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Gysi meint es ernst mit der Raffinerie
Die Linke setzt sich mit einer Kundgebung für die Rettung des PCK Schwedt ein
Ist das ernst gemeint? »Ja«, sagt der Brandenburger Landtagsabgeordnete Andreas Büttner (Linke). Denn so heißt die Potsdamer Band: Ernstgemeint. Sie spielt am Samstag live auf dem Platz der Befreiung im uckermärkischen Schwedt als Vorgruppe von drei Politikern der Linken, die hier gleich reden werden: der Landesvorsitzende Sebastian Walter, der Bundesvorsitzende Martin Schirdewan und der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi.
Es geht ihnen um die Rettung der hiesigen PCK-Raffinerie, die nach ihrer Ansicht nicht von russischem Erdöl aus der Pipeline Druschba (Freundschaft) abgeklemmt werden sollte oder wenigstens mit kasachischem Öl versorgt werden müsste, solange es dazu keine Alternative gibt, wie Sebastian Walter sagt.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist schon zweimal hier gewesen, hat sich einmal auf dem PCK-Firmengelände auf einen Tisch gestellt und zur Belegschaft gesprochen und beim zweiten Mal auf dem Platz der Befreiung von einer Bühne herunter zu Einwohnern der Stadt. Habeck versuchte, den Menschen die Angst zu nehmen, mit einem Embargo für russisches Öl aus der Pipeline ab Januar 2023, das sich Deutschland selbst auferlegt hat, könnte die PCK-Raffinerie den Bach heruntergehen und mit ihr die ganze Stadt.
Aber genau das könnte geschehen, glaubt auch der Stadtverordnete Reiner Prodöhl (Linke). »Wenn das PCK stirbt, wäre das ein schwerer Schlag für die Region. Es sind nicht nur die 1200 Beschäftigten«, weiß der 69-Jährige. Es hängen noch mehr Jobs an dem Betrieb. Die Kaufkraft würde sinken. Noch mehr Kunden würden für ihre Besorgungen nach Polen fahren, wo es billiger ist. Läden diesseits der Grenze müssten Personal einsparen oder ganz schließen.
Dabei hat die Stadt, die in der DDR mit dem Petrolchemischen Kombinat (kurz: PCK) wuchs und blühte, schon genug Schwierigkeiten. Die Jugend gehe zum Studium fort und kehre nicht wieder, bedauert Prodöhl. Sein Sohn ist seit 25 Jahren weg und kommt aus Düsseldorf nur noch zu Besuch. Das Problem betrifft auch die Parteiorganisation. Von 86 Genossen in Schwedt sind viele so alt, dass sie nicht mehr mitwirken können. Etwa 20 Aktive bringt die Basisorganisation noch auf die Beine, darunter nur zwei junge Leute.
Gegen 13.30 Uhr beginnt es am Samstag zu regnen und laut Wettervorhersage wird es bis 17 Uhr nicht mehr aufhören. Die Genossen, die auf dem Platz der Befreiung Stände und ein Riesentransparent aufgestellt haben, werden nervös. Fällt die ab 15 Uhr geplante Kundgebung buchstäblich ins Wasser? Doch diese Befürchtung erweist sich als unbegründet. Kurz vor 15 Uhr füllt sich der Platz innerhalb von ein, zwei Minuten. Hunderte, vielleicht sogar knapp 1000 Menschen strömen mit Regenschirmen und Regenjacken herbei oder stellen sich an den überdachten Eingängen der Geschäfte ringsum unter. »Wir können es noch«, strahlt der Landesvorsitzende Walter. Nach den innenparteilichen Streitereien und den schweren Wahlniederlagen der vergangenen Jahre mussten Zweifel aufkommen, ob Die Linke noch Massen mobilisieren kann. Aber eine Vermutung von Walter scheint sich als richtig zu erweisen: Wenn die Sozialisten die Beschäftigung mit sich selbst beenden und sich den Problemen der Bevölkerung zuwenden, dann werden sie gehört und auch wieder gewählt. In der jüngsten Prognose des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap verbesserte sich Die Linke in Brandenburg immerhin von sieben auf neun Prozent. Im Bundesmaßstab verheißen die Umfragen der Partei jetzt wenigstens wieder fünf Prozent und nicht nur vier.
