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Rüsten gegen den Krieg?
Rheinmetall will nicht nur Löcher in Bundeswehr-Depots stopfen
»Hervorragende Arbeitsbedingungen« und »besondere Benefits« verspricht Rheinmetall all jenen, die bei dem Rüstungsunternehmen am Standort Unterlüß anheuern. Die langfristigen Perspektiven, so liest man in der Werbung weiter, »werden Sie zudem überzeugen«. Man sei auf »die Entwicklung und Fertigung innovativer Produkte spezialisiert«, setze immer wieder neue technische Standards, denn man produziere mit den besten Maschinen und verfüge über modernste Produktionsverfahren, um den hohen Qualitätsanforderungen der Kunden gerecht zu werden.
Die höchsten Qualitätsanforderungen bemessen sich nach Zerstörung und Tod. Das hat Tradition in der Heidegemeinde rund 30 Kilometer von Celle entfernt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Rüstungsindustrie zum wesentlichen Arbeitgeber in Unterlüß. 1899 richtete die »Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik zu Düsseldorf« (Rheinmetall) hier ein Versuchsgelände ein. In den folgenden Jahrzehnten kam es zur Vergrößerung des Schießplatzes und zum Bau von neuen Fabrikgebäuden samt Infrastruktur. In der Nazizeit beutete die Rheinmetall-Borsig AG Tausende Zwangsarbeiter und KZ-Gefangene aus. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zerstörten die Alliierten den Standort – der zehn Jahre später als Rüstungslieferant der Bundeswehr wieder auflebte. Auf 56 Quadratkilometern firmeneigener Fläche wird allerlei Militärgerät gebaut und getestet. 2100 der insgesamt 13 600 Rheinmetall-Beschäftigten in Deutschland arbeiten in dem kleinen niedersächsischen Ort.
Nun plant Rheinmetall die Erweiterung seiner Munitionsfertigung. Man will in zweistelliger Millionenhöhe investieren und 30 bis 50 neue Arbeitsplätze schaffen. Im Januar soll in Unterlüß eine neue Produktionsstätte aufgebaut sein. Ab Sommer wird dann Munition der Kaliber 20 bis 35 Millimeter ausgeliefert. Als Begründung muss vor allem der Überfall Russlands auf die Ukraine herhalten. Das Unternehmen betont die Bedeutung der neuen Produktionslinie, denn Kiews Armee brauche dringend Nachschub für die 30 aus Deutschland gelieferten »Gepard«-Flugabwehrpanzer. Wenn die Bundesregierung das »Go« gebe, könnten bis September rund 300 000 Schuss geliefert werden.
Bereits bei der Ankündigung von »Gepard«-Lieferungen an die Ukraine war klar, dass es ein Problem mit der entsprechenden Munition gibt. Der Flak-Panzer, der mit einem Zwillingsgeschütz aus dem Schweizer Oerlikon-Konzern bewaffnet ist, war bereits Anfang der 2000er Jahre aus dem Bestand der Bundeswehr genommen worden. Folglich gab es nur noch wenig Munition. Also wandte sich die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) an ihre Kollegin Viola Amherd in Bern und forderte, die Schweiz möge entsprechende Munition liefern. Lambrecht argumentierte mit dem Hunger in der Welt und behauptete, die deutschen »Geparden« würden dringend für den Schutz der ukrainischen Getreidelieferungen benötigt. Die Schweiz, die seit Gründung der Bundeswehr 1955 verlässlich Munition aller Art nach Deutschland exportiert, reagierte politisch pikiert – und ablehnend.
Das unerwartete Veto machte dem deutschen Verteidigungsministerium klar, wie abhängig die Bundeswehr von Munitionslieferungen aus dem Ausland ist. Beispiel: Schützenpanzer »Puma«. Auch dessen Mittelkaliber-Munition kommt zu einem Gutteil von einer Rheinmetall-Tochter – die ihren Sitz in der Schweiz hat und somit dortigen Restriktionen unterworfen sein könnte. Ende November hatte die Bundeswehr Rheinmetall den Auftrag erteilt, 600 000 Schuss für den Schützenpanzer zu liefern – nach Angaben des Unternehmens für rund 576 Millionen Euro. Auch für Flugabwehrkanonen und Kampfjets brauche man den kontinuierlichen Zulauf von Mittelkaliber-Munition. Man wolle, so verspricht Rheinmetall ganz im Sinne der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen Zeitenwende, »die Munitionsversorgung in Deutschland wieder prinzipiell unabhängig von ausländischen Fertigungsstätten« aufstellen. Wie das zusammenpasst mit dem gerade erst vollzogenen Kauf des spanischen Munitionshersteller Expal bleibt das Geheimnis des Rüstungsgiganten.
Dem auch die Chefin des Bundestags-Verteidigungsausschusses nicht weiter nachgeht. Sie sei »sehr erleichtert« darüber, dass die Industrie so schnell reagiert hat, meinte Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und betonte: »Angesichts der sicherheitspolitischen Lage ist es von immenser Bedeutung, dass Deutschland gemeinsam mit den Nato-Partnern bei der Herstellung von Munition unabhängiger wird.«
Die Rheinmetall-Erweiterungen in Unterlüß sind nur ein erster Schritt – und sie versprechen in vielen Kaliberbereichen und bei zahlreichen Munitionsarten gewaltige Gewinne. Denn Experten zufolge muss die Bundesregierung bis 2031 mindestens 20 Milliarden Euro ausgeben, um die Munitionsvorräte der Bundeswehr so aufzufüllen, dass sie den von der Nato geforderten Mindestbeständen entsprechen. Da auch die meisten anderen europäischen Nato-Armeen einen Munitionsmangel beklagen, braucht Rheinmetall auch jenseits des Ukraine-Krieges nicht fürchten, dass seine Kapazitäten in absehbarer Zeit brachliegen. Gerade teilte Rheinmetall mit, dass man von einem »europäischen Kunden« den Auftrag zur Lieferung von 155mm-Artilleriemunition erhalten habe. Wert: 33 Millionen Euro.
Allerdings, so lautet eine nicht nur von Rheinmetall erhobene Klage, bestelle die Regierung derzeit noch zu zaghaft. In diesem Jahr hat das Verteidigungsministerium gerade einmal für 900 Millionen Euro Order erteilt. Im Haus Lambrecht weist man die Kritik zurück und verspricht für die kommenden Jahre eine solide Planung – samt Inflationsausgleich. Zugleich bemüht sich das vom Grünen Robert Habeck geleitete Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gerade hingebungsvoll um sichere Lieferketten in Sachen Rohstoffe.
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