»Niemals Selbstkritik üben«

Warum ist Alice Schwarzer so bekannt? Ein Gespräch mit Kay Sokolowsky

Ratefüchsin, Karnevalistin, einzige Feministin: Alice Schwarzer, 2019 in Berlin
Ratefüchsin, Karnevalistin, einzige Feministin: Alice Schwarzer, 2019 in Berlin

Alice Schwarzer wird am heutigen Samstag80. Sie haben ihr schon vor 22 Jahren gratuliert – und das definitive Schwarzer-Buch veröffentlicht: »Who the fuck is Alice?«.

Interview

Kay Sokolowsky, Jahrgang 1963, ist Autor
und Journalist. Er lebt in Hamburg und hat verschiedene Bücher geschrieben, darunter auch »Who the fuck is Alice? Was man wissen muß, um Alice Schwarzer vergessen zu können«, das 2000 bei der Edition Tiamat erschien – ein Grundlagenwerk der Schwarzer-Forschung.

Vor allen Dingen habe ich ihr Werk gewürdigt. Mit ihrem Leben habe ich mich kaum beschäftigt, denn das macht sie ja selber schon genug. Ich wollte die Frage aufwerfen, ob die Frau den Ruf, den sie hat, auch verdient.

Der Ruf ist legendär. Eine Vorkämpferin für die Moral, eine Pionierin des Feminismus, eine bis heute omnipräsente Medienfrau, alterslos.

Ja, alterslos, also ich möchte auch mal in solcher Frische und in solcher strahlenden Dummheit 80 werden. Ich denke, es hilft sehr dabei, so gesund und munter in solch hohes Lebensalter zu kommen, wenn man einfach niemals Selbstkritik übt. Sie ist eine der verheerendsten und unleserlichsten Autorinnen, die jemals berühmt geworden sind.

Aber war die Gründung von »Emma« als Zeitschrift von Frauen für Frauen nicht eine besondere Leistung?

Es gab ja schon »Courage«. Die klugen Frauen haben auch eher diese linke Zeitschrift gelesen. Alle anderen haben dann »Emma« gelesen, und ich habe manchmal den Verdacht, das sind auch die, die heute die Grünen wählen und denken, sie tun was für die Umwelt damit. Und wenn man sich die aktuelle »Emma« anguckt, was findet man da? Die Kaiserin Sisi und die Frage: »Was ist so modern an ihr?« Und wer hat das verfasst? Alice Schwarzer. (lacht) Mit solchen bohrenden Fragen des Feminismus beschäftigt sie sich weiterhin.

Früher fand sie Leni Riefenstahl faszinierend.

Deshalb habe ich damals mein Buch geschrieben. Es gab eine große »Emma«-Story, auch von der Sisi-Entdeckerin Alice Schwarzer verfasst, die darauf hinauslief, Leni Riefenstahl praktisch von jeder Verantwortung für die Propaganda im Dritten Reich freizusprechen. Das war der Anlass, mich durch ihre Veröffentlichungen zu lesen. Ich stellte fest, dass sehr viele dieser Texte von einer unfassbaren Oberflächlichkeit sind. Dass Frau Schwarzer eigentlich nicht zur Kenntnis nimmt, was so in der feministischen Debatte stattfindet, außer dem, was sie halt selbst geschrieben hat. Und dann lässt sie noch neben sich, besser: unter sich, Simone de Beauvoir gelten. Schwarzer hat sie mal interviewt, womit sie heute noch angibt. Das war übrigens noch der letzte halbwegs intellektuelle Beitrag von Alice Schwarzer. Seither ist vor allen Dingen Tamtam und Krach.

Nichts Gutes?

Doch. Nämlich der von ihr maßgeblich initiierte »Stern«-Titel »Wir haben abgetrieben« von 1971. Das war schon etwas, das im guten Sinne Lärm machte. Sie hat auch durchaus was riskiert, als sie in den 70ern offensiv als Feministin auftrat. Da gab es genug Morddrohungen. Das hat sie gut ausgehalten; das kann man nur bewundern, dass sie das durchgestanden hat. Und das meine ich überhaupt nicht ironisch. Aber danach geht’s vor allen Dingen um Selbstpromotion bei Frau Schwarzer und um die Selbstdarstellung als einzige echte Feministin Deutschlands. Auch wenn sie als Ratefüchsin einer TV-Quizshow gebucht wird oder beim Kölner Karneval auf einem Prunkwagen mitfährt. Sie ist eine etablierte Person, und das führt dann eben dazu, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen ihr derzeit Kränze flicht, dass man nur staunen kann.

