reduziert, auch durch die Einnahme von Medikamenten. Mit angepasster Medikation und Trinkmenge, aber auch Anpassung von Aktivitäten im Tagesverlauf und einem sinnvollen Lüftungskonzept, ließen sich hitzebedingte Krankenhauseinweisungen oft vermeiden.
Die Leipziger Gruppe drängt auf Anpassungsmaßnahmen und wünscht sich deutlich mehr Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte bei der Stadtplanung. Gerhards zitiert eine Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO, die bereits 2008 betonte: »Ein Großteil der hitzebedingten Gesundheitsschäden ist vermeidbar, wenn Gesundheits- und Sozialsysteme sowie die öffentliche Infrastruktur vorbereitet sind.« Dabei geht es um individuelle Vorsorge, etwa Pläne, die ältere Menschen daran erinnern, regelmäßig zu trinken. »Dabei können Ärzte, Altenpfleger und Physiotherapeuten eine wichtige Rolle spielen«, sagt Gerhards: »Sie kennen ihre Patienten und wissen, wer auf sich aufpassen muss.« Nachbarn könnten helfen, indem sie Einkäufe übernehmen – was am »Zufluchtsort« mit Bank, Baum und Brunnen gut abzusprechen wäre.
Zudem müssen sich Kommunen insgesamt wappnen, zum Beispiel mit Hitzeaktionsplänen. Solche Konzepte empfehlen Maßnahmen zu Klimaschutz und längerfristiger Klimaanpassung. Daneben sind »Risikokommunikation an die Bevölkerung« und »Management von Akutereignissen für vulnerable Bevölkerungsgruppen« wichtig, heißt es in einem Papier der AG Klimawandel und Gesundheit des Public-Health-Zentrums Fulda. Vorgeschlagen wird etwa die Veröffentlichung von Tipps zum Umgang mit Hitze in Zeitung und Radio oder Apotheken. Hitzewarnungen des Deutschen Wetterdienstes sollen auf kommunaler Ebene zu konkreten Schutzmaßnahmen führen. Kindergärten und Schulen könnten angehalten werden, Ausflüge oder Sportveranstaltungen nicht in der Mittagshitze zu organisieren. Pflegedienste sollten ihren Patienten häufiger Wasser anbieten.
Städte wie Mannheim und Dresden haben bereits Hitzeaktionspläne erstellt. Auf ihre Erfahrungen solle Leipzig zurückgreifen, meint Health for Future. Deshalb lud man im März zu einem ersten Leipziger Hitzeforum auch Referierende aus dortigen Gesundheitsämtern ein. Im Juni beschloss der Stadtrat, dass auch für Leipzig bis 2023 ein solcher Plan erstellt werden soll. Health for Future ist eingeladen, daran mitzuwirken.
Für längerfristige Antworten rät Haustein dazu, von südeuropäischen Städten zu lernen, an deren heutiges Stadtklima sich Leipzig annähern wird. Er hat lange in Barcelona gelebt und dort zu schätzen gelernt, dass die Stadt durch ihre Bauweise viel Schatten bietet. Zudem seien viele Flächen mit hellem Stein belegt und nicht mit Asphalt, der sich bei Hitze besonders aufheizt. Der Straßenbelag, dessen großflächige Verwendung dem Autoverkehr geschuldet ist, sei »ein großes Problem, wenn es darum geht, die Stadt hitzetauglich zu bekommen«. Das allergrößte Problem aber sei die anhaltende Emission von Treibhausgasen, die den Klimawandel ungebremst fortschreiten lassen. Wenn sich daran nichts ändert, sagt Haustein, »werden sich die heißen Tage unfassbar summieren« – mit allen dramatischen Folgen für Leib und Leben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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