Toningenieure der Seele

Meister der Ideologiekritik: Ein Buch feiert 40 Jahre Laibach

  • Uwe Schütte
  • Lesedauer: 5 Min.
Nicht als Ideologiekritiker erkannt: Laibach in Pjöngjang.
Nicht als Ideologiekritiker erkannt: Laibach in Pjöngjang.

Wie tiefgreifend die Punkrevolution das Feld der Popmusik erschütterte, zeigte sich in dem, was danach, gleichsam aus den unteren Schichten, ans Tageslicht kam. So zum Beispiel das Konzept einer Popmusik, die das Überwältigungspotenzial der Verknüpfung von Klang, Visuellem und Styling zur Manipulation des Konzertpublikums experimentell zu nutzen suchten. Musik als Instrument von Propaganda sowie Erkenntnis. Der Musikstil, der das leistete, war der Industrial: die Geburt radikaler kultureller Subversion aus dem Geist (post-)industrieller Depravation.

Zum einen, genauer gesagt, dem krisenhaften Großbritannien der Thatcher-Periode, wo inmitten vom sozialen wie ökonomischen wasteland um das nordenglische Hull Cosey Fanni Tutti und Genesis P-Orridge mit Throbbing Gristle samt Label Industrial Records zu Urhebern wie Taufpaten des Industrials wurden. Die lärmende Antimusik sollte das Publikum durch Lautstärke wie durch die Erzeugung bestimmter Frequenzen, die Brechreiz, Halluzinationen etc. auszulösen vermochten, körperlich wie mental affizieren. Hören mit Schmerzen. (Die akustischen Foltermethoden, die das US-Militär später gegen echte oder vermeintliche Terroristen einsetzte, schließen nahtlos an die Experimente von Throbbing Gristle an.)

Der andere Zweig des Industrials hingegen fand seinen Ansatzpunkt im Ideologischen, operierte als radikalästhetische Intervention im Feld des Politischen. Die Urheber dieser Variante, die ein gewisses Maß an Intellekt sowohl erforderte wie belohnte, ist das 1980 gegründete Performancekollektiv Laibach. Die konformitätsresistente Konzeptkunstkapelle stammt aus der slowenischen Industrieregion Trbovlje und hat sich zuletzt durch ihre auf Texten von Heiner Müller basierende Theaterperformance »Wir sind das Volk« (2020) hervorgetan. Laibachs aktuelles Projekt ist eine auf dem slowenischen Erfolgsroman »Alamut« von Vladimir Bartol basierende Kooperation mit persischen Symphonieorchestermusikern, die unlängst in Ljubljana Premiere hatte und prospektiv in Teheran aufgeführt werden soll – sofern die politischen Zustände es erlauben.

Spätestens jedoch seitdem Laibach mit ihren Versionen der Kitschstücke des Musicals »The Sound of Music« und Interpretationen koreanischer Volkslieder im August 2015 als erste »westliche« Popmusikgruppe in Pjöngjang aufgetreten sind, scheint wenig unmöglich. Diese Konzerte waren ein Husarenstück sondergleichen, an dem sich Laibachs ästhetische Kernstrategie subversiver Überidentifikation exemplarisch illustrieren lässt: Die nordkoreanischen Machthaber und Kulturpolitiker waren unfähig, das aus Versatzstücken rechter wie linker Totalitarismen zusammengebastelte Styling von Laibach als Ideologiekritik zu erkennen – allzu vertraut und »normal« erschienen der uniforme Look und das militärische Styling der Musiker. Das galt auch etwa für die Videoprojektionen euphorisch glücklicher Kinder, die Laibach aus der Verfilmung des Rodgers/Hammerstein-Erfolgsmusicals entlehnten, um auf die Nähe zwischen Hollywood-Kitsch und totalitärer Propaganda aufmerksam zu machen. Den kulturindustriellen Konnex zwischen Stadionpop und Faschismus hatte Laibach bereits Mitte der 80er Jahre so unmittelbar wie mit entwaffnender Überzeugungskraft erfahrbar gemacht anhand ihrer Versionen von Queens »One Vision« oder Opus’ »Live is Live«, bei denen sie einfach die Texte wörtlich ins Deutsche übersetzten, um das faschistische Unterfutter sichtbar zu machen.

