- Kultur
- Gewalt gegen Frauen ist in Guatemala
Die Bühne der Mutigen
Guatemala gehört zu den weltweit gefährlichsten Ländern für Frauen. Kein Tag vergeht ohne einen Mord. Gegen diese Realität rebelliert die Theatergruppe »Las Poderosas«
Lesbia Téllez hat die bunte Maske abgelegt. Die hat sich »Las Poderosas« bei den mexikanischen Wrestler*innen abgeschaut und auf die Bühne nach Guatemala-Stadt gebracht. »Die Masken sind ein Symbol der Tapferkeit, des Eintretens für den Wandel und spielen bei mehreren unserer Stücke eine zentrale Rolle«, erklärt die 50-jährige Schauspielerin, schiebt ihre Maske und ihr Kostüm beiseite und macht Platz am Tisch im Proberaum des Kulturzentrums in Guatemala-Stadt. Gerade hat sie noch ein paar Szenen mit Mayra Salvador und Telma Ajín geprobt. Die beiden Frauen gehören zum siebenköpfigen Ensemble des Theaterkollektivs »Las Poderosas« (die Mächtigen). Ajín ist wie Lesbia Téllez von Beginn an dabei, Mayra Salvador ist die jüngste im Ensemble und erst seit »Un Día después« (ein Tag danach) dabei, einem Stück über die Diskriminierung von Straßenhändler*innen durch Polizei und Behörden.
Bei Recherchen zum Stück, Interviews mit Händlern und Händlerinnen, die in der historischen Altstadt Obst, Essen, aber auch Schmuck und Souvenirs verkaufen, haben »Las Poderosas« Mayra Salvador 2018 kennengelernt. Offen hat sie damals über den Umgang von Behörden und Polizei mit den »Ambulantes«, den fliegenden Händler*innen, gesprochen: »Ich glaube, dass ich genauso wie andere Frauen, aber auch einige Männer vor allem diskriminiert werde, weil ich Indigene bin, traditionelle Kleidung trage und mich zu meiner Identität bekenne«, erklärt sie mit fester Stimme. Was sie beschreibt, ist nichts Ungewöhnliches in Guatemala, wo der Respekt gegenüber den rund 30 indigenen Völkern alles andere als ausgeprägt ist. Rassismus ist weitverbreitet und ein Thema, mit dem sich das Theaterkollektiv immer wieder beschäftigt: »Es sind drei Themen, die im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen: Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch und die Diskriminierung von indigenen Frauen«, erklärt Lesbia Téllez, deren Leben sich durch das Theater von Grund auf verändert hat.
Die Bühne als Therapie
»Früher war ich unsicher, schüchtern und ohne Selbstvertrauen, wurde von meinem Mann systematisch schikaniert«, erklärt Tellez, die die Arbeit des Theaterkollektivs heute koordiniert. Schon als Sechsjährige wurde Lesbia Téllez von ihrem Stiefvater missbraucht, hat später 18 Jahre lang unter Gewalt ihres Ehemanns und Vaters ihres Kindes gelitten, bevor sie den Absprung aus dem Martyrium dank eines Hilfszentrums für Frauen fand. Dort gab man ihr die Adresse des Theaterworkshops, bei dem sie langsam ihre eigene Stimme und Meinung entdeckte, begriff, dass ihr Wort Gewicht hat und bekam langsam Selbstvertrauen. Das eint die sieben Frauen, die derzeit zu »Las Poderosas« gehören und sich als Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt bezeichnen und sich für gleiche Rechte von Frauen in Guatemala engagieren.
Dabei ist die Bühne und das Repertoire von mittlerweile einem halben Dutzend Theaterstücken das wichtigste Instrument. Doch auch die Workshops an Schulen, die Kooperationen mit sozialen Organisationen oder die Filme auf dem Youtube-Kanal sorgen für Auseinandersetzungen mit ihren Themen. Gleiches gilt für das jüngst erschienene, illustrierte Buch über »Las Poderosas« oder die Theater-Tournee im November in Spanien. Die wurde – genauso wie Kooperationen und Projekte in Nachbarländern wie Mexiko, Honduras oder Nicaragua – dank der kontinuierlichen Unterstützung der spanischen Kultur-Kooperation möglich.
Diese hat ihren Sitz in der 6. Avenida von Guatemala-Stadt, im Cine Lux, mitten in der historischen Altstadt. Das markante Gebäude mit der runden, geschwungenen Bauhaus-Fassade ist ein Treffpunkt der kritischen Kreativen in Guatemala-Stadt. Neben dem Kino und dem modernen Theatersaal verfügt das Lux auch über Probe- und Konferenzräume. »All das steht uns zur Verfügung, wir proben, wir inszenieren und engagieren uns für Frauenrechte von hier«, erklärt Lesbia Téllez mit einem zufriedenen Lächeln.
