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Auf Mission
Seit seinem Debüt-Roman ist das Feuilleton in Behzad Karim-Khani verliebt. Im Buch geht es um Gangster. Ein Streifzug im BMW durch Kreuzberg
Das Auto riecht nicht nach ihm. Irgendwas zwischen Ocean Breeze und Sportfrische, irgendeiner dieser blauen Duftbäume jedenfalls. Seit Wochen fährt er mit einem Glas gemahlenem Kaffee durch Berlin, damit der Gestank weggeht. Nur noch ein letzter Rest ist geblieben. Eigentlich ist das überhaupt nicht interessant, denn warum sollte es wichtig sein, dass es in seinem gebrauchten 1er BMW nach Behzad Karim-Khani riecht? Schlicht, weil bei ihm nichts ohne Bedeutung ist.
Karim-Khani trägt einen Rollkragenpullover, weiß wie Elfenbein, an dem es keinen einzigen Fussel gibt. Seine Fingernägel sind perfekt manikürt, der Rand seiner Brille ist extra fein und golden. Im Auto darf es nicht nach gebleichter Jeans und Ed-Hardy-Shirt riechen. Behzad Karim-Khani ist Schriftsteller, Barbesitzer, Vater, Bomberjackenträger, Hip-Hop-Liebhaber, ehemaliger Vorbestrafter und Iraner. Ein Proll ist er nicht.
Und das, obwohl Karim-Khani in einem Café in Kreuzberg sitzt, an dem er als eine Art Investor mal beteiligt war und 12,40 Euro am Ende mit einem 100-Euro-Schein aus der Hosentasche bezahlen wird. Warum der da in seiner Tasche ist? Hat was mit seiner anderen Bar in Kreuzberg zu tun, ist nicht so wichtig. Mit halber Aufmerksamkeit ist er, während er spricht, immer beim BMW, der in einer Baustelleneinfahrt parkt. Nicht noch einmal abgeschleppt werden, nicht ein zweites Mal in diesem Monat. Mit Deutschland auf Kriegsfuß, so sieht das praktisch aus. Das Problem mit Deutschland ist natürlich ein anderes, ein viel größeres.
Ausländer als Vollzeitjob
In einem Text, den er für »nd« vor drei Jahren schrieb, in dem es um das Holocaust-Mahnmal in Berlin geht, ist von »dieser Gesellschaft« und »diesem Land« die Rede. Die semantische Distanz ist Absicht. In den 90er Jahren Ausländer gewesen zu sein, sei ein Vollzeitjob gewesen, sagt er. »Ich lebe in einem der rassistischsten Länder der Erde, und das lässt man mich auch heute noch spüren.«
Karim-Khani erinnert sich an eine Szene in der Schule. Er sollte einen Text laut vorlesen, stolperte über das Wort Gelsenkirchen und las stattdessen »Gelesenkirschen«. Da war er erst vor ein paar Monaten in Deutschland angekommen, bemühte sich, die Sprache, die lateinische Schrift so schnell es ging zu lernen. Die ganze Klasse lachte ihn aus. Der Lehrer sagte nichts. Er solle weiterlesen, war der Befehl. So etwas vergisst man nicht. »Ich komme aus einem Land, da wurde für den Gast das feinste Zimmer des Hauses frei gehalten, da durfte sonst niemand rein. Aber Deutsche nutzen das Wort Gast als Drohung: Du bist hier nur Gast!«
Sein Sohn ist bei der Fußball-WM nicht für Deutschland, so wie er bei den Weltmeisterschaften vorher auch nie für Deutschland war. Als Karim-Khani ihn einmal fragte, warum das so ist, sagte sein Sohn: »Papa, ich weiß es doch auch nicht.« Der Junge ist elf und in Berlin geboren. Seine Antwort machte Karim-Khani stolz. Sie ist Ausdruck eines Gefühls, nichts Rationales. So wie seinem Sohn geht es ihm auch.