Es gibt einen TV-Spielfilm über ihr Leben als Zweiteiler.

Ich habe mal reingeschaltet und bin dann in eine Szene geraten, in der ging es um das berühmte Streitgespräch 1975 im Fernsehen zwischen Schwarzer und Esther Vilar. Man sieht Nina Gummich als Schwarzer im Schminkraum, und die Make-up-Künstlerin spricht ihr Mut zu, weil sie doch mit dieser furchtbaren Frau Vilar sprechen soll. Das ist schon alles sehr liebedienerisch, eine einzige Hagiografie.

Ihr Buch konnte das nicht verhindern?

Nein. Jede Kritik, die ich darin äußere, ist nicht angekommen. Oder nur bei denen angekommen, die Alice Schwarzer eh nicht mögen. Das ist nicht gerade der größte Erfolg, den man als Autor haben kann.

Warum kommt Alice Schwarzer in den Medien so gut an?

Sie kann sich sehr gut verkaufen und hat überhaupt keine Berührungsängste. Wer was von ihr haben will, sie mit Kritik verschont und ihr Platz gibt, dem gibt sie auch was. In den 90ern hat sie deutlich zu erkennen gegeben: Ja, ich gehöre zu diesem Land und diesem Staat, und ich werde garantiert keine Systemkritik üben. Seither fällt Alice Schwarzer vor allen Dingen dadurch auf, dass sie radikalen Feministinnen, modernen Feministinnen ständig in den Rücken fällt. Weil sie halt überzeugt ist, ihr Feminismus sei der verbindliche.

Sie war für Frauen in der Bundeswehr.

Den Kampf, dass endlich Soldatinnen in der Bundeswehr erschossen werden dürfen, den hat sie gewonnen. Jetzt geht es mehr ums Eingemachte: zu sagen, egal, was Frauen machen, das ist erst mal gut, weil es Frauen machen.

Sie ist gegen Transgender.

Sie surft bei diesen Themen mit. Ihr fehlt da eigentlich nur Alice Schwarzer, die sagt, wie sie das sieht. Ich habe aber den Eindruck, dass sie bei solchen Themen nicht mehr so richtig gefragt ist. Medial präsenter war sie durch ihre Haltung zum Ukraine-Krieg, als sie mit Kolleginnen und Kollegen einen offenen Brief geschrieben hat: die Aufforderung zum Waffenstillstand. Es gab einen Riesenshitstorm, als sie in einer Talkshow gesagt hat, in der Ukraine finde ein Stellvertreterkrieg statt der USA gegen Russland oder der Nato gegen Russland. Da muss ich sagen: Es gehört schon mal Mut dazu, diese Haltung einzunehmen. Auch wenn bei ihr schwer zu trennen ist zwischen echter Haltung und blanker Publicity-Sucht. Dieser Biopic-Zweiteiler hat mich schon etwas erschüttert. Also mir fallen wirklich einige Frauen ein in der nachkriegsdeutschen Geschichte, die es eher verdient hätten, so einen Zweiteiler zu kriegen.

Wer denn?

Meine Mutter. Etwa 38 Millionen deutsche Frauen hätten es eher verdient, einen Zweiteiler im Fernsehen zu bekommen. Aber im Ernst: Alice Schwarzer ist vor allen Dingen eine mediale Figur. Und wenn die Medien es jetzt für nötig halten, einen Spielfilm über eine mediale Figur zu machen – ja, um Himmels willen, was kommt denn da als Nächstes?! Kriegen wir dann in 20 Jahren einen Zweiteiler über Tom Bartels? Oder über Marietta Slomka? Also wen interessiert denn das überhaupt?! Aber das sind so meine kleinlichen chauvinistischen Einwände gegen ein höchstwahrscheinlich sehr verdienstvolles Werk der deutschen Filmgeschichte.

»Alice«, Teil 1 und Teil 2 in der ARD-Mediathek;
Kay Sokolowsky: Who the fuck is Alice? Edition Tiamat, 126 S., 12 €.

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