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  • Film "Don’t worry Darling"

Feministischer Wutschrei

In ihrem Film »Don’t worry Darling« entwirft Regisseurin Olivia Wilde eine bizarre Dystopie männlicher Unterdrückungsfantasien

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Alles scheint einfach perfekt zu sein in der sonnendurchfluteten Wohnsiedlung des Victory-Projekts irgendwo inmitten der amerikanischen Wüste in den 1950er Jahren. Überall schöne Häuser, gepflegte Vorgärten, blau leuchtende Pools und Palmen am Straßenrand. Nach nächtlichen Cocktailpartys, auf denen fröhliche junge Menschen ausgelassen feiern, gibt es morgens Kaffee, Toast und Eier mit Speck. Danach setzt sich der Ehemann mit der Lunchbox neben sich ans Steuer seines stylischen Autos und fährt mit den anderen Ehemännern hinaus in die Wüste, wo die Wissenschaftler an der Entwicklung »progressiver Materialien« arbeiten, während die Frauen zu Hause putzen, kochen, shoppen gehen und abends bereitstehen, um den zurückkehrenden Verdiener sexuell zu warten. So auch Alice (Florence Pugh), die mit ihrem Ehemann Jack (Harry Styles) eine romantische Bilderbuchehe zu führen scheint. Dem Zuschauer ist aber natürlich nach wenigen Minuten klar, dass dieses überstilisierte, altbackene, sexistische Ideal fordistischer Lebensführung mitsamt der dazugehörigen Arbeitsteilung und der Geschlechterrollen nur Fassade sein kann. Was machen die Männer in der Wüste? Schnell denkt man an das Manhattan-Projekt, bei dem Wissenschaftler in der Wüste in den 1940ern die Atombombe entwickelten. Und wieso spielen die Frauen so gehorsam mit? Was stimmt hier nicht?

Darauf gibt es erst einmal keine klare Antwort. Regisseurin Olivia Wilde, die auch eine von Alice’s stets adrett gekleideten und gut gelaunten Nachbarinnen spielt, lässt die Zuschauer ziemlich lange Zeit im Dunkeln tappen, um so die Spannung noch weiter aufzubauen. Dass der Film aber eigentlich ein ziemlich heftiger feministischer Wutschrei ist, lässt sich da schon durchaus erahnen. Die von Florence Pugh wirklich großartig und voller Power gespielte Hauptfigur, die ihren Namen sicher auch in Anlehnung an Lewis Carrolls »Alice im Wunderland« trägt und hier in einer besonders bizarren, künstlich wirkenden Welt umherirrt, wird bald von Albträumen geplagt und hat schließlich sogar Halluzinationen. Ihrer Freundin und Nachbarin Margaret (Kiki Layne) geht es ganz ähnlich. Irgendwann verübt Margaret Suizid, Alice ist Zeugin, aber niemand will ihr glauben. Schließlich fährt Alice hinaus in die Wüste, wohin die Ehefrauen eigentlich gar nicht dürfen, weil sie mehr erfahren will. Aber bevor sie etwas herausfindet, bricht sie an der Außenscheibe des Produktionskomplexes, in dem ihr Mann arbeitet, zusammen, um später einfach in ihrem Bett aufzuwachen, so als wäre nie etwas geschehen.

»Don’t worry Darling« erinnert motivisch stark an den mehrfach verfilmten Roman »Die Frauen von Stepford«. Olivia Wildes überaus spannender Film lässt sich natürlich auch ganz allgemein als Allegorie auf die Kontrollgesellschaft und auf eine autoritäre Zurichtung von Menschen lesen. Stellenweise haben das Victory-Projekt und die farbenfrohe 1950er-Jahre-Welt fast etwas Sektenartiges. Dafür sorgt auch Victory-Gründer Frank (Chris Pine), der in seinem luxuriösen Haus Partys schmeißt, wie ein Guru verehrt wird und in der Wohnsiedlung knallhart herrscht und die Zügel in der Hand hält. Aber »Don’t worry Darling« geht ein Stück weiter. Im Vordergrund steht hier die Rolle der Frauen und deren vermeintlich freiwilliger, aber eigentlich erzwungener Gehorsam bis hin zur körperlichen Unterwerfung, die sich in der Ausübung reproduktiver Pflichten ausdrückt. Wie viele Männer wünschen sich heute im Zuge der globalen Mobilmachung von rechts, die, egal, ob in Bolsonaros Brasilien oder aktuell in den USA nach dem höchstrichterlichen Verbot von landesweiten Schwangerschaftsabbrüchen, den Antifeminismus immer ganz oben auf die Agenda setzt, exakt so eine Welt zurück wie in den 1950er Jahren, die hier ebenso karikierend wie albtraumhaft inszeniert wird?

In Hollywood gilt Regisseurin Olivia Wilde, die auch als Schauspielerin bekannt ist, als feministische Stimme, die hier in einem hoch budgetierten Blockbuster den ganzen Albtraum einer reaktionären Politik, die versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen, als bizarre Dystopie mit jeder Menge psychologischem Horror erzählt. Das ist mitunter beängstigend, aber als mitreißende, massenpublikumstaugliche Erzählung ungemein dicht und spannend inszeniert. Denn hinter der perfekten Fassade des Victory-Projekts wartet ein abgründiges System, das am ehesten an den Science-Fiction-Klassiker »Matrix« erinnert und zeigt, dass die ganze vermeintlich gefühlvolle, romantische Geschichte dieser Liebe zwischen Alice und ihrem Ehemann Jack nur eine wahnwitzige und überaus gewalttätige Farce ist. Hinter der titelgebenden Aufforderung »Don’t worry Darling«, sich doch keine Sorgen zu machen, steht eine brutale sexistische Herrschaftslogik. Wobei der Kampf gegen diesen Wahnsinn, der hier nicht ganz gespoilert werden soll, weil die Auflösung dieses Films wirklich spannend und erst kurz vor dem Ende sehr überraschend ist, dann sehr heftig ausfällt und zu einer empowernden, wenn auch ziemlich blutigen Angelegenheit wird.

»Don’t worry Darling«: USA 2022. Regie: Olivia Wilde. Mit: Florence Pugh, Harry Styles, Chris Pine, Olivia Wilde. 123 Minuten. Jetzt im Kino.

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