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Klein, aber fein
»Spurensicherung« – eine Ausstellung zur Provenienzforschung an der Akademie der Künste in Berlin
Also, dass Paul Robeson tatsächlich je auf diesem als Ashanti- oder Chief-Chair bezeichneten Möbelstück Platz genommen hat, darf bezweifelt werden. Der eher zierlich wirkende Hocker, getragen von vier kunstvoll geschnitzten Figuren, hätte den gewichtigen Football-Player, Sänger und Schauspieler wohl kaum zu tragen vermocht. Vermutlich wurde dieser auch nicht irgendeinem Häuptling in Ghana entwendet, sondern als ein Schmuckstück in Dankbarkeit dem auch für die Rechte der afrikanischen Brüder und Schwestern streitenden US-amerikanischen Bürgerrechtler geschenkt.
Ein belastender kolonialer Kontext ist auszuschließen, meint Doris Kachel, Mitarbeiterin der Akademie der Künste (AdK) in Berlin. Aber wie kam das Kunststück an die Spree? Von Robeson zu einem seiner Besuche in der DDR, gefeiert als »Vertreter des anderen Amerika«, mitgebracht und weiterverschenkt? Nein, vermutlich hatte Robeson ihn der KP Großbritanniens vermacht, die mit diesem nach dessen Tod wiederum die ostdeutschen Genossen beglücken wollte.
Provenienzforschung ist mittlerweile in aller Munde, dominiert die Schlagzeilen seit zwei Dezennien, obwohl natürlich auch schon in den Jahrzehnten zuvor Museen, Archive, Bibliotheken Genaueres über die Wege ihrer Objekte wissen wollten und darüber Buch führten, wenn auch sicher nicht so akribisch wie in jüngster Zeit. Seit der Washingtoner Erklärung von 1998 ist die Ermittlung und Aufklärung zu gewaltsam respektive heimtückisch erworbenem Kulturgut mehr als ein moralisches Gebot. Obwohl es sich bei dieser Konvention um eine rechtlich nicht bindende handelt, die sich zudem auf in der NS-Zeit aus nationalen und privaten Sammlungen in ganz Europa entführte Kunstwerke bezieht, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig gemacht werden sollten, um sodann eine »gerechte und faire Lösung« für deren Rückgabe oder Verbleib zu finden. Diesem Beispiel folgte die Bundesrepublik ein Jahr später mit der Selbstverpflichtung zur Auffindung »verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes« (eine euphemistische Umschreibung von per Repression und Mord habhaftig gewordener Güter) sowie einer Handreichung zur Umsetzung dieser Prinzipien.
Erst danach gerieten auch die systematischen Raubzüge der Kolonialmächte in den Fokus. Zu den spektakulärsten Fällen gehören die westafrikanischen Benin-Bronzen oder das Luf-Boot aus dem Südpazifik, um die es im Zuge der Ausgestaltung des Humboldt-Forums zu einer lebhaften öffentlichen Debatte kam. Beleg dafür, dass es um mehr als Rechts- und Eigentumsfragen geht, sondern zuvörderst um Anerkennung historischen Unrechts und der ideellen wie identitätsstiftenden Bedeutung von Kunst für einst unterworfene, entrechtete und enteignete Völker.
Nunmehr hat auch die AdK begonnen, ihre Bestände zu durchforsten. Sie präsentiert jetzt erste Ergebnisse in der Ausstellung »Spurensicherung«. Ihr Anliegen ist es nicht nur, sich selbst ehrlich zu machen, sondern die Öffentlichkeit stärker für die Problematik zu sensibilisieren. Und zugleich zu zeigen, mit welch mühselig detektivischer Arbeit Provenienzforschung verbunden ist, wie Werner Heegewaldt, Direktor des Archivs der AdK zur Eröffnung der Exposition betont.
Mit über 1200 Künstlernachlässen und einer bis ins Jahr 1696 zurückreichenden Kunstsammlung und Bibliothek verfügt die hauptstädtische Akademie über eine der bedeutendsten Sammlungen in Europa. Während der ersten systematischen Prüfung ihres reichen Fundus ob NS-»verfolgungsbedingt entzogenes Kulturguts« in den Jahren 2017 bis 2021 seien 223 Gemälde und 170 Skulpturen begutachtet worden, die nach 1933 in den Besitz der Akademie gelangt waren. 283 Kunstwerke konnten als »unbedenklich« eingestuft werden, bei 54 Gemälden und 53 Skulpturen sind die Provenienzen weiterhin unklar. Sieben Werke wurden als bedenklich identifiziert und der internationalen Datenbank »Lost Art« gemeldet, berichtet Anna Schultz, seit Kurzem in unbefristetem Arbeitsverhältnis speziell für die Provenienzforschung an der AdK. Gemeinsam mit Kachel und Heegewaldt zeichnet sie verantwortlich für die neue, liebevoll und sorgsam gestaltete Ausstellung.
Eingangs begrüßt im Vestibül der AdK am Brandenburger Tor die Besucher Urania, in der griechischen Mythologie Göttin der Sternenkunde, die eigentlich eher zur Wissenschaftsakademie passt. Die bis vor Kurzem den Heinrich-Kleist-Park in Berlin-Schöneberg zierende, kriegsversehrte Skulptur war vor über 300 Jahren Teil eines Ensembles vor dem Marstall Unter den Linden, in dem sich zwischen den Pferdeställen Ateliers von Malern, Bildhauern und Architekten befanden – weshalb Akademiebegründer Gottfried Wilhelm Leibniz trefflich spottete: »Pro musis et mulis« (für die Musen und Maultiere). Die Ausstellung selbst eröffnet ein Schattenspiel, in seiner Zartheit erinnernd an das indonesische Wayang Kulit. Man muss hinter die transparente Kulisse schauen, um sich über das Objekt zu informieren, um die »Geschichte(n) hinter den Werken« zu erfahren, wie denn auch der Untertitel der Ausstellung verheißt. Hier findet man unter anderem Robesons Hocker. Und auch eine Büste des französischen Impressionisten Pierre-Auguste Renoir, 1907 von Aristide Maillol geschaffen, die nunmehr als NS-belastet eingestuft ist.
Als potenzielles NS-Raubgut gilt ebenso ein Skizzenbuch von Max Liebermann. Nach dem Tod des Malers, einstiger Kopf der Berliner Secessionisten und Präsident der Preußischen Akademie der Künste, hat seine Witwe alle von ihm nicht signierten Werke mit einem Nachlassstempel versehen, so auch dieses Skizzenbuch mit dem Todesjahr 1935. Vergeblich bemühte sich Martha Liebermann, vor den mörderischen deutschen Antisemiten ins Exil zu fliehen; die Emigration scheiterte unter anderem an den unverschämt hohen finanziellen Forderungen der Nazis, die Devisen auf Kosten der Witwe des weltberühmten Künstlers zu erpressen versuchten. Als sie am 5. März 1943 ins KZ Theresienstadt deportiert werden sollte, nahm sie eine Überdosis Schlaftabletten, der sie fünf Tage später im Jüdischen Krankenhaus von Berlin erlag. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Gestapo bei der Plünderung des Liebermann’schen Hausrats neben vielen anderen Objekten auch das ausgestellte Skizzenbuch in die Hände fiel.
An die 6000 Bücher umfasste die Bibliothek von Alfred Kerr. Der Theaterkritiker und konsequente Hitler-Gegner hatte gehofft, dass ihm besonders am Herzen liegende Bände ins Exil nachgeschickt werden könnten; sie waren ihm wichtiger als »Glasbilder und Truhen«. Doch auch sein gesamter Besitz wurde von den Nazis beschlagnahmt und ist seitdem verschollen. Erst 2007 tauchten einige Bücher wieder auf. Sie wurden der Tochter von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurückgegeben – die Erbin vertraute sie der AdK an, wo sich schon des Vaters künstlerischer Nachlass befindet. In der Ausstellung sind in einem Regal einige Bücher aneinandergereiht; in einer Vitrine ausgelegt ist ein Buch des Schweizer Schriftstellers Paul Ilg mit dem irritierenden Titel »Der Führer«, womit nicht Hitler gemeint war. Au contraire, man liest die Widmung: »Dem Führer der deutschen Dichterjugend, Dr. Alfred Kerr, in schuldiger Verehrung«.
Gänzlich verschollen bis heute ist die Bibliothek von Walter Benjamin, der im September 1933 nach Paris emigriert war und sich auf seiner weiteren Flucht vor den Nazis in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 im spanischen Grenzort Portbou das Leben nahm. Kurzzeitig war sein Bücherschatz bei seinem Freund Bertolt Brecht in Dänemark untergebracht. Als der Dichter im Jahr der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges nach Stockholm und Helsinki weiterzog, sollte jener nach Paris geschickt werden. Benjamins letzte Wohnung dort wurde im Gefolge der deutsch-faschistischen Okkupation Frankreichs ebenfalls von der Gestapo heimgesucht. Von da an verliert sich die Spur von Benjamins Bibliothek. Umso überraschter waren die Forscher, als ein Band, »Dante als Dichter der irdischen Welt« von Erich Auerbach, auftauchte, »ein Rarismus erster Güte«, wie der Linzer Universitätsprofessor Stephan Grotz in der Begleitbroschüre zur AdK-Ausstellung zitiert wird.
Neben Raubgut aus kolonialen oder NS-Zusammenhängen würden, so Heegewaldt, zunehmend auch »Bemühungen des DDR-Staatsapparates« untersucht, »in den Besitz verwertbarer Kunstgüter oder identitätsstiftender Sammlungen zu gelangen«. Das betraf beispielsweise den von der abgewickelten Kunstakademie der DDR an die Westberliner AdK übergegangenen Nachlass von Otto Nagel. Man habe einen Brief von Kurt Löffler gefunden, einem ehemaligen Staatssekretär im Ministerium für Kultur. Dieser bezeuge, dass durchaus Druck ausgeübt werden sollte, um Nagels Werken habhaft zu werden.
Der proletarisch-revolutionäre Künstler, in den 1920er Jahren – wie hier nebenbei vermerkt sei – Mitglied der »Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland«, dessen Werke von den Nazis als »entartete Kunst« diffamiert worden waren, wurde in der DDR hoch geehrt, unter anderem mit dem Nationalpreis und dem Vaterländischen Verdienstorden ausgezeichnet. In drei Prozessen Anfang der 90er Jahre sei der AdK die Rechtmäßigkeit des Eingangs seines Nachlasses in die Akademie bestätigt worden. In gütlicher Einigung mit der Tochter des 1967 verstorbenen Malers und Grafikers, Sibylle Schallenberg-Nagel. Enkelin Salka Schallenberg nennt indes die Institution einen »lachenden Dritten«. Heegewaldt beteuert, weiterhin den individuellen wie auch öffentlichen Diskurs diesbezüglich zu führen.
In der Tat, Provenienzforschung ist oftmals emotional hoch aufgeladen. Auch dies wird in der Exposition deutlich, die nicht so opulent ist wie die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau 2018 über die zusammengeklaubte Sammlung des Cornelius Gurlitt, aber ebenso solide und aufschlussreich, gestalterisch mit einigen originellen Elementen aufwartend. Dem Kuratoren-Trio sei gedankt.
»Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den Werken«, bis 22. Januar 2023; Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin; Di–So 11–19 Uhr, Eintritt 9/6 €, jeden ersten Sonntag im Monat und bis 18 Jahre Eintritt frei.
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