Sorgen um Schulden

Herbsttagung von IWF und Weltbank findet in schwierigen Zeiten statt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Zweifel an den britischen Staatsfinanzen lösten kürzlich einen Ausverkauf beim Pfund aus. Die Währung sank zum amerikanischen Dollar in ein historisches Tief. Auslöser war die Ankündigung von Steuersenkungen durch die neue Premierministerin Liz Truss. Auch der Wahlsieg der designierten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni löste Turbulenzen auf den Finanzmärkten aus. Der Zinsabstand zwischen zehnjährigen Staatsanleihen aus Italien und Deutschland stieg auf 240 Basispunkte (2,4 Prozentpunkte). Sogar der Wechselkurs des Euro gab nach. Mittlerweile hat sich die Lage in Italien und Großbritannien wieder ein wenig beruhigt. Doch an den Finanzmärkten herrscht Unsicherheit.

Die hohe Inflation, teure Zinsen und die steigende Verschuldung sorgen die Akteure, schreiben Analysten von Großbanken. Der »Doppelwumms« in Deutschland oder der finanzpolitische Kurs der neuen Regierung in Rom belasten den Devisenmarkt. Gleichzeitig dürften die Entlastungen, die viele EU-Regierungen für Bürger und Unternehmen planen, den Inflationsdruck noch erhöhen. Die kräftigen Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der Bank of England drohen zudem, die durch extreme Energiepreise belastete Konjunktur weiter auszubremsen.

Im Ergebnis wachsen die Schulden der EU-Staaten wieder. Was jedoch für die stärkste Volkswirtschaft in der Europäischen Union, Deutschland, verkraftbar erscheint, bereitet anderen handfeste Probleme: In Belgien, Portugal oder Zypern ist der Schuldenberg so hoch wie die jährliche Wirtschaftsleistung (BIP), in Griechenland sogar doppelt so hoch. Für die Stabilität der Eurozone heikler sind die großen Drei: Auch in Spanien und Frankreich erreicht die Schuldenlast die Höhe des BIP, und in der drittgrößten Volkswirtschaft der EU, Italien, macht sie rund das Anderthalbfache der Wirtschaftsleistung aus.

Die EZB versucht mit ihrem neuen, unter linken Ökonomen durchaus umstrittenen Notfallprogramm TPI gegenzusteuern, indem sie Staatsanleihen von schwächelnden Euro-Ländern aufkauft. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will EU-Kredite aufnehmen, um diese dann an einige Mitgliedstaaten weiterzureichen. »Italien wird das Eurosystem in den nächsten sechs Monaten belasten«, warnte dennoch der frühere Bundesbankpräsident Axel Weber vergangene Woche.

Die Herausforderung sind weniger die absoluten Schuldenhöhen als steigende Zinssätze. Was in Zeiten von Minuszinsen sogar ein lukratives Zusatzgeschäft für Finanzminister wie Olaf Scholz war, entpuppt sich in Zeiten steigender Zinsen als Risiko. Müssen die Staaten gar erneut viele Milliarden Zinsen auf ihre gepumpten Milliarden zahlen, wird es richtig teuer. Was den wirtschafts- und sozialpolitischen Spielraum der Regierungen erheblich einschränken könnte. Mancher auf Kante genähte Staatshaushalt droht dann sogar zu platzen.

So erging es im Sommer Sri Lanka. Die frühere britische Kolonie Ceylon erlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit ihrer Unabhängigkeit 1948 – der Inselstaat im Indischen Ozean ist bankrott. So schlimm dies für viele der rund 20 Millionen Einwohner ist, für das Finanzsystem ist Sri Lanka unbedeutend. Wie in der EU oder Lateinamerika schauen die Experten von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank, deren Herbsttagung heute in Washington beginnt, auch in Asien vornehmlich auf Schwergewichte wie Indien, Thailand oder Vietnam. Deren Wachstumsgeschichte liest sich allerdings, wenigstens in der Fassung der deutschen Außenhandelsorganisation GTAI, noch recht freundlich.

Weltbank, IWF und Asiatische Entwicklungsbank warnen jedoch vor sich »überlappenden Krisen«: Die Corona-Folgen dämpfen das Wachstum, die Inflation treibt mehr Menschen in Armut, die Ernährungskrise weitet sich aus und die Folgen des Klimawandels sind deutlicher zu spüren. All das schlägt sich negativ in den Staatshaushalten nieder.

Dazu kommt, dass die erdölexportierenden Länder und ihre Verbündeten (Opec plus) die Öl- und damit auch die Gasproduktion deutlich kürzen wollen, um die Preise hochzuhalten. Derweil machen sich die reichen EU-Länder bei Gas und Erdöl gegenseitig auf dem Weltmarkt Konkurrenz, was die Preise zusätzlich in die Höhe treibt. Vor allem Deutschland kauft nun armen Ländern wie Bangladesch das Flüssiggas weg.

Für Unruhe unter Bankanalysten sorgt obendrein, dass »die USA die Welt vor sich hertreiben«. Gemeint sind aggressive Zinserhöhungen durch die Notenbank Fed, die den Dollar extrem stark machen. Der Dollar gilt in Zeiten der Krise bei Investoren als sicherer Hafen. Im Gegenzug geraten andere Währungen unter teils erheblichen Druck.

Vor allem Staaten, die stark in der weltweiten Leitwährung verschuldet sind, stehen bei ihren Auslandsschulden möglicherweise bald vor einem Scherbenhaufen. Der seit langem von Organisationen prophezeite Kollaps Dutzender armer Länder droht nun tatsächlich. Initiativen wie Erlassjahr fordern vor allem von den reichen G7-Staaten, »endlich konkrete Schritte zur Lösung der Schuldenkrise im Globalen Süden zu unternehmen«.

Gar so schlimm muss es nicht kommen. Nach der Corona-Delle waren die Staatsschulden in der EU wie in den meisten Ländern gesunken. Es gibt also Puffer oder zumindest bleibt ein Zeitfenster für politische Reaktionen offen. Zudem sieht die IWF-Prognose für den Globalen Süden immerhin noch Wachstum vor. Andere Indikatoren zeigen, dass der Welthandel seine Lieferketten-Probleme überwindet. Sogar vor britischen Häfen soll sich der Schiff-Stau aufgelöst haben.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.