Zwar lebt Karim-Khani seit seinem neunten Lebensjahr in Deutschland, ist hier zur Schule gegangen, hat sich hier das erste Mal verliebt und getrennt, hat einen Bestseller geschrieben und war damit als »deutsch« gelabelter Beitrag zum Edel-Vorlesewettbewerb Bachmann-Preis eingeladen. Aber mindestens einen Punkt aus einer langen Liste der Voraussetzungen für eine Einbürgerung kann er nicht erfüllen. Punkt acht: Sie ordnen sich in die deutschen Lebensverhältnisse ein.
»Ich will die Annäherungsversuche Deutschlands nicht. Mein Status in dem Land ist immer noch derselbe wie damals als krimineller Jugendlicher«, sagt Karim-Khani. Für die deutsche Bürokratie ist er schlichtweg immer noch ein Mensch, der sich regelmäßig bei der Ausländerbehörde melden muss, ob mit oder ohne Bachmann-Preis.
In Karim-Khanis Debüt-Roman »Hund, Wolf, Schakal« hat sich dieses Gefühl in Belletristik verwandelt. Das Buch ist rau, erzählt von der Flucht einer Familie aus Teheran während der Islamischen Revolution und vom Aufwachsen zweier Brüder im Neukölln der 90er Jahre. »Drei Streifen Adidas, zwei Streifen Caritas.« Das ist die Sprache der Straße, und am Ende sitzt einer der beiden im Knast. Die Geschichte kennt keine Klischees, keine Gewinner, dafür eine große Liebe für die Figuren. Ein Bruder introvertiert, nachdenklich, der andere voller Wut und Konsequenz.
Eine Kindheit mit Spaß und Zerstreuung gibt es nicht, es heißt »ficken oder gefickt werden«. Die beiden Brüder Saam und Nima sind zwei Seiten derselben Seele: Behzad Karim-Khanis. Die Sätze im Buch sind wie Patronen. Zack, Treffer. Mal witzig, mal melancholisch, aber immer auf die Fresse. Und auch wenn Karim-Khani spricht, wirkt es, als würde er die Sätze frisch komponieren, so außergewöhnlich ruhig, fast leise sind seine Worte.
Wir fahren mit dem BMW durch Kreuzberg. Er fährt, wie er spricht, smooth. Der linke Ellenbogen ruht am Fenster, eine Hand am Lenkrad, das goldene Armband baumelt sanft umher. Wenigstens ist der Sitz aufrecht und das Fenster zu. Kein Proll.
Er beschwert sich, dass er nirgendwo parken kann, überall Halteverbote. »Scheiß Kreuzberg«, flucht er. In solchen Momenten fragt er sich, ob er noch links genug ist. Den BMW parkt er dann aber in zweiter Reihe vor einem Plattenladen. »Ich habe mich gegen die Welt von Anfang an gewehrt«, sagt er. Schon als Baby wollte er die Muttermilch nicht annehmen. »Das wuchs sich dann so aus.«
Karim-Khani kommt mit seiner Familie, der Mutter, dem Vater und dem kleinen Bruder, Ende der 80er Jahre aus Teheran nach Bochum. Ob er sich gewünscht hätte, sie wären woandershin gegangen? »Immer«, sagt er. Italien wäre schön gewesen. Sie wären alle so glücklich dort geworden. Die Antwort seiner Mutter war: »Wir haben euch hierhergebracht. Geht nach Italien, wenn ihr müsst.«
Seine Kindheit ähnelt der im Buch. Gewalt und Härte erlebte Karim-Khani schon auf den Straßen Teherans in Zeiten des Iran-Irak-Krieges. Seine Eltern sind aus einer Generation, in der eine strenge Erziehung als Ausdruck maximaler Fürsorge gilt.
Auf dem Bochumer Schulhof ist Karim-Khani brutaler als die anderen: Er rangelt nicht einfach so rum, er schlägt direkt mit der Faust ins Gesicht oder wirft Steine – mit Absicht auf den Kopf. Seine Aggressivität ist Ausdruck einer Verletzung, die er nicht erst beim Fußballspiel und im Streit um einen Ball erlebt, sondern schon im Klassenraum, als man ihn auslachte, weil er Gelsenkirchen falsch vorlas. Niemand verstand den Zusammenhang, aber eins war klar: Ein Problemkind auf einer Problemschule in einem Problemkiez.