Über die Wurzeln von Laibach, also die Phase im ersten Jahrfünft der 80er, als ihr Frontmann Milan Fras primär auf Slowenisch sang, ist hierzulande weniger bekannt, zumal der abweisende Industrial-Sound reguläre Pophörer zu verstören sucht. Umso willkommener ist daher der jüngst erschienene Foto-Essay-Hybrid »Laibach: 40 Years of Eternity«, für den der altgediente Laibach-Mitstreiter und selbsternannte »letzte Dichter von Jugoslawien«, Teodor Lorenčič, verantwortlich zeichnet. Die oft bestechenden Fotografien, die Lorenčič 1983 bei den ersten Laibach-Auftritten jenseits ihrer Heimat geschossen hatte, waren jahrzehntelang verschollen, tauchten aber glücklicherweise vor zwei Jahren wieder auf.

Es sind eindrucksvolle Momentaufnahmen der Occupied Europe Tour, die Laibach quer durch das vom Eisernen Vorhang geteilte Europa unternahmen. Mehr ein Abenteuer mit offenem Ausgang als reguläre Konzertrundreise – Laibach durchkreuzten in ihren Militäruniformen den Kontinent, um auf Bühnen in Ost wie West ein ohrenbetäubendes Spektakel aus industriellem Lärm zu entfesseln, komplementiert durch Videoprojektionen mit kommunistischem Propagandamaterial und Pornofilmen sowie einer Bühnenshow, die totalitaristische Militärikonografie mit Versatzstücken slowenischer Volkskultur verband. Jeder Grenzübertritt zwischen den politischen Systemen stellte die Truppe vor ein anderes Problem. Das galt insbesondere für die schikanösen Kontrollen an den Grenzposten der DDR samt solcher Zwischenstopps wie in Karl-Marx-Stadt.

Erkennbar durch den opulenten Band von Lorenčič wird ebenso, dass die Tour, die nahezu exakt zum Jahrestag des Ritualsuizids von Tomaž Hostnik, einem Laibach-Gründungsmitglied, begann, als eine Art magisches Verabschiedungs- und Gedenkritual für den mit nur 21 Jahren verstorbenen Freund diente. Am Ende der einjährigen Tournee hatte Laibach rund 5000 Kilometer überwunden, um 17 Konzerte in 16 Städten und acht Ländern zu spielen. In Jugoslawien hatten sie zwar unverändert Auftrittsverbot, aber dank eines Plattenvertrags mit Mute Records, den sie als Krönung zum Abschlusskonzert in London erhielten, konnte die nächste Phase der Bandgeschichte beginnen.

»We Forge The Future«, lautet eines ihrer frühen Stücke. Als popkulturelle »Ingenieure der menschlichen Seele« sind Laibach, die ihr Repertoire längst schon um Interpretationen von hochkulturellen Referenzpunkten wie Bach-Kompositionen und Nietzsche-Bearbeitungen erweitert haben, mit ihrer popmusikalischen Ideologiekritik spätestens seit Februar 2022 wieder so aktuell wie lange nicht mehr. Zwei der zentralen Lärmkunstwerke der Occupied Europe Tour lauten »Smrt za Smrt« (Tod um Tod) und »Cari Amici Soldati« (Liebe Soldatenfreunde), dessen Refrain lautet: »I tempi della pace / Sono passati!« – Die Zeiten des Friedens sind vorbei. Laibach liefern den passenden Soundtrack zum Kriegswinter, der nun ins Haus steht.

Teodor Lorenčič: Laibach. 40 Years of Eternity. Glasnik Verlag. 292 S., br., 39,90 € – in englischer Sprache. Zu beziehen über wtc.laibach.org.

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