Ein Lied geht um die Welt

Wie schafft man einen Klassiker? Das verrät der Film »Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song«

Erstmals verliebt: Leonard Cohen und Dominique Issermann 1984, als auch »Hallelujah« entstand
Erstmals verliebt: Leonard Cohen und Dominique Issermann 1984, als auch »Hallelujah« entstand

Balladen über Begehren und Depression. Leonard Cohen sang über romantische Enttäuschungen, die er durch religiöse Anspielungen sakralisierte – auf ergreifende Art. »Kann das menschliche Ohr so langsam hören, wie Leonard Cohen singt? Jedenfalls braucht es Übung, Erfahrung und Geduld, Leonard Cohen zuzuhören«, schrieb Wiglaf Droste 2009 in der »Jungen Welt«.

Auch Cohen selbst brauchte für seine Kunst länger als die anderen. Er war schon 33 und hatte zwei Romane und mehrere Lyrikbände veröffentlicht, als er 1967 ins Musikgeschäft einstieg. Anfangs vertonte er seine Gedichte zur Akkustik-Gitarre. Das war so minimalistisch wie anrührend und verhalf ihm schnell zu größerer Bekanntheit, als er damit im Fernsehen auftrat. Er verkaufte mehr Platten als sein Freund Bob Dylan, der ja eigentlich auch ein Dichter war, bei dem aber musikalisch wesentlich mehr los war.

Cohens größter Hit neben »Suzanne« ist der Song »Hallelujah«. Er brauchte sieben Jahre, um ihn zu vollenden. Und bis die ganze Welt ihn kannte, dauerte es noch mal 17 Jahre. Heute wird er sowohl auf Hochzeiten als auch in Casting-Shows gesungen – meistens viel pathetischer und aufgeregter, als ihn Cohen in seiner ruhigen Art interpretiert hatte. Das Lied ist zu einem Klassiker geworden, manche halten es für ein traditionelles Kirchenlied. Cohens Urheberschaft hat sich schon ziemlich verflüchtigt.

Die Geschichte des Stücks und damit auch die seines Komponisten erzählt der Dokumentarfilm »Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song« von Dan Geller and Dayna Goldfine. Darin bekennt der Sänger, dass er nie in der Lage war, aus dem erstbesten Einfall heraus ein Lied zu schreiben, ganz im Gegenteil: Seine Kunst gründe auf »Schweiß, Arbeit und Versagen«, auf der prozesshaften Präzisierung von Ideen. »Wenn ich wüsste, wo es einen guten Song gibt, dann würde ich dort öfter hingehen«, sagt er.

Geller und Goldfine haben noch mit Cohen selbst gesprochen. Sie begannen mit der Arbeit an ihrem Film 2016, wenige Monate bevor Cohen mit 82 Jahren in Los Angeles starb. Obwohl er im Film seine jahrzehntelange »Randständigkeit« im Popgeschäft betont, wurde er sehr viel gefilmt. Die Filmemacher konnten auf dieses Material ebenso zugreifen wie auf die Bänder des US-amerikanischen Musikjournalisten Larry Sloman, der Cohen oft interviewt hat. Dazu kommen diverse Zeitzeugen zu Wort, darunter auch die französische Fotografin Dominique Issermann, angeblich die erste Frau, in die sich Cohen wirklich verliebt hat, wie er sagt – mit 50 Jahren. Sie sagt über ihn: »Er ist sehr intensiv, zeigt aber diese Intensität nicht.«

