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Mörderische Verhältnisse
Postkolonialer Western: Die Miniserie »The English«
Der Western ist eines der ältesten Film-Genres, mit dem das Kino Ende des 19. Jahrhunderts begann. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Western immer wieder innovativ verändert, auch unter politischen Gesichtspunkten, um ihn aus seiner borniert-rassistischen Law-and- Order-Ecke herauszuholen. Zuletzt überzeugte die Netflix-Produktion »The harder they fall« (2021) mit einer künstlerisch eindrucksvollen antirassistischen Wild-West-Erzählung, in der die in dem Genre jahrzehntelang kaum repräsentierten Schwarzen Cowboys die zentrale Rolle spielen.
Eine postkoloniale Western-Erzählung des konfliktiven und mörderischen Verhältnisses von europäischen Einwanderern gegenüber indigenen Menschen in Nordamerika gibt es bisher aber kaum. Genau in diese Bresche stößt jetzt die sechsteilige BBC-Mini-Serie »The English«. Die Titel gebende englische Adelige Cornelia Locke (Emily Blunt) reist 1890 nach Kansas, auf der Suche nach dem Mörder ihres Sohnes. Dabei begegnet sie dem indigenen Pawnee Eli Whipp (Chaske Spencer), der gerade seinen Dienst als Armeescout beendet hat und auf dem Weg nach Nebraska ist. Die beiden treffen als Gefangene aufeinander und entkommen gemeinsam einer Gruppe von Vergewaltigern und Rassisten. Fortan reiten sie gemeinsam weiter.
»The English« ist bildästhetisch als großes Kino inszeniert, zeigt aber keine staubigen Landschaften und Bilderbuch-Felsformationen, wie das im Western sonst der Fall ist. Eli und Cornelia, die sich auf ihrem Weg gezwungenermaßen recht kämpferisch gegen diverse weiße Männer wehren, reiten durch riesige grüne Landschaften, über ewige Klatschmohnfelder und liegen nachts unter einem irrwitzigen Sternenhimmel in der Prärie, wo sie miteinander ihr Wissen über Sternbilder teilen.
Kansas und Wyoming, wo die Handlung der Serie angesiedelt ist, sind fruchtbare Gegenden, in denen Vieh- und Ackerbau betrieben wird. Wobei die meisten europäischen Einwanderer, vor allem Engländer, die in dieser Erzählung vorkommen, mordend durch die Gegend ziehen oder als Großgrundbesitzer Nachbarn das Vieh stehlen. Im Gegensatz dazu pflegen Eli und Cornelia ein solidarisches und bald sehr freundschaftliches Verhältnis. Fast alle anderen sind auf ihren Profit aus, verfolgen mordend ihre Ziele und versuchen, auch Eli und Cornelia umzubringen. Der Wilde Westen ist hier ein rechtsfreier, von Rassismus, Gewalt und Mord geprägter Raum, in dem vor allem indigene Menschen stets um ihr Leben oder um ihre Freiheit fürchten müssen.
Dabei entwickelt »The English« eine komplexe, dramaturgisch verschlungene und fast wie ein Rätsel angelegte Erzählung, in der sich die Lebenswege von Eli und Cornelia in der Vergangenheit schon einmal indirekt gekreuzt haben. Ein bereits Jahre zurückliegendes Massaker, das einige ehemalige Soldaten in einer Cheyenne-Siedlung verübten und dessen Zeuge Eli wurde, wird zum historischen und traumatisierenden Bezugspunkt, um den die ganze Geschichte kreist.
Einer der Täter ist der Mann, den auch Cornelia sucht. Zwischen den Siedlungen der weißen Einwanderer, den Erinnerungen an mörderische Militäraktionen gegen die indigene Bevölkerung und der exterminatorischen Logik der weißen Landnahme erinnert die Mini-Serie »The English« immer wieder an Joseph Conrads Roman »Herz der Finsternis«.
In »The English« werden aber keine kulturalistischen Stereotype des guten Indigenen bedient, wie etwa in dem Film »Der mit dem Wolf tanzt«. Vielmehr erzählt die Serie von kultureller, sozialer und politischer Unterordnung indigener Menschen in einem autoritären System, vom Zwangsverhältnis der Schulen zur Umerziehung, dem jahrelangen Kriegszustand, den Enteignungen brauchbaren Ackerlands und gewalttätigen Umsiedlungen.
Es geht aber auch um die Konflikte indigener Gruppen und inwieweit diese von den weißen Kolonisatoren instrumentalisiert wurden. Wobei im Zentrum von »The English« eine empowernde Geschichte über die Solidarität zwischen einem indigenen Mann und einer weißen Frau steht, die sich beide gemeinsam gegen die brutale Gewalt weißer Männer wehren. Diese ungewöhnliche Geschichte erlebt am Ende eine verblüffende Auflösung, bei der auch die Rolle des Westerns als koloniales Narrativ thematisiert wird.
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