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Dat soll nu wat sein
Wieder mal sehr gut: Die neue Kurzprosa von Otto Jägersberg
Kurz- und Kürzestprosa wird im Vergleich zu anderen Genres, vor allem zum Roman, so wenig beachtet, dass Kritiker oft geneigt sind, die Gattung selbst und ihre poetologischen Parameter zu taxieren und nicht so sehr die spezifische Handhabung durch einen Autor. So als müsste man dafür Werbung machen – wie für eine vom Aussterben bedrohte Tierart. Entsprechend wirkt sich die Gattungswahl meistens auch auf das Werturteil selbst aus. Wenn er schon einmal ein solches Buch bespricht, ist der Kritiker geneigt, ihm wohlwollend bis euphorisch zu begegnen, allein weil der Autor es wider alle monetären Erfolgsaussichten zu schreiben gewagt hat. Dabei ist Kürzestprosa eben nur eine Gattung unter anderen, also grundsätzlich nicht mehr, aber eben auch nicht weniger wert.
Selbstredend braucht man bei mir dergleichen Vorurteile nicht zu befürchten. Wenn ich den neuesten Prosaband von Otto Jägersberg lobe, wie alle anderen auch in den letzten Jahren, dann liegt das allein daran, dass er wieder sehr gut ist. Jägersberg schreibt im Grunde Tagebuch, aber es geht ihm nicht darum, den Alltag mitzuschreiben, das gelebte Leben zu dokumentieren, sondern der totalen Profanität noch einmal etwas Schönheit abzutrotzen. Sei es durch einen Witz, einen Aphorismus, eine suggestive Beschreibung oder auch nur eine wohlgesetzte Leerstelle, die man selbst fantasievoll zu füllen hat. Und dann drängt sich eben doch manchmal die Welt ruppig und schmerzhaft in die ästhetisierte Realität hinein. »Sie sterben mir alle weg, mein Bruder Rolf, Brandy der Großkuppler, ach, es lohnt das Zählen nicht, sie kommen ja nicht wieder. Sie auf dem Friedhof zu haben, ist nur ein schwacher Trost. Sie können von da nicht wegspringen, und man muss nicht ins Löwenbräu gehen, sie zu suchen. Trotzdem, ein Jammer. Mit Fritz nicht mehr über Heidegger reden, mit Peter nicht mehr Tiroler Schnaps aus Vogelbeeren trinken, mit Helmut nicht, mit Jannot nicht, schon scheiße. Dabei bin ich nicht gerade gesund, dass es kracht, es bröckelt, schrumpft und knistert von Kopf bis Fuß. Will aber noch nicht sterben.«
Da fallen dem alten Autor unvorsichtigerweise die Karten aus der Hand, und man sieht, dass er nicht mehr so viele Stiche auf der Hand hat. Das ist das Ernstfundament dieser verspielten Prosa. Und wer sich davon nicht anrühren lässt, dem ist eigentlich nicht mehr zu helfen.
Seine Poetik liefert Jägersberg übrigens auch gleich mit, in Form einer Allegorie. »Dat soll nu wat sein, hieß es in meiner Heimat, wenn man mit Kunstprodukten in Berührung kam, die man nicht verstand. Wenn einer aber dreißig Bierdeckel übereinanderstapeln konnte, dann sagte man das nicht, sondern sagte Alle Achtung und bestellte dem Künstler ein Bier.« Ich würde Otto Jägersberg gern zwei, drei Bier bestellen.
Otto Jägersberg: À la carte. Prosa. Diogenes, 223 S., geb., 24 €.
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