Sie kamen 1984 zusammen. In dem Jahr erschien sein Album »Various Positions«, auf dem »Hallelujah« drauf ist. Produziert wurde es von dem jungen John Lissauer, der mit Cohen schon zehn Jahre zuvor zusammengearbeitet hatte. Cohen schätzte ihn, besonders, nachdem er zwischenzeitlich ein Album vom ziemlich wahnsinnigen Phil Spector hatte produzieren lassen – ein »Desaster«, wie er einräumt, weil seine Songs und seine Stimme in Spectors mächtigem »Wall of Sound« untergingen. »Various Positions« hielten Lissauer und Cohen dagegen für sehr gelungen. Man sieht sie in einer Filmaufnahme sogar im Studio mit Sekt anstoßen. Doch Cohens Plattenfirma Columbia, die einen neuen Chef an der Spitze hatte, war überhaupt nicht zufrieden. Der neue Chef sagte ihm: »Wir wissen, du bist großartig, aber nicht, ob du was taugst.« Das Album wurde nur in Europa, nicht in den USA veröffentlicht. Lissauer durfte danach nie wieder für Columbia arbeiten.

Das Video von »Hallelujah«, das an den Werbefilm für das Männer-Parfüm »Egoiste« von Chanel aus den frühen 90ern erinnert, wurde auf MTV nicht gesendet. Der Einzige, der den Song außer Cohen spielte, war Bob Dylan auf seinen Konzerten Ende der 80er. Keine besonders gute Version, zu viel E-Gitarre. Besser, weil weniger runtergenudelt, ist die Version von John Cale, die er nur mit Klavierbegleitung 1991 aufnahm, für den Tribute-Sampler »I’m your Fan«, auf dem verschiedene Indie-Musiker Cohen-Songs interpretieren. Diese Version beeindruckte den aufstrebenden Folkrock-Sänger Jeff Buckley, der sie mit hoher Stimme live so darbot, als würde da ein Engelein singen. Als er 1997 tragisch ertrank, glaubten andere Musiker, das Lied sei von Buckley, und spielten es auf ihren Konzerten, um ihn zu würdigen.

In der Tat besticht »Hallelujah« durch die Ambivalenz des Textes, in dem Cohen den Liebesschmerz eines enttäuschten Mannes mit Motiven aus dem Alten Testament bebildert. Cohen, der einer jüdischen Familie aus Montreal entstammt, beschäftigte sich viel mit Religion ohne religiös zu sein. Sein Verhältnis zu Gott hat er so beschrieben: »Obwohl ich nicht gläubig bin, komme ich zu dir und vertraue dir meine Zweifel an.«

Larry Sloman schätzt, dass Cohen für »Hallelujah« im Laufe der Jahre insgesamt 150 verschiedene Strophen angefertigt habe. Man kann sich seine liebsten aussuchen, wie es die Regisseurin Vicky Jenson tat, als sie 2001 »Shrek« drehte. Für diesen überaus erfolgreichen Animationsfilm für Kinder strich sie die Strophen mit den sexuellen Bezügen und ließ die universalistisch-besinnlichen Zeilen übrig, die dann Shrek, ein dickes grünes Wesen, das am liebsten in Schlamm badet, in einer melancholischen Kurzversion zum Besten gab, mit der Stimme von John Cale. Auf dem Soundtrack-Album zum Film singt aber Rufus Wainwright, der ursprünglich dafür vorgesehen war.

Damals hatte sich Cohen von der Popmusik abgewandt. Weil er »voller Kummer, Alkohol und Depression« war, zog er sich für mehrere Jahre in ein zen-buddhistisches Kloster in den Bergen nördlich von Los Angeles zurück. Auch davon gibt es Filmaufnahmen. Als er das Kloster wieder verließ, fühlte er sich besser. Allerdings musste er feststellen, dass seine Managerin und Vertraute Kelley Lynch in seiner Abwesenheit nahezu sein komplettes Vermögen veruntreut hatte. Er war pleite und musste mit 70 Jahren wieder auf Welttournee gehen. Dabei hasste er Konzerte, auch wenn sie alle ausverkauft waren. »Die Welt ist sinnlos«, sagt er im Film. »Es gibt zwei Möglichkeiten: Du zeigst der Welt die Faust, oder du singst Hallelujah, ich mache beides.«

»Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song«, USA/Kanada 2022. Regie und Buch: Dan Geller/Dayna Goldfine. 115 Min. Bereits angelaufen.

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