Die Kulturindustrie feiert sich selbst

Die Serie »Irma Vep« ist eine Hommage ans Kino und erzählt ganz postmodern davon, Künstlerin zu sein

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Mira, die bodenständigste Figur in diesem Chaos voller selbstgerechter und vor sich hin leidender Diven.
Mira, die bodenständigste Figur in diesem Chaos voller selbstgerechter und vor sich hin leidender Diven.

Kaum eine HBO-Serie hat die Riege der Filmkritiker in den vergangenen Jahren so sehr begeistert wie »Irma Vep«. Sie war im Programm des Filmfestivals in Cannes, lief in den USA schon im Juni an und ist jetzt auf Sky zu sehen. Die achtteilige Serie des französischen Regisseurs Olivier Assayas ist ein Remake seines eigenen Kinofilms gleichen Titels aus dem Jahr 1996, der wiederum nach den Motiven des legendären Stummfilms »Les Vampires« von 1915 konzipiert ist.

»Irma Vep« erzählt von einem Filmdreh und ist eines jener komplexen postmodernen Verwirrspielchen um Erzählung, Autor, Fiktion und Kunstproduktion, die wie ein Brennglas die Befindlichkeiten der kulturschaffenden Klasse widerspiegelen. Die Serie adressiert explizit ein bildungsbürgerliches Publikum und handelt soziale Fragen eher – wenn überhaupt – auf einer kryptischen Metaebene ab. Wobei diese sich nach anstrengendem Kunstkino anhörende HBO-Serie zugegebenermaßen wirklich flott und über weite Strecken unglaublich unterhaltsam daherkommt.

Das hat vor allem mit dem großartigen Schauspielerensemble zu tun, unter anderem auch mit einem Lars Eidinger, der hingebungsvoll den cracksüchtigen, reaktionären und bis ins Mark avantgardistischen Schauspieler Gottfried gibt. Der ruiniert mit seinem divenhaften Verhalten fast den ganzen Filmdreh. Mit von der Partie ist als Kostümbildnerin Jeanne Balibar, die Tochter des französischen Post-Marxisten Etienne Balibar, und in der Titeltrolle der »Irma Vep« glänzt Hollywood-Superstar Alicia Vikander.

»Irma Vep« erzählt vom Filmemachen, vom Kampf um künstlerische Freiheit, von queerem Begehren, von ökonomischen Zwängen und daraus resultierender Entfremdung, von Fetischismus, von der französischen Filmgeschichte, von Paris als Projektionsort amerikanischer Sehnsucht nach kultureller Tiefe und von den Nöten eines erfolgreichen Filmstars.

Im Zentrum steht Mira (Alicia Vikander), die gerade im Mega-Blockbuster »Doomsday« als Superheldin internationalen Erfolg feiert und anschließend in einer französischen Serie mitspielt, die der latent neurotische Independent-Regisseur Rene Vidal (Vincent Macaigne) dreht. Mira spielt jetzt »Irma Vep« – der Name ist ein Anagramm aus »Vampire« – und ist gleichzeitig die schurkische weibliche Hauptperson in Louis Feuillades zehnteiligem Kult-Film »Les Vampires«. Diesen Vorläufer des Surrealismus, der als Meilenstein der Filmgeschichte gilt, will Rene Vidal möglichst detailgetreu reinszenieren und läuft ständig das Original auf seinem Handy abspielend den Schauspielern hinterher. Wobei die Arbeit am Film prismatisch die Befindlichkeiten aller daran beteiligten Personen bricht.

Mira leidet unter der Trennung von ihrer Freundin Lauri (Adria Arjona), der sie in Paris begegnet. Die hat mittlerweile den netten, aber etwas einfach gestrickten Erfolgsregisseur von »Doomsday« geheiratet und spielt mit ihrer Ex-Geliebten jetzt hingebungsvoll Katz und Maus. »Irma Vep« erzählt von der langsam eskalierenden Situation rund um den Filmdreh, wobei die privaten Sorgen, Nöte und Begehrlichkeiten der Schauspieler und der Filmschaffenden immer mehr mit dem Filmprojekt verschmelzen.

Der französische Regisseur Rene Vidal verzweifelt bald an seinem Lebensprojekt, da der Geldgeber, ein widerlicher reicher Fatzke, vor allem Mira als Modell für eine Parfümwerbung gewinnen will und den Film nur als Motivation für den Hollywoodstar sieht, der sich nach anspruchsvollem Kino sehnt.

Mira wird inzwischen von ihrer Agentin bedrängt, endlich den Vertrag für einen neuen Superheldenfilm zu unterzeichnen, während sie mit der Kostümbildnerin Zoe (Jeanne Balibar) ein Verhältnis beginnt, auch noch mit ihrem Ex-Freund ins Bett steigt und Gottfried (Lars Eidinger), der Darsteller des Bösewichts, derweil kotzend und Crack rauchend Partys, Drehorte und diverse Hotelzimmer unsicher macht.

Dabei ist der Superstar Mira, der von allen – egal ob sexuell, romantisch, ökonomisch oder künstlerisch – begehrt wird, die bodenständigste Figur in diesem Chaos voller selbstgerechter und vor sich hin leidender Diven. Und Mira ist es, die sich, wie so oft als Frau, um alle kümmert und Care-Arbeit für die verletzten Seelen leistet, während es ihr selbst immer schlechter geht, was aber niemand mitkriegen darf.

»Irma Vep« findet auf insgesamt fünf ziemlich geschickt miteinander verwobenen Ebenen statt. Das reicht von kurzen Szenen aus dem originalen Stummfilm von 1915 über dessen in Spielszenen inszenierte Produktion und den aktuellen Filmdreh 2022 in Paris bis zum dabei hergestellten Remake von »Les Vampires«, dazu kommen immer wieder Szenen aus dem Vorläufer von 1996.

All diese Ebenen kommunizieren miteinander und weben ein dichtes Netz von Bezügen, die alle um die Frage von Fiktion, Kunst und das Filmemachen an sich kreisen. Was bedeutet es, Schauspielerin zu sein und in eine Rolle zu schlüpfen und sie so auszufüllen, dass die Künstlerin irgendwann von ihr regelrecht übernommen wird? Wie funktioniert zeitgemäßes filmisches Erzählen? Das ist mitunter faszinierend, stellenweise etwas anstrengend, aber auf jeden Fall absolut sehenswert und unter dem Strich die flott inszenierte Selbstbeweihräucherung einer abgehobenen kulturindustriellen Klasse, die sich selbst abfeiert.

Verfügbar auf Sky.

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