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Ein frischer Kaffeelikör
Am Franz-Mehring-Platz in Berlin gibt es viele Mieter – wir stellen sie und ihre Projekte vor
In der fünften Etage des Gebäudes am Franz-Mehring-Platz 1, direkt gegenüber des Paternosters, prangt ein Plakat des Metal-Festivals »Wacken«. Dahinter verbirgt sich ein kleines Büro, von dem man nicht vermutet, dass hier im letzten Jahr ein Kleinod entwickelt wurde: der Kaffeelikör »Freche Bohne«.
Jörg Thurow, schon seit 2004 Mieter hier, lacht mit Blick auf das Plakat: »Meine Mitarbeiterinnen sagen immer, vertrauenswürdig ist, wer Bart und lange Haare hat.« Sein Geld hat der Selbstständige bis zur Corona-Pandemie mit dem Verkauf von Alkoholtests mit der »Promille-Streife« auf Festivals und Stadtfesten verdient. Seine Festival-Vergangenheit sieht man ihm immer noch an. Er trägt schwarze Jeans, Sportschuhe, ein schlichtes Poloshirt und ein schwarzes Cap, auf dem eine Sonnenbrille steckt. Ein Ort, wo er mit seinen Mitarbeiterinnen die Tests angeboten hat, ist das Schleswig-Holsteiner Event »Wacken«. Ihre dortigen Kunden seien weder aufdringlich noch übergriffig, erzählt er von Abnehmern seiner bisherigen Dienstleistung, die nicht frei von Anspielungen auf sexuelle Phantasien ist. Viele Linke würden bei diesem Angebot die Nase rümpfen. Jörg ist überzeugt von dem, was er tut: »Wir haben schon viele Leben und Führerscheine gerettet«.
Doch wie bei so vielen Dienstleistern brachte die Corona-Pandemie die Geschäfte zum Erliegen: Festivals, Jahrmärkte, Clubs, alle Einrichtungen und Events, bei denen Alkoholtests Absatz fanden, blieben geschlossen oder fielen ins Wasser. Neue Ideen mussten her, und so sattelte der 43-Jährige zumindest halb um. Vom Alkoholtest zum Alkohol selbst: »Es geht um Promille, so oder so.« Das findet sich auch im Logo wieder: Promillestern, die Alkohol-Kontroll-Mütze, hat er in das Logo mit der Sonnenbrille tragenden Kaffeebohne, die im Likör badet, übernommen. Finanziell stemmt er die Entwicklung aus seinen Rücklagen.
Erst seit zehn Wochen ist die »Freche Bohne« auf dem Markt, und ein bisschen verliebt ist Jörg in sein neues leckeres Produkt. Aus dem Schwärmen kommt er nicht so recht heraus. Er ist von Zutaten und Destillationsverfahren überzeugt: »Auch wenn es nicht auf der Flasche steht, sind alle Zutaten bio und Fairtrade«, zählt er die Vorzüge seines Likörs auf. Dass es nicht auf den Flaschen stehe, liege am fehlenden Zertifikat der Destillerie – das Zertifikat sei zu teuer, erklärt er den fehlenden Hinweis. »Bei schonenden 38 Grad werde das Getreide mazeriert«, dabei gehen deutlich weniger Inhaltsstoffe verloren als bei den sonst üblichen 80 Grad Celsius», schwärmt er weiter. «Und dass schwarzer Tee drin ist, damit sind wir wirklich die Einzigen.»
Likör, und insbesondere Kaffeelikör, ist keine neue Erfindung. Das cremige alkoholhaltige Getränk kam bereits im 13. Jahrhundert mit den Kreuzzügen nach Europa. Bis zur weiten Verbreitung als Party-Getränk hat es aber noch mehrere Jahrhunderte gedauert. Anfänglich wurde Likör vor allem zu medizinischen Zwecken verwendet und in Klöstern und von Apothekern mazeriert, wie der Destillierprozess genannt wird.
Während die Corona-Pandemie abklingt und die Veranstaltungsorte ihre Türen wieder öffnen, steckt Jörg mitten in der Entwicklung seines Kaffeelikörs. Freunde, Familie und Bekannte unterstützen ihn bei seinem Vorhaben. Dann, plötzlich, geraten nicht nur seine alten, sondern auch die neuen Vorhaben ins Wanken: Mit einem Herzinfarkt kommt er ins Krankenhaus, insgesamt vier Stents müssen gelegt werden. Er kann nicht arbeiten und benötigt erst einmal Zeit, um wieder gesund zu werden. Er ist überzeugt, ohne die Unterstützung seiner Familie, Freunde und Bekannten wäre es bis zur tatsächlichen Produktion nicht gekommen. Seine plötzliche Erkrankung hat alles nicht einfacher gemacht: «Man glaubt, dass man so eine Start-up-Idee alleine umsetzen kann, aber das funktioniert nicht. Oder es dauert ewig.»
Es sind viele Schritte bis zu einem marktfähigen Produkt, berichtet Jörg. Zum Likör selbst möchte er auch Gläser und Untersetzer als Geschenk-Sets anbieten. Es gebe viele Online-Angebote für Zubehör, aber die Abnahmemengen seien viel zu groß für ihn. Ungewöhnliche Wege gehen kann er: Kurzerhand besorgt er sich eine Gravur-Maschine, die jetzt in seinem kleinen Büro, neben Schreibtischen und Schränken, viel Platz beansprucht. Nun kauft er kleine Mengen an Gläsern und Untersetzern und graviert die Sachen selbst – und damit handgemacht.
Nach Fertigstellung des Likörs müssen jetzt noch «viele Klinken geputzt werden», so Jörg. Onlineauftritte, etwa bei Facebook oder Instagram, sind zu bespielen. Was helfe schon ein Produkt, von dem niemand weiß? Der Verkauf ist die nächste Hürde, die er nehmen muss. Bis jetzt gibt es nur wenige Verkaufsstellen: Ein Kaffeehaus in Dresden bietet den Likör bereits an, auch im nd.Shop kann man ihn kaufen. Ein befreundeter Tankstellenpächter nimmt den Likör in sein Sortiment auf. Die Tankstelle ist vielleicht nicht ganz der richtige Ort für den Verkauf, «da läuft es auch nicht so gut», merkt er schmunzelnd an. Bevor er richtig durchstarten kann, heißt es für ihn: weiter gesund werden, vielleicht nicht gerade mit dem Genuss des eigenen Likörs.
Für die Tageszeitung das «Neue Deutschland» ist das Gebäude am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin erbaut worden. Es ist auch heute noch Sitz der Zeitung. Neben ihr gibt es heute viele verschiedene Nutzerinnen und Mieterinnen des Gebäudes. In unregelmäßigen Abständen stellen wir sie vor.
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