Doch trotz aller vollmundigen Beteuerungen von Seiten der konservativen Regierung ist Guatemala von der gesetzlichen Gleichstellung von Frauen in fast allen Bereichen extrem weit entfernt. »Frauen haben hier nicht die gleichen Rechte wie Männer, die Zahl der Vergewaltigungen, die Zahl der Schwangerschaften von Minderjährigen, aber auch die Hürden für Frauen in der Politik sind immens«, kritisiert Mayra Salvador und verweist auf das Beispiel von Thelma Aldana und Thelma Cabrera. Beide Frauen, die eine ehemalige Generalstaatsanwältin, die andere Kandidatin der Bauernbewegung Codeca, gehörten zu den progressiven Präsidentschafts-Kandidatinnen bei den Wahlen 2019. »Aldanas Kandidatur wurde unter fadenscheinigen Vorwänden unmöglich gemacht, sodass sie ins Exil ging. Thelma Cabrera landete schließlich auf dem undankbaren vierten Platz, unter anderem, weil sie keine tragfähige, parteipolitische Infrastruktur aufbauen konnte«, ärgert sich Mayra Salvador und legt die Stirn missbilligend in Falten.
Hindernisse, die auch bei den im Juni 2023 anstehenden Präsidentschaftswahlen wieder auftauchen könnten, glaubt die 31-jährige indigene Frau, der das Theater viel gebracht hat. »Heute bin ich eine viel selbstbewusstere Frau, die sich nicht bevormunden lässt«, erinnert sie sich lachend an ihren Einstieg 2018 bei »Las Poderosas«. Als die Recherche zum Stück »Un día después« gerade beendet war, stand eine Tournee nach Mexiko mit dem Theaterkollektiv an. Genau die wollte Mayras damaliger Freund ihr verbieten, woraufhin sie ihm den Laufpass gab. Seitdem hat sie ihre Arbeit bei »Las Poderosas« weiter intensiviert.
Bittere Realität
Das Theater macht ihr Spaß und nebenbei hat sie gelernt, dass sie zumindest auf dem Papier weitaus mehr Rechte hat, als in der Praxis oft respektiert werden. »Warum ist die Finanzierung von Schutzräumen für Frauen und Mädchen in Guatemala immer wieder gefährdet, warum gibt es selbst dort keine Sicherheit?«, fragt sie und erinnert an den Brand in einem Mädchenheim in San José Pinula im März 2017. 41 Mädchen starben, weitere 15 wurden verletzt und bei den Ermittlungen kam heraus, dass etliche der Mädchen missbraucht und zwangsprostituiert wurden. Daran erinnert ein Mahnmal auf dem zentralen Platz von Guatemala-Stadt, dem Platz der Verfassung.
Auf diese bitteren Realitäten weisen Frauen- und Menschrechtsorganisationen auf Demonstrationen genauso hin wie »Las Poderosas«. »In diesem Jahr waren wir zur Demo am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, erstmals nicht auf den Straßen der Hauptstadt«, so Telma Ajín. Erst am 6. Dezember kam das Theaterkollektiv von der Tour in Spanien zurück und verpasste die Demo, an der rund 500 Frauen sowie mehrere LGBTIQ-Organisationen teilnahmen und gegen die erneute Zunahme der Mordquote an Frauen und queeren Aktivist*innen protestierten.
428 Femizide hat die Generalstaatsanwaltschaft bis zum 25. November 2022 registriert – deutlich mehr als im Vorjahr. Dramatische Zahlen, die Expert*innen wie die Juristin Paula Barrios auf den fehlenden politischen Willen der Regierenden zurückführt. »Vier bis fünf Jahre dauert es, bis ein Femizid in Guatemala vor Gericht landet«, kritisiert sie die Ineffektivität der Justiz.
Ein Problem, das auch in den Arbeiten der »Las Poderosas« immer wieder auftaucht. In »Mi Justicia« geht es um den schwierigen Zugang zur Justiz für Frauen, das derzeit aktuellste Stück »In La K’ech« widmet sich der schwierigen Situation von Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen in Guatemala. »Die Kriminalisierung des Widerstands ist in Guatemala, aber auch in den Nachbarländern ein gravierendes Problem – die Justiz agiert mehr und mehr im Interesse der Mächtigen«, kritisiert Telma Ajín. Lesbia Téllez nickt zustimmend. Wie sich das ändern lässt, wissen auch die engagierten Schauspielerinnen nicht, aber sie wissen, dass das Theater dabei eine wesentliche Rolle spielen kann. »Wir haben gelernt, uns zu reflektieren, den Kreislauf der Gewalt zu verlassen und uns zu heilen. Das können auch andere. Das Theater hat die Kraft, die Gesellschaft zu sensibilisieren und sie zu verändern«, glauben Telma Ajín und Lesbia Téllez.
Téllez greift zu ihrer Maske und zu ihrem Kostüm, denn die Koordinatorin der »Poderosas« hat noch einen weiteren Termin. Es geht darum, ein Theaterprojekt im Norden Guatemalas für das nächste Jahr zu koordinieren. Ein Projekt, das zumindest punktuell für Veränderung sorgen könnte, meint Téllez und verabschiedet sich mit einem optimistischen Grinsen.
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