»Diese Fackel brennt jetzt seit über 60 Jahren«, sagt Walter über ein Wahrzeichen von Schwedt, den Turm mit der Flamme auf dem PCK-Betriebsgelände, die über den Baumwipfeln zu sehen ist, wenn man mit dem Zug aus Berlin in die Stadt kommt. Die Fackel stehe für gut bezahlte Arbeitsplätze und die Möglichkeit, mit Benzin aus der Raffinerie im Auto zur Arbeit, zu Verwandten und zu Freunden fahren zu können, erzählt Walter. Diese Gewissheiten gibt es jetzt nicht mehr. Walter fordert deshalb eine Milliarde Euro für den Strukturwandel und damit doppelt so viel, wie bislang versprochen. Denn es ist klar, dass es mit fossilen Brennstoffen nicht ewig weitergeht. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt nur den ohnehin unausweichlichen Wandel. Dabei soll Schwedt aber nicht unter die Räder kommen. Bundeswirtschaftsminister Habeck und Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sollen »die Taschen aufmachen«, verlangt Walter. Beim Land Brandenburg liegt noch eine Milliarde Euro aus dem Corona-Rettungsfonds herum, die nach Ansicht der Linksfraktion auch anderweitig verbraucht werden könnte, was das Finanzministerium allerdings bestreitet.
Nach Sebastian Walter soll laut Ablaufplan Gregor Gysi auftreten. Doch der geriet in einen Stau und verspätet sich. Also wird die Ansprache des Parteivorsitzenden Schirdewan vorgezogen. Schirdewan ist klar, auf wen die Zuhörer warten und er bittet sie um etwas Geduld. Als Gysi endlich erscheint, braust Applaus auf. Aber Beifall gibt es vorher auch für Schirdewan, als dieser erklärt: »Die Menschen in diesem Land ächzen unter der Preisentwicklung.« Lebensmittel seien 17 Prozent teurer geworden. Der Gaspreisdeckel sei nur unter dem Druck der Straße versprochen worden. »Jetzt muss die Bundesregierung endlich liefern.« Als Schirdewan mahnt, den Sozialprotest nicht »rechten Rattenfängern« zu überlassen, es brauche keine Energiepreis-Pegida, da buhen ein oder zwei Zuhörer und drei oder vier verlassen den Platz.
Ein Mann mit der verdächtigen Aufschrift »Letzte Legion Walhalla« auf seiner Kleidung fällt auf. Aber es sind reichlich Ordner eingesetzt, die ihn im Auge behalten und darauf achten, dass niemand ein Transparent mit einer rassistischen Losung entrollt oder etwas anderes in dieser Art tut. Die Deutsche Kommunistische Partei dagegen darf ihre Fahnen schwenken. Sie sind rot wie die der Linkspartei. Auch Lutz Jonas lassen die Ordner gewähren. Er ist mit einem Handwagen gekommen, wie ihn die gelernten DDR-Bürger unter der scherzhaften Bezeichnung Klaufix kennen. Darauf hat er mit einem Holzkreuz, einer chilenischen Fahne, einem Strohhut und Efeu ein Grab gebastelt, aus dem sich ein Stinkefinger erhebt. Die Botschaft dieser humorvollen Installation: Der verblichene Staats- und Parteichef Erich Honecker signalisiert aus seiner letzten Ruhestätte den Ostdeutschen: »Ihr habt es so gewollt. Nun habt ihr den Salat.«
Doch als Gysi die Bühne betritt, hat dafür niemand mehr Augen. Die Blicke sind zu ihm gerichtet. »Nato und EU haben bei der Ukraine so gut wie alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte«, leitet Gysis seine Bemerkungen ein. »Aber das rechtfertigt keinen Angriffskrieg«, stellt er klar. »Ich habe nichts gegen Sanktionen gegen die russische Führung, nichts gegen Sanktionen gegen das russische Militär.« Aber Strafmaßnahmen sollten sich nicht gegen die russische Bevölkerung wenden, zumal diese jetzt vorsichtig gegen die Teilmobilisierung aufbegehre. Deserteuren müsse man Asyl gewähren. Passend zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober formuliert Gysi: »Wenn die Raffinerie im Westen wäre, wäre sie längst gerettet.«
Jetzt muss Gysi zum nächsten Termin, steigt von der Bühne, signiert noch schnell ein ihm hingehaltenes Buch und schon ist er aus dem Blickfeld entschwunden. Die Band Ernstgemeint spielt wieder, bedankt sich bei allen, die trotz des Regens ausharren. Doch das sind nicht viele. Der Platz leert sich fast so schnell, wie er sich etwas mehr als eine Stunde zuvor gefüllt hatte.
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