Problemkind im Problemkiez
Das Problemkind jedenfalls machte Abitur und begann eine Ausbildung zum Bauzeichner, dann studierte er kurzzeitig Medienwissenschaften in Bochum. Das brach er ab. Er wollte nach Berlin. Er wollte nach Kreuzberg, von dem er zum ersten Mal Anfang der 90er Jahre gehört hatte, als sich die »36 Boys«, eine Kreuzberger Jugendgang, auf den Straßen mit Nazis prügelten.
2003 ist er 26 Jahre alt, und eine irre Zeit beginnt. Zusammen mit ein paar anderen gründet er die legendäre »Bar 25« am Ufer der Spree, die Mutter aller Holzhüttenclubs. Er schläft drei Jahre im Wohnwagen auf dem Gelände. Er steht auf jeder Gästeliste der Stadt. Drinks zahlt er nie. Nachts schmeißt er mit den Frauen, die er später in Werbeclips im Fernsehen sieht, Pillen ein und knutscht rum. Jeder will was von ihm, nicht von Behzad Karim-Khani, aber von dem, was er verkörpert. Er hat es geschafft, er ist wer.
Im Moment fühlt es sich genauso an, aber er hat die Ebenen gewechselt. Auch in der Literaturszene kennt man ihn jetzt. Überall wird sein Debüt als das bessere »4 Blocks« gefeiert, die Serie über Gangster in Neukölln. Es ist auch seine Geschichte, nur im Knast saß er nie, aber fast. Zweimal ließ man ihn auf Bewährung laufen. In den 90ern erwischte man Karim-Khani mit 500 Gramm Gras an der holländischen Grenze, zehn Jahre später bekommt er noch mal dreieinhalb Jahre wegen schwerer Körperverletzung. Einzig Rasierklingen im Mund drehen kann er nicht.
Ob er sich in Deutschland wohler gefühlt hätte, wenn das mit »Gelesenkirschen« nicht passiert wäre? Wenn man seinen Vater, den Feingeist, in der Ausländerbehörde nicht mit »Du« angeredet hätte oder wenn seine Nachbarin in Bochum ihn mal gegrüßt hätte, statt jeden x-beliebigen Hund zu herzen, der ihr auf der Straße begegnete? Er denkt außergewöhnlich lange nach. Bescheuerte Fragen auch.
Dann aber kommt doch eine Antwort. Sie klingt wie ein Märchen. Behzad Karim-Khani ist auf einer Mission, so beschreibt er es. Sein Vater erzählte ihm einmal, dass, bevor die Iraner Moslems wurden, viele einer Botschaft Zarathustras folgten, dass die Feuer in ihren Tempeln nie ausgehen dürften. Dafür wurden einzelne Fackeln auf verschiedene Familien verteilt. Egal, wie viel Zerstörung ein Volk erlebt, am Ende würden die Feuer immer wieder neu entzündet.
Karim-Khanis Vater hatte seinem Sohn immer das Gefühl gegeben, eines dieser Feuer zu sein. Seit der Flucht seiner Eltern ist Karim-Khani nie wieder im Iran gewesen. Seine Mission dauert an. Zwar verfolgt er momentan stündlich die Nachrichten; kaum ein Tag vergeht, ohne dass er etwas zu Iran in den sozialen Medien postet. Anfang November spricht er auf einer Kundgebung vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, um den Protestierenden aus der Ferne Mut zu machen, und er hat ein nahezu enzyklopädisches Wissen über die Iranische Revolution und die Basidischis, die paramilitärische Miliz der Revolutionsgarde. Er spricht fließend Persisch, das erst nach drei Bier löchrig wird. Aber in das Land zu reisen, hat er seit 36 Jahren nicht gewagt.
Auf die Frage, warum er nie wieder dort gewesen ist, gibt er dieselbe Antwort wie sein Sohn auf die Frage nach Deutschland: »Ich weiß es doch auch nicht.« Schon zwei Flammen in Berlin. Zwei, die keine Heimat kennen, aber daran nichts Schlechtes finden.
Behzad Karim-Khani: »Hund, Wolf, Schakal«. Hanser, 288 S., geb., 24 €.
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