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Wimmelbild der Macht
Schorsch Kamerun zeigt in Bremen die Barock-Oper »King Arthur« als Musiktheater-Happening
Ich glaube, mich kann man nur an die Oper holen, wenn man etwas Spezielles vorhat«, sagte Schorsch Kamerun letztes Jahr in einem Interview. Da arbeitete er gerade an seiner ersten Fassung der Oper »King Arthur« aus dem Jahr 1691 von Henry Purcell. Am Theater Bremen, das die Inszenierung in Auftrag gegeben hatte, sind spezielle Vorhaben im Musiktheater keine Seltenheit. Spartenübergreifende Produktionen, radikale Regieansätze und Uraufführungen ist das hiesige Opernpublikum deshalb durchaus gewohnt, nicht zuletzt seit der Regisseur Benedikt von Peter, mittlerweile Intendant in Luzern, hier vor rund zehn Jahren im Musiktheater eine kurze Weile mit teils spektakulären Produktionen für Furore sorgte.
Insofern war »King Arthur« für Schorsch Kamerun gewiss das größere Wagnis. Der Musiker, vor allem für seine Arbeit mit der Avantgarde-Punk-Band Die Goldenen Zitronen bekannt, ist zwar seit mehr als 20 Jahren auch als Regisseur an verschiedenen Theatern tätig, bislang allerdings vor allem im Schauspiel. »King Arthur« ist nach der Kurzoper »Trouble in Tahiti« von Leonard Bernstein, die er 2009 in München präsentierte, erst seine zweite Regiearbeit im Musiktheater.
Eine erste Fassung von »King Arthur« war bereits im Sommer 2021 in Bremen vor dem Theater am Goetheplatz zu sehen, als Intervention im Stadtraum. Am vergangenen Samstag gab es im Haus nun das ganze Paket (Untertitel: »Musiktheater-Happening über alte und neue Katastrophen«) – mit den Bremer Philharmonikern, dem Opernchor, Mitgliedern des Opern- und Schauspielensembles, dem Musiker PC Nackt sowie einer schier unüberschaubaren Schar von Studierenden des Zentrums für Performance Studies der Bremer Universität, Mitgliedern der Jugendsparte Junge Akteur:innen und des Theaters der Versammlung. Und natürlich mit Kamerun selbst, der sich als Abendspielleiter Thomas Sehl (wie sein bürgerlicher Name lautet) vorstellt und durch den knapp eindreiviertelstündigen Abend führt.
»King Arthur« ist als sogenannte Semi-Oper, also als nicht durchkomponiertes Werk, in dem nicht zuletzt Schauspieler die Handlung vorantreiben, für Interventionen verschiedener Art ohnehin prädestiniert. Mit Kamerun als Regisseur für besondere Aufgaben und einem Bremer Ensemble, das sich quer durch die Sparten damit rühmen darf, auch mit avancierten Regieansätzen bestens zurechtzukommen, war ein politisch ambitionierter und formal fordernder Abend zu erwarten. Zumal es gleichsam ums Ganze gehen sollte: Mit Begriffen wie Machtverhältnisse, Blockdenken, Grenzziehungen, Ausgrenzungen und Autokraten umreißt Kamerun im Programmheft die Themen des Abends. Und als er zu Beginn einen »Erlebnisraum zum Ausprobieren von Machtsituationen« ankündigt, einen »Parcours Autoritaire« durch »Arthurland«, steigt die Spannung im Publikum. Klingt nach Mitmachtheater – ist aber keines. Stattdessen geht es auf der Bühne rund.
Rechts steht ein eingeschossiger Rohbau, links ein glitzernder Rundraum, aus dem vier futuristisch uniformierte Menschen treten und den Bühnenraum buchstäblich ausleuchten. Hier wird sich im Laufe des Abends ein schier undurchschaubares Geschehen entwickeln, das den eigentlichen Plot in seiner scheinbar banalen Schlichtheit verblassen lässt: Die Geschichte der Könige Arthur und Oswald, die nicht nur um England, sondern auch um die schöne Emmeline kämpfen, ist eher Anlass als Grund, ein »Wimmelbild« (Kamerun) zu entwerfen, das mit einer Gedanken- und Informationsüberfülle überfordert und irritiert. Da wird ein Schlagzeug auf- und wieder abgebaut – ohne dass es je gespielt würde. Da wird an einem Seminartisch Unerkennbares verhandelt, während hinten auf einer Leinwand zu sehen ist, was draußen auf dem Platz vor dem Theater geschieht. Dort wird getanzt, getrunken und vieles mehr.
