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Europa als Schranke und Bedingung
Italiens Rechte wettert gern gegen Brüssel. Aufgrund der ökonomischen Abhängigkeiten braucht sie aber die EU
Angesichts der verschärften geopolitischen Auseinandersetzungen will Bundeskanzler Olaf Scholz alles »für den Zusammenhalt der Europäischen Union« tun. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert, Europa müsse »seine Einheit wiederfinden«, um mehr Einfluss in der Welt zu erlangen. Dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu schwach sind, um sich gegen die anderen Großmächte durchzusetzen, wissen auch die italienischen Postfaschisten. Zwar wettern sie gelegentlich noch gegen »Brüssel«. Doch müssen auch sie mit der Tatsache kalkulieren, dass die EU und der Euro wesentliche Bedingungen für den angestrebten Aufstieg Italiens sind.
»Bereit für die Wiederauferstehung Italiens«, lautet eine Parole der rechtsextremen Partei Fratelli d‹Italia (FdI), die aus den Wahlen am Sonntag als stärkste Kraft hervorgehen dürfte. Als Schranke für die Stärke der Nation sehen die »Brüder Italiens« vor allem das Ausland – in Form von Migranten, einer »globalistischen Elite« oder der EU. Wenn sie gewinne, versprach Parteivorsitzende Giorgia Meloni kürzlich in einer Debatte, dann »ist der Spaß für Europa vorbei«.
Zentrales Problem für die Patrioten nicht nur im rechten Lager des italienischen Parteienspektrums ist allerdings die Wirtschaft. Schon vor der Corona-Pandemie und der aktuellen Energiekrise generierte Italiens Ökonomie nicht die Erträge, die dem Land neue Macht und Herrlichkeit bringen könnten. Zwar ist es die drittgrößte Ökonomie der Eurozone und zweitgrößter Industriestandort der EU, deutlich vor Frankreich. Doch fehlt das Entscheidende: das Wachstum.
Seit etwa 20 Jahren stagniert die Produktivität, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist real etwa so hoch wie 2007 und das BIP pro Kopf niedriger als im Jahr 2000. Trotz aller Sparanstrengungen liegen die öffentlichen Schulden mit 150 Prozent des BIP sehr hoch. Ökonomisch bleibt das Land zweigeteilt – einem starken industriellen Norden steht ein armer Süden gegenüber. Die Industrie besteht zu großen Teilen aus kleineren, kapitalschwachen Unternehmen, die im globalen Wettbewerb nur schwer gegen Konkurrenten aus Deutschland, den USA oder China bestehen können.
Das bekommt auch die vom Wirtschaftswachstum abhängige Bevölkerung zu spüren. Das Haushaltsbudget eines durchschnittlichen Privathaushalts lag 2021 sechs Prozent niedriger als im Krisenjahr 2009. Laut Statistikamt Istat galten im vergangenen Jahr – also vor dem aktuellen Inflationsschub – im reicheren Norden 8,2 Prozent der Bevölkerung als arm, im Süden waren es über zwölf Prozent. 5,6 Millionen Italiener*innen erfüllen das Kriterium der absoluten Armut, was bedeutet: weniger als 600 Euro pro Monat für einen Single-Haushalt und weniger als 1630 Euro für eine vierköpfige Familie. »Es ist wenig erstaunlich, dass die Wachstumsschwäche die politische Unzufriedenheit schürt«, so die Berenberg Bank.
Hier gerät die politische Rechte Italiens – wie in anderen EU-Ländern – allerdings in einen Widerspruch. Zum einen bringt die Kritik an der EU und ihren Vorgaben, insbesondere in Sachen Schuldenaufnahme, viele Wählerstimmen. Andererseits besteht die Notwendigkeit der Kooperation mit Brüssel und den EU-Partnern. Denn Italiens Industrie ist stark mit der europäischen und insbesondere der deutschen verwoben. Zudem erhält das Land den größten Teil des EU-Wiederaufbaufonds: 192 der insgesamt 750 Milliarden Euro. Dieses Geld braucht Rom – und der aktuelle Beschluss der EU, Ungarn zugesagte Milliarden vorzuenthalten, dürfte als Warnung dienen.
Zudem ist das Land mit seinem Schuldenberg verletzlich gegenüber Spekulationsattacken der Finanzmärkte. »Italiens hohe Staatsschulden sind nur deswegen kein Problem, weil die Europäische Zentralbank große Teile dieser Schulden aufgekauft hat«, erklärt die Berenberg Bank. Allein zwischen 2020 und 2021 erwarb die EZB italienische Anleihen über 250 Milliarden Euro. Diesem Beistand dürfte es auch zu verdanken sein, dass die Zinsen für zehnjährige italienische Anleihen derzeit »nur« auf rund vier Prozent gestiegen sind, obwohl die Finanzmärkte in einer rechten Regierung ein »politisches Risiko« sehen. Im Vorfeld der Italienwahl sei »die Lage an den Euro-Staatsanleihemärkten verdächtig ruhig«, merkt die DZ Bank an. Nach der Wahl allerdings würden die internationalen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit Roms neu bewerten.
Angesichts dieser Zwänge rüstet Meloni verbal ab. Hatte sie 2019 den Euro-Ausstieg Italiens noch eine »Option« genannt, so stellt sie sich inzwischen hinter Euro, EU und Nato. Die Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds nennt sie »eine große Chance für die Modernisierung Italiens«. Reformieren will sie lediglich den Euro-Stabilitätspakt – was ohnehin auf der Brüsseler Agenda steht. Zudem will sie die Verwendung der Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds nachverhandeln, um mehr Ressourcen in die Energieversorgung zu lenken.
Forderungen der Lega und der Forza Italia nach Steuersenkungen und einem einheitlichen Steuersatz für alle (»Flat Tax«) – die die staatlichen Einnahmen sinken lassen würden – unterstützt Meloni nicht. Ihr Wirtschaftsberater Guido Crosetto klingt weniger wie ein Faschist, sondern mehr wie die FDP: »Wir glauben, dass die Privatwirtschaft Wohlstand erzeugt, nicht der Staat«, sagte er der »FAZ«. »Erst muss der Wohlstand erwirtschaftet werden. Über die Verteilung kann man danach reden.« Bei der Staatsverschuldung müsse Italien vorsichtig sein, »denn wir wissen: Viele Spekulanten warten nur auf eine Entschuldigung, um gegen Italien loszuwetten«.
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