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Aus Respekt vor der Institution
Seit 40 Jahren gibt es in Deutschland Kirchenasyl – doch die Fälle werden weniger
Die Kirchenasylbewegung wird 40 Jahre alt. »Wir wollen in diesem Jahr feiern und Kraft tanken für unsere Arbeit«, sagte Bernhard Fricke, der Vorsitzende des Vereins Asyl in der Kirche für Berlin und Brandenburg, am Mittwoch bei der Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg. »Kirchenasyl ist auch nach 40 Jahren noch nötig, denn Gewalt in Europa trifft die Schwächsten: Menschen auf der Flucht.«
Die Auftaktveranstaltung fand am historischen Ort statt, denn in dieser Kirche wurde 1983 die Kirchenasylbewegung geboren. Anlass war der Selbstmord des Türken Cemal Kemal Altun, der aus dem sechsten Stock des Verwaltungsgerichtsgebäudes in den Tod gesprungen war. Altun hatte in Deutschland Asyl beantragt, doch die Türkei forderte seine Auslieferung. Er saß 13 Monate lang in Auslieferungshaft.
Der Selbstmord erregte damals viel Anteilnahme. Ein Trauerzug von mehreren tausend Menschen bewegte sich zum Friedhof der Heiligkreuzgemeinde. Bereits im Frühjahr 1983 hatten Gemeindemitglieder und andere Menschen in dieser Kirche mit einem Hungerstreik die Freilassung von Altun aus der Auslieferungshaft gefordert. Nur wenige Wochen später gab es in der Heiligkreuzgemeinde das erste Kirchenasyl. Anfangs musste die Gemeinde Kirchenasyle noch gegen Widerstände der Kirchenleitungen organisieren, erinnert sich eine Teilnehmerin der Veranstaltung. »Das ist der größte Unterschied zu heute. Heute unterstützen das die Bischöfe und sie appellieren an Kirchengemeinden, mehr Kirchenasylplätze bereit zu stellen.«
Dabei gibt es eigentlich kein Gesetz, das Behörden zwingt, Kirchenasyle zu respektieren. Dass sie nicht gebrochen werden, geschieht lediglich aus Respekt vor der Institution Kirche, die seit Jahrhunderten bedrohten Menschen Schutzräume bietet. Einen Versuch, ein Kirchenasyl zu brechen gab es 2003 in Schwante in Brandenburg: Da verschaffte sich die Polizei Zugang in die kirchlichen Räume, um den allein erziehenden Vietnamesen Xuan Khang Ha und seinen fünfjährigen Sohn zur Abschiebung abzuholen. Durch Zufall traf sie ihn nicht an. Der Fall wurde bundesweit in den Medien aufgegriffen, sodass es keinen zweiten Abschiebeversuch gab.
Seit einigen Jahren überziehen Behörden in Bayern und Nordrhein-Westfalen allerdings Pfarrer und katholische Ordensschwestern mit Strafanzeigen, wenn diese Kirchenasyl gewähren. Die Gerichte gehen unterschiedlich damit um. Viele Verfahren werden eingestellt, in anderen Fällen gibt es Geldstrafen.
Kirchenasyle sind immer ein befristeter Schutz. Sie geben den Behörden Zeit, über ihre Abschiebeentscheidung erneut nachzudenken und Dokumente erneut zu prüfen. Laut »Asyl in der Kirche« sind 98 Prozent der Kirchenasyle erfolgreich. Gut 90 Prozent betreffen allerdings derzeit sogenannte Dublinfälle, also Menschen, denen eine Rückschiebung in einen anderen EU-Staat droht. Hier dient das Kirchenasyl lediglich dazu, Zeit zu überbrücken. Denn die Behörden haben meist nur sechs, in Ausnahmefällen 18 Monate Zeit, um die Menschen in den anderen EU-Staat zurückzuschicken. Wenn die Flüchtlinge diese Zeit im Kirchenasyl »absitzen«, ist die Rückschiebegefahr gebannt.
Ein Film der Gruppe Blind Spots zu Gewalt und illegalen Rückschiebungen gegen Flüchtlinge in Ungarn und Kroatien auf der Veranstaltung am Mittwoch zeigt, wie dringend auch für diese Menschen Sicherheit in Deutschland ist. Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sagte der dpa dazu, es sei erschreckend, von welchen schlimmen Erfahrungen aus anderen EU-Staaten geflüchtete Menschen berichteten. »Von illegalen Push Backs, die teilweise mit großer Härte ausgeführt werden, selbst wenn Kinder dabei sind, wird ebenso berichtet, wie von Inhaftierungen unter sehr schwierigen Lebensbedingungen.«
Bundesweit gibt es laut »Asyl in der Kirche« derzeit 320 Kirchenasyle für insgesamt 516 Menschen. Das ist trotz steigenden Bedarfs ein Rückgang. Vor einem Jahr gab es noch 360 Fälle für 561 Schutzsuchende. Der Rückgang hängt mit den hohen Anforderungen an eine Kirchengemeinde zusammen, wenn sie Kirchenasyl gewähren. Sie müssen vollständig für den Lebensunterhalt ihrer Gäste aufkommen. Bei schweren medizinischen Eingriffen helfen öfter konfessionelle Krankenhäuser, die dann kostenlos behandeln. Staatliche Leistungen gibt es für Menschen im Kirchenasyl nicht. In ländlichen Regionen müssen Kirchengemeinden auch Fahrdienste organisieren, um Kinder im Kirchenasyl zur Schule zu bringen. Vielen Kirchengemeinden fehlen auch die Räume, um Menschen unterzubringen.
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