- Politik
- Angriff auf die Demokratie
Nicht nur vom selben Schlag
Die extrem rechte Bewegung von Jair Bolsonaro in Brasilien ist mit der von Donald Trump in den USA liiert
Parallelen zum Sturm auf das Washingtoner Kapitol im Januar 2021 sind deutlich: Radikale Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaro drangen vor einer Woche in Brasiliens Hauptstadt in den Regierungspalast, das Oberste Gericht und das Parlament ein und ließen ihre Wut an den Symbolen von Exekutive, Legislative und Judikative aus, die Bolsonaro angeblich den Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl im Oktober gestohlen hatten. Die Bolsonaristen zerstörten Inventar, durchwühlten Büros und beschädigten Kunstwerke, attackierten Journalisten. Erst nach Stunden gelang es Polizeikräften, die Gebäude zu räumen und Hunderte Randalierer in Gewahrsam zu nehmen. Die Schäden gehen in die Millionen. Noch größer ist die Schockwelle, die die Bilder in der Öffentlichkeit erzeugten.
Die Ausschreitungen des nach einem Putsch rufenden rechten Mobs in Brasília waren der Kulminationspunkt monatelanger Proteste gegen den neuen Präsidenten Lula da Silva. Einiges spricht dafür, dass dieser für Brasiliens jüngere Geschichte beispiellose Angriff auf die demokratischen Institutionen koordiniert erfolgte und von hohen Beamten gedeckt wurde. Nur eine Woche nach Lulas feierlicher Amtseinführung war trotz mit hunderten Bussen angereister Pro-Bolsonaro-Demonstranten der Schutz der Regierungsgebäude nur dürftig. Für das Konzept zuständig war Brasílias Sicherheitschef Anderson Torres, zuvor Bolsonaros Justizminister. Trotz der Gefahrenlage war Torres nach Florida abgereist, angeblich in den Urlaub. Dort hält sich derzeit auch der Ex-Präsident auf, den er am Vortag der Randale getroffen haben soll. Der linke Abgeordnete Guilherme Boulos twitterte dazu: »Der Anführer des Putsches hat Vor- und Nachnamen: Jair Bolsonaro. In den Knast mit ihm!« Torres erwartet bei Rückkehr bereits ein Haftbefehl, der ebenfalls abgesetzte Polizeichef von Brasília sitzt schon. Es kommt noch besser: Am Donnerstag machte die »Folha de São Paulo« publik, dass bei einer Durchsuchung der Wohnung von Torres der Entwurf für ein Dekret Bolsonaros für ein Eingreifen bei der Wahlbehörde zur Abänderung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl gefunden wurde.
Direkt nach der Wahl hatten Bolsonaristen mit Straßenblockaden versucht, das Land in einen Ausnahmezustand zu versetzen. Mit Kundgebungen und Camps vor Kasernen, bis zuletzt auch vor dem Hauptquartier des Heeres in Brasília, wollte eine radikale Minderheit die Dinge in Bewegung bringen. Dieses politische Spektrum spekuliert auf die Rechtslastigkeit bei Polizei und Militär, das 1985 nur halbherzig in die Kasernen zurückkehrte, als die 1964 installierte Diktatur endete.
Bolsonaro hat eine ähnliche Taktik gewählt, wie sie in den Vereinigten Staaten Donald Trump nach seiner Niederlage gegen den Demokraten Joe Biden verfolgte, als er den Versuch startete, die demokratischen Spielregeln durch das Schüren von Aufruhr auszuhebeln. Bis heute hat Bolsonaro den Wahlsieg von Lula da Silva von der gemäßigt linken Arbeiterpartei (PT) – die beiden Kontrahenten trennten in der Stichwahl weniger als zwei Prozentpunkte – nicht anerkannt.
Trump konnte für seine Angriffe auf die Verfassung die relativ lange Hängepartie nutzen, die der Wahlprozess in den USA mit etlichen Besonderheiten in verschiedenen Bundesstaaten und einer indirekten Wahl des Präsidenten durch das Electoral College aufweist. Bolsonaro seinerseits hatte bereits mitten in der Legislatur begonnen, nicht stichhaltige Zweifel an den elektronischen Wahlurnen zu säen. Solche sorgen im größten Land Südamerikas bereits seit 1996 sehr schnell für klare Ergebnisse. Seitdem war Bolsonaro fünf Mal auf diese Weise für Rio de Janeiro als Kandidat rechter Kleinparteien in Brasiliens Abgeordnetenhaus gewählt worden, wo er allein als skrupelloser Demagoge auffiel.
Einen dreisten Vorstoß der Wahlkoalition hinter Verlierer Bolsonaro, die gefordert hatte, 192 000 an angeblich unzuverlässigen Wahlurnen abgegebene Stimmen aus der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl zu annullieren, um das Ergebnis zu kippen, beantwortete Ende November das Oberste Wahlgericht mit der Verhängung einer hohen Geldstrafe gegen die drei Parteien wegen »unlauterer Absichten«. Der Vorstoß unterfütterte das Narrativ der gestohlenen Wahl und der Bolsonaristen als Opfer der politischen Klasse. Die Spitzen der Judikative waren immer wieder Gegenstand von Drohungen des Bolsonaro-Clans, weil das Oberste Gericht den autoritär gesinnten Staatschef wiederholt mit der Herrschaft des Rechts konfrontierte.
Wie sein US-Pendant verbreitet auch Bolsonaro sein Weltbild und aggressive Angriffe auf politische Gegner mithilfe einer Propagandastruktur vor allem über Messengerdienste und soziale Netzwerke. Die Schaltstelle seiner digitalen Milizen ist in Brasilien als das »Kabinett des Hasses« bekannt und wird unter der Hand von diversen Unternehmern finanziert. Carlos Bolsonaro, Stadtrat in Rio und zweitältester Sohn des nunmehrigen Ex-Präsidenten, ist einer der Köpfe der kriminellen Struktur. Zum Wahlsieg von Bolsonaro, der als extremistischer Außenseiter ins Rennen gegangen war, hatten 2018 millionfach verbreitete Fakenews beigetragen, was später Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurde.
Bolsonaro und Trump stehen auf demselben marktradikalen ideologischen Fundament. Von der neuen Rechten in den USA übernommen wurde auch das groteske Konzept eines Kampfes gegen den »kulturellen Marxismus« liberaler Eliten als Upgrade des Antikommunismus der Alt-Right während des Kalten Krieges. Beide kanalisieren Proteststimmungen und haben eine Massenbasis, die stark von rechtskonservativen und religiösen Fundamentalisten geprägt ist. Dabei wirken sie eher als Gurus ihrer Bewegungen denn als Parteiführer. Mit dem Versuch, eine auf ihn zugeschnittene Partei zu bilden, ist Bolsonaro gescheitert, derzeit ist er bei den Liberalen an Bord. Mit dem Sinken seines Schiffes gehen nun immer mehr bisherige Verbündete zum Ex-Präsidenten auf Distanz.
Die Blaupause für die Unterminierung des demokratischen Rechtsstaats wurde aus Nordamerika geliefert: Trumps früherer Chefstratege und Architekt seines Wahlsieges 2016, Steve Bannon, hatte den Bolsonaro-Clan auf dem Weg zur Macht beraten. Die Angreifer von Brasília bezeichnete Bannon jetzt als »Freiheitskämpfer«, den Aufruhr nannte er einen »brasilianischen Frühling« und Lula einen »kriminellen atheistischen Marxisten«. Den direkten Kontakt zum früheren US-Präsidenten und zu dessen Umfeld hält vor allem Bolsonaros drittältester Sohn Eduardo, der als Abgeordneter im brasilianischen Kongress sitzt.
In einer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Erklärung von 71 progressiven Abgeordneten aus den USA und Brasilien wird der Pakt der Bolsonaro-Familie mit den Trumpisten scharf verurteilt. Es sei kein Geheimnis, dass rechtsextreme Agitatoren in Brasilien und den Vereinigten Staaten ihre Bemühungen koordinierten. Man stehe »vereint gegen die Versuche autoritärer, antidemokratischer rechtsextremer Akteure, rechtmäßige Wahlergebnisse und unsere Demokratien zu kippen«.
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