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Scharfe Kritik, aber auch breite Zustimmung
Die »Leipziger Erklärung« zur Zukunft der Linkspartei wird in der Partei sehr unterschiedlich bewertet
Ein wenig erleichtert wirkten Martin Schirdewan und Janine Wissler, als sie zu Wochenbeginn vor die Presse traten. Einen Tag nach dem Krisentreffen der Linken in Leipzig stellten die beiden Parteivorsitzenden die dort beschlossene »Leipziger Erklärung« vor. »Wir sind bereit, um diese Partei zu kämpfen«, sagte Wissler. Ihr und Schirdewan ist es gelungen, alle Landesverbände und auch die Fraktionsführung um Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali hinter sich zu versammeln. Das Papier liest sich wie ein Kompromiss, der die unterschiedlichen Strömungen der Partei zusammenbringen soll, andererseits wie eine Bekräftigung der Beschlüsse des Erfurter Parteitags: Die Linke spricht sich klar für die Verbindung von Sozial- und Klimapolitik aus, außenpolitisch fordert sie einerseits die »volle Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität« und andererseits diplomatische Bemühungen auch des Westens für ein Ende des Krieges.
Die vor 15 Jahren aus PDS und WASG hervorgegangene Linkspartei sei eine »historische Errungenschaft«, so Wissler. Die Pluralität der Partei müsse erhalten bleiben und wieder zu einer Stärke werden, zugleich seien Beschlüsse gemeinsam zu tragen. Was auf den ersten Blick wirken mag wie eine Banalität, nämlich die bloße Wiederholung des bereits Beschlossenen, erscheint angesichts der existenziellen Krise, in der sich die Linke spätestens seit der verkorksten Bundestagswahl befindet, notwendig. In gleich mehreren Politikfeldern vertritt die ehemalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht Positionen, mit denen sie in der Partei keine Mehrheit, aber aufgrund ihrer Popularität ein großes Publikum erreicht: gegen offene Grenzen, gegen Corona-Maßnahmen, gegen alle Russland-Sanktionen. Ihr wird vorgeworfen, gegen die Beschlusslage der Partei zu verstoßen. In der Öffentlichkeit erscheint die Linke als zerstritten. Viele sagen: Man wisse nicht mehr, wofür die Partei stehe. Nun gibt es sogar Gerüchte, Wagenknecht könnte die Linke verlassen und zur Europawahl 2024 mit einer eigenen Liste antreten, was innerparteilich längst nicht von allen als Gefahr, sondern von manchen als Chance angesehen wird. Doch zunächst sieht man sich – strömungsübergreifend – zu inhaltlichen Klarstellungen veranlasst.
Von vielen wird die »Leipziger Erklärung« als klare Aufforderung an Wagenknecht empfunden, sich an die Beschlusslage zu halten und die Partei nicht zu spalten. Parteivize Lorenz Gösta Beutin sagt »nd«: »Sie ist die Aufforderung an alle, die mit dem Gedanken an die Gründung eines alternativen Parteiprojekts spielen, dies sofort sein zu lassen. Die Unterzeichnenden haben klar gemacht, dass die Pluralität Grenzen hat, die durch Programmatik und Beschlüsse der Partei bestimmt werden.« Beutin ist auch Teil der »Progressiven Linken«, die einen schärferen Kurs gegen Wagenknecht befürworten. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass auch Bartsch und Mohamed Ali die Erklärung unterzeichnet haben, denn in der Fraktion gibt es ein Machtbündnis von Bartsch-Reformer*innen mit dem Wagenknecht-Lager, zu dem auch Mohamed Ali gerechnet wird.
Allerdings wird das Papier unterschiedlich gedeutet. Als »Absage an innerparteiliche Distanzierungen und Ausgrenzung« versteht es Mohamed Ali. Sie betont also die Vielfalt der Partei, die auch das Wagenknecht-Lager sowie faktisch auch dessen Positionierungen, siehe Wagenknechts »Wirtschaftskrieg«-Rede im Bundestag, einschließt. Der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, der bei der Bundestagswahl 2021 eines von drei Direktmandaten für die Linke errungen hat, was letztlich entscheidend war für deren Wiedereinzug, findet: »Dialog ist wichtig. Wir müssen gemeinsam mit weiteren Persönlichkeiten in der Partei die Abstimmung suchen.«
Wer diese »Persönlichkeiten« sein könnten, lässt sich erahnen: Auch Pellmann wird von einigen in der Partei dem Wagenknecht-Lager zugerechnet. Gleichzeitig bekennen sich er und Mohamed Ali, indem sie die »Leipziger Erklärung« gutheißen, eindeutig zur Linken. Nicht ganz so eindeutig scheint das bei Sevim Dağdelen zu sein, die als enge Wagenknecht-Vertraute gilt. Sie finde es »bemerkenswert, dass diejenigen, die immer das Programm bemühen, es friedenspolitisch offenbar vergessen haben«, sagte sie der »Tagesschau« und verweist ihrerseits auf den Parteitagsbeschluss zum Ukraine-Krieg, in dem sich die Linke auch gegen Waffenlieferungen ausspricht. Das vermisse sie in der »Leipziger Erklärung«. In der Tat taucht dort das Wort »Waffenlieferungen« nicht auf, dafür aber eine klare Befürwortung von Diplomatie: »Statt eines langen Abnutzungskrieges mit verheerenden Folgen, immer mehr Waffen und der Gefahr einer weiteren gefährlichen Eskalation machen wir Alternativen zur militärischen Logik stark.«
Inwieweit Wagenknecht, Dağdelen und andere mit der Linken bereits abgeschlossen haben, ob die Gründung einer neuen Partei tatsächlich bevorsteht, lässt sich nur schwer prognostizieren. Im Hintergrund finden offenbar Gespräche statt. Gregor Gysi sagt, er rede mit Wagenknecht. Der frühere langjährige Fraktionschef ist auch der Meinung, Wagenknecht sei wichtig für die Partei. Er und andere fürchten, die ohnehin stark geschrumpfte Zahl an Wähler*innen der Linken könnte sich im Falle einer Spaltung weiter verkleinern, zumal die Linke dann wohl auch ihren Fraktionsstatus verlieren würde.
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