Am Anfang ist das Wort

Die Geschichte des Begriffs FLINTA* zeigt dessen emanzipatorisches Potenzial, aber auch die damit verbundenen Probleme

  • Cordula Trunk
  • Lesedauer: 7 Min.
Sind die Rollen, die wir als sichtbare politische Subjekte einnehmen, selbst nur Ausdruck einer Konformität mit den Verhältnissen?
Sind die Rollen, die wir als sichtbare politische Subjekte einnehmen, selbst nur Ausdruck einer Konformität mit den Verhältnissen?

In Aufrufen zu Demonstrationen gegen »Gewalt gegen Frauen« findet sich immer öfter, dass das Wort Frauen durch den Begriff FLINTA* ersetzt wird – ein Akronym zur Bezeichnung von Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans und agender Personen. Der Begriff erfreut sich mittlerweile in der Politik wie auch in wissenschaftlichen Debatten immer größerer Beliebtheit. Aber die Bemühung um eine möglichst inklusive politische Praxis erzeugt durchaus Irritationen: Lässt sich das politische Subjekt Frau so umstandslos erweitern? Ist denn die Gewalt, die Frauen trifft, nicht eine andere als die gegen etwa Lesben oder trans Personen?

An derlei Fragen entzünden sich aktuell hitzige Debatten. Für die einen stellt der Begriff FLINTA* eine Errungenschaft dar: Aus einer queerfeministischen Tradition heraus, die sich etwa mit der Dekonstruktion und dem Namen Judith Butler verbindet, geht es darum, gesellschaftliche Ausschlüsse sichtbar zu machen und im besten Fall zu vermeiden. Durch eine möglichst breite Anerkennung von geschlechtlicher Vielfalt soll endlich niemand mehr ausgeschlossen werden. Das Subjekt Frau ist aus dieser Perspektive exkludierend und damit tendenziell auch transfeindlich und reaktionär. FLINTA* werfen den – vor allem weißen und westlich sozialisierten – Frauen vor, ihre privilegierte Position gegenüber anderen unterdrückten Gruppen nicht zu reflektieren und die Unterdrückung dadurch zu reproduzieren. Überhaupt sei ja die Berufung auf Geschlecht hinfällig und ein überkommener Biologismus. Entsprechend geht es in den Auseinandersetzungen mehr um Sprachpolitik, Safe Spaces und die Möglichkeiten zur Neudefinition geschlechtlicher Identitäten.

Auf der anderen Seite verurteilen jene vermeintlich gestrigen Frauen den Begriff FLINTA* als akademische und queere Spielerei, die letztlich regressive Tendenzen befördere. Mit dieser würde die durch die Frauenbewegung mühsam erkämpfte Emanzipation der Frauen bedroht oder gar rückgängig gemacht – und das ausgerechnet jetzt, wo Frauen historisch endlich eine Rolle spielten. Wo solle es denn enden, wenn eine Bewegung für Gleichheit in immer mehr und kleinteiligere Identitäten zerfalle?

Konflikt um das Subjekt Frau

Um zu begreifen, was mit der Diskussion um FLINTA* auf dem Spiel steht, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des Begriffs. Denn es ist keinesfalls ein Modebegriff der letzten Jahre, sondern dessen Entstehung reicht knapp 50 Jahre in die Auseinandersetzungen der Frauenbewegung zurück – und ist entsprechend angereichert mit deren Konflikten. In den 70er und 80er Jahren spalteten sich lesbische Frauen in der autonomen Frauenbewegung von denjenigen ab, die sich immer stärker auf die Suche nach einer Identität Frau konzentriert hatten. Die lesbischen Frauen fühlten sich nicht mitgemeint bei diesem feministischen »Wir« und kritisierten dessen universellen Repräsentationsanspruch.

Die alltäglichen Erfahrungen jener Frauen unterschieden sich von denen ihrer heterosexuellen Freund*innen: Weder waren sie mit einem Mann in Beziehung und mussten deshalb über die Aufteilung der Care-Arbeit, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch streiten, noch spielten Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe eine Rolle für sie – schon allein, weil sie gar nicht heiraten durften. Dieser Streit ist als »Lesben-Hetera-Konflikt« in die Geschichte der feministischen Bewegung eingegangen. Um ihren Standpunkt deutlich zu machen, wählten die lesbischen Frauen eine neue Bezeichnung für sich: die politische Identität der Lesbe oder FrauenLesbe. Das F und L des Begriffs FLINTA* stammt daher.

In den 80er Jahren kam es in den USA zu weiteren Differenzierungen der Diskurse, und die Tatsache rückte immer stärker ins feministische Bewusstsein, dass es auch andere geschlechtliche Identitäten gibt, die unter dem Patriarchat leiden. In Deutschland war vor allem Judith Butlers Buch »Das Unbehagen der Geschlechter« (Gender Trouble) einflussreich, das 1991 in deutscher Übersetzung erschien. Damit traf die sogenannte Queer Theory auf die deutsche feministische Theorielandschaft und Bewegung. Butler vertrat die These, dass nicht nur die soziale Geschlechtsidentität (Gender), sondern auch das biologische Geschlecht (Sex) eine Konstruktion sei, weshalb es viel mehr Subjektivitäten als Männer und Frauen gebe. Zur selben Zeit etwa gründeten trans Personen in den USA Gruppen wie The Transexual Menace, und das Intersex Movement rief weltweit inter und trans Personen dazu auf, für ihre Rechte zu kämpfen.

Spätestens ab den 2000er Jahren gab es auch in Deutschland Debatten um inter Personen, Transinklusion und -exklusion. Trans Frauen machten dabei ebenfalls geltend, dass sie im politischen Subjekt Frau nicht mitgemeint seien und litten unter Benachteiligung, prekären Existenzen und massiver transfeindlicher Gewalt. Bis heute werfen ihnen etwa sogenannte Terfs (Trans exkludierende radikale Feministinnen) vor, keine »echten« Frauen zu sein, und bestreiten damit auch den Anspruch auf die Emanzipation, die für Frauen erkämpft worden sei. Die Kämpfe von trans und inter Personen fordern diese Emanzipation ein und Anerkennung ist deren erste Bedingung. Daher wurde aus FrauenLesben ein Frauen, Lesben, trans und inter, kurz FLTI oder manchmal auch FLTI* beziehungsweise FLIT. Trans und inter Personen wurden dadurch deutlicher sichtbar und konnten sich so besser für ihre Anliegen einsetzen.

Dieser Anspruch ließ sich erweitern, etwa durch diejenigen, die weder Frau noch Lesbe, nicht trans oder inter waren. So machten schließlich die Nichtbinären, Non-Binarys (oder kurz enbys), auf sich aufmerksam. Nichtbinarität wurde in den USA bereits seit den 90er Jahren diskutiert, die Debatte fand aber erst 2010 größere Beachtung (Judith Butler definiert sich etwa selbst seit 2019 als nicht binär). Es dauerte noch eine Weile, bis sich das N etablierte. Erst ab 2017 findet sich in programmatischen Texten die Bezeichnung FLINT* oder FINT*. Der Begriff FLINT* schließt dabei ausdrücklich Lesbe als geschlechtliche Identität mit ein und legt so eine Betonung darauf, feministische Errungenschaften der autonomen Frauenbewegung nicht unsichtbar zu machen. Das Sternchen verweist hingegen auf die Unabgeschlossenheit der Kategorie. Da die Aufzählung nicht erschöpfend ist und sich aber zugleich nicht alle anderen Menschen durch ein * repräsentiert fühlen, kam um das Jahr 2019 herum schließlich das A für agender hinzu. Agender Personen fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig oder lehnen das Konzept von Geschlecht ab.

Erst in Form von FLINTA* hat sich der Begriff auch im Mainstream durchgesetzt und ist sowohl in politischen Kreisen, der Wissenschaft wie auch einer feministischen Öffentlichkeit beliebt. Das ist aber nicht nur ein Zeichen der gelungenen Emanzipation. In der momentanen vierten Welle der feministischen Bewegung ist der Druck auf diese Bereiche größer geworden und feministische Emanzipationsansprüche lassen sich nicht einfach übergehen. Es braucht eine öffentliche Auseinandersetzung und der Begriff FLINTA* liefert da eine Art bequemen Kompromiss. Er erhöht die Sichtbarkeit jener Identitäten, aber er kann auch einfach von jenen benutzt werden, die moralisch auf der richtigen Seite stehen und niemanden ausschließen wollen. Wenn die geschlechtliche Identität einer Person unbekannt ist, kann sie einfach als FLINTA* adressiert werden. FLINTA* ist als Wort so lang wie Frauen und hört sich sogar ein bisschen ähnlich an. Aber der Gebrauch des Begriffs ist deshalb nicht automatisch eine Auseinandersetzung mit den prekären Lebensrealitäten von zum Beispiel trans Personen, geschweige denn eine Maßnahme dagegen.

Macht das Patriarchat alle gleich?

Sichtbarkeit ist immer die erste politische Forderung. Den Kampf darum, als politisches Subjekt anerkannt zu werden, müssen daher alle unterdrückten Gruppen führen. Emanzipation ist das aber noch nicht – und das ist im besten Fall allen Beteiligten klar. Entsprechend forderten linke Feminist*innen, ob sie sich nun als Frauen oder als FLINTA* definierten, immer, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes Wesen ist. Diese Forderung ist der Lackmustest, um welche Art von Feminismus es sich handelt: ein bloß (neo-)liberaler Feminismus, der die bestehenden Unterdrückungsverhältnisse trotz Anerkennung von Diversität unangetastet lässt, oder einer, der universelle Emanzipation anstrebt.

Denn so sehr sich das politische Subjekt Frau auch ausdifferenziert hat, alle FLINTA* sind aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität patriarchal diskriminiert, allerdings alle anders. Sowohl die Schwarze nicht binäre Lesbe als auch die weiße cis Frau sind von patriarchaler Herrschaft betroffen – aber reicht das schon für eine politische Allianz? Die Nutzung des Begriffs und die Anerkennung der verschiedenen Subjekte können maximal der Anfang einer politischen Auseinandersetzung sein, jedoch niemals deren Ziel. Der Begriff unterstellt ein Bündnis, das nicht automatisch besteht, sondern nur durch einen mühsamen Aushandlungsprozess über gemeinsame politische Ziele hergestellt werden kann.

Linker Feminismus muss klarstellen, dass der schöne Regenbogenschein eines perfekt in die Warenwelt integrierbaren Diversity-Managements natürlich noch keine Emanzipation ist. Aber zugleich darf er diesen gesellschaftlichen Widerspruch nicht auf jene projizieren, die zu Recht Ansprüche auf Anerkennung und Sichtbarkeit stellen. Queers und FLINTA* sind nicht die Feind*innen der Frauenemanzipation, ebenso wenig wie Frauen die Kronzeug*innen gegen andere Emanzipationsansprüche sein dürfen. Denn all das spielt kapitalistischer Ausbeutung und rassistischer, patriarchaler Zurichtung der Menschen in die Hände.

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