Natürlich gibt es auch ein bisschen Purcell, makellos musiziert (musikalische Leitung: Lutz Rademacher) und gesungen (Marysol Schalitt, Nadine Lehner, Hyojong Kim und Christoph Heinrich), Kamerun und PC Nackt steuern reizvolle minimalistisch pulsierende Lieder bei, während die Abordnung des Schauspiels (Annemaaike Bakker, Karin Enzler, Guido Gallmann, Matthieu Svetchine und Christian Freund) den Machtkampf zwischen Arthur und Oswald darstellt.
Unmöglich, das in seiner Totalität zu erfassen, geschweige denn zu deuten. Und wenn am Ende immerhin unzweifelhaft durchgedrungen ist, dass es offenbar um Offenheit (gut) versus Abschottung (schlecht) geht, wirft Kamerun – man wähnte sich schon am Ende – noch ein paar neue Gedanken ins Spiel, die gewiss mit den Themen des Abends zu tun haben. Indes: Angesichts der Globalität der Themen gibt es wohl auch beinahe nichts, was nicht zum Thema passen würde.
Dass Liebhaber*innen barocker Opern hier nicht recht auf ihre Kosten kommen werden, ist dabei noch das kleinste Problem. Das Musiktheater an und für sich könnte neues Publikum schließlich gut gebrauchen, das sich an dem recht hierarchiefreien Nebeneinander von alter und neuer Musik, von archaischem Zweikampf und Tagesdiskurs erfreuen mag.
Allerdings ist Kameruns »King Arthur« auch in dieser Hinsicht eher unbefriedigend. Das beschworene Potenzial des Kollektivs bleibt Behauptung, weil aus der gezeigten Fülle kaum Bestimmtes entsteht; mit der Problematik der Herrscherfiguren verhält es sich kaum anders. Wenig ist zu sehen und vor allem zu hören von Voraussetzungen und Gründen ihres Strebens nach Hegemonie, kaum etwas zu erfahren über die Vorzüge gemeinschaftlicher Organisation – weder implizit noch explizit. Schauspiel und Operngesang, Barock und Songs fusionieren weder, bilden keine Synthese im Sinne von etwas Neuem, noch reiben sie sich produktiv aneinander. Weshalb am Ende nur unwesentlich mehr als ein etwas wohlfeiler Appell an einen Gemeinschaftssinn herauskommt, der inhaltlich kaum gefüllt wird.
Das Publikum bleibt dabei ohnehin außen vor. Interaktiv und kollektiv geht es nur auf der Bühne zu – da war das Musiktheater nicht nur in Bremen durchaus schon mal weiter. Auch wenn es angesichts der schieren Masse an Bühnenpersonal wohl auch kaum möglich gewesen wäre, die vierte Wand, die imaginierte Grenze zwischen Publikum und Bühne, einzureißen.
Erfreuen kann man sich dennoch an einigem, strahlt dieser »King Arthur« doch durchaus immer wieder eine spielerische Leichtigkeit aus, gibt es ein paar wunderschöne Gesangsnummern, erinnert manches der neuen Musik, die Kamerun mit PC Nackt ersonnen hat, angenehm an die spröde Kunst der Goldenen Zitronen, aber auch an spannende Pop-Entwürfe der vergangenen Jahrzehnte.
Sympathisch ist nach wie vor der unbekümmerte Zugriff auf das immer noch mit dem Schein des Elitären verbundene Operngenre – und nicht zuletzt auch auf den Stadttheaterbetrieb, der sich den einstigen Bilderstürmer*innen allerdings längst geöffnet hat. Schließlich ist Kameruns Zitronen-Kollege Ted Gaier mittlerweile ebenso regelmäßig am Theater zu sehen wie die Hamburger Punk-Ikone Jens Rachut.
Nächste Vorstellungen: 12., 16.11. und 14.12.
www.theaterbremen.de
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