»Wir haben eine europäische Verantwortung«

Heinz Bierbaum, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung, über die Krise der Linken und der politischen Bildungsarbeit in schwierigen Zeiten

Heinz Bierbaum auf der internationalen Konferenz »No Pasaran« im März 2022 in Berlin. Seit November ist er Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Heinz Bierbaum auf der internationalen Konferenz »No Pasaran« im März 2022 in Berlin. Seit November ist er Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ein paar Tage nachdem Sie im November 2022 zum Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewählt wurden, feierten Sie Ihren 76. Geburtstag. Was hat Sie bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?

Interview

Heinz Bierbaum, Jahrgang 1946, lehrte mehr als 20 Jahre als Professor für Betriebswirtschaft die Fächer Unternehmensführung und Unternehmenspolitik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlands. Über die WASG, der er 2004 beitrat, kam er zur Linkspartei.

Er war parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im saarländischen Landtag, stellvertretender Linke-Vorsitzender, zuletzt drei Jahre lang Präsident der Europäischen Linken. Im November 2022 wurde er zum Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewählt.
Im Gespräch antwortet Bierbaum freundlich und konzentriert. Man spürt: Der Mann ist effizientes Arbeiten gewohnt.

Das ist für mich eine außerordentlich interessante Herausforderung, und zwar sowohl politisch als auch intellektuell. Wir haben es hier in der Stiftung mit Analyse zu tun, mit Wissenschaft, mit intellektuellen Auseinandersetzungen – und wir sind gleichzeitig politisch wirksam. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist nicht nur für die Partei Die Linke wichtig, sondern für die gesellschaftliche Linke insgesamt. Insofern haben wir einen weitergehenden gesellschaftlichen Auftrag. Das ist es, was mich interessiert an dieser Arbeit. Die nächste Vorstandswahl findet in drei Jahren statt, und ich glaube, die Zeit bis dahin sind für die Stiftung entscheidende Jahre.

Entscheidend sicher nicht nur wegen der zu erwartenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern auch wegen der Situation der Stiftung selbst. Parteinahe Stiftungen sind relativ langfristig finanziell abgesichert, aber letztlich abhängig von den Wahlergebnissen der jeweiligen Partei. Geht es der Stiftung immerhin besser als der Partei Die Linke und der Bundestagsfraktion, die in kürzeren Zeiträumen denken und planen müssen?

Ja, denn unsere Finanzplanung orientiert sich an den Ergebnissen der jeweils letzten vier Bundestagswahlen. Deshalb ist unser finanzielles Fundament gegenwärtig noch ganz gut. Allerdings muss man klar sagen: Die Zeit, in der unsere Stiftung gewachsen ist, ist vorbei. Wir stehen vor der Aufgabe, diese Stiftung effizienter zu machen, mit tendenziell weniger Mitteln. Es ist völlig klar, dass wir personell nicht weiter wachsen können. Wir haben jetzt einen Strategieprozess begonnen, um das Profil der Stiftung zu schärfen.

Sie waren in den letzten drei Jahren Vorsitzender der Europäischen Linkspartei. Gibt es vergleichbare Stiftungsmodelle auch in anderen Ländern?

Es gibt Stiftungen, aber nicht in dieser Form, nicht mit so einer staatlichen Finanzierung wie in Deutschland. Die Stiftungen etwa in Frankreich, in Italien oder in Spanien müssen mit viel weniger Geld auskommen, sind anders finanziert. Allerdings gibt es eine linke Stiftung auf europäischer Ebene, Transform Europe, die wird praktisch über das Europäische Parlament finanziert.

Machen die Luxemburg-Stiftung und die Linkspartei genug aus diesen vergleichsweise komfortablen Möglichkeiten?

Da müssen wir mehr daraus machen, ganz klar. Der Austausch zwischen Partei und Stiftung ist nicht schlecht, aber da ist mehr drin. Ich denke dabei vor allem an unsere 27 Auslandsbüros. Das sind Ressourcen, die stärker genutzt werden müssen für die politische Diskussion hierzulande. Zumal die Politik ja sowieso immer internationaler wird, immer stärker global bestimmt wird. Da geht es nicht nur um unsere Analysen von Entwicklungen in diesen Ländern, die wir hier mehr bekannt machen und stärker in die Debatten einbringen müssen. Es geht auch darum, möglichst gute Verbindungen zu politischen, zu gesellschaftlichen Kräften in diesen Ländern zu haben. Verbindungen zur Politik von der Stiftung her in den jeweiligen Ländern. Beispielsweise hatten wir kurz vor den brasilianischen Präsidentschaftswahlen letztes Jahr ein Treffen mit Lula; unser Büro dort hat gute Kontakte zu seiner Arbeiterpartei und zur sozialistischen Partei PSOL.

Die deutsche Linkspartei spielte immer eine wichtige Rolle in der Europäischen Linken. Wie wird die Krise der Partei dort wahrgenommen?

Mit großer Sorge. Denn die anderen Parteien wissen, dass für die europäische Entwicklung eine starke linke Partei in Deutschland von zentraler Bedeutung ist. Und das sehen sie gegenwärtig gefährdet. Ich habe in der Partei Die Linke immer versucht, deutlich zu machen, dass wir eine Verantwortung auch für die europäische Entwicklung haben. Was nicht immer und von allen so gesehen worden ist. Aber es ist so, und viele Anfragen aus anderen Parteien bestätigen mir das.

Der Streit in der Linkspartei reicht bis zu Debatten über eine Abspaltung. Welche Möglichkeiten hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung, solche Diskussionen aufzufangen und dem Auseinanderdriften entgegenzuwirken?

Wir sind keine Partei, die Beschlüsse fasst, sondern wir bieten Räume zur Auseinandersetzung und Verständigung an. Das ist unsere Aufgabe. Der letzte Stiftungsvorstand hat zehn Herausforderungen skizziert, vor denen Die Linke steht. Das ist ein Beitrag zu dieser Debatte, auch ein Angebot. Leider ist das von der Partei zu wenig aufgegriffen worden, wir sind nicht so in die Diskussion reingekommen, wie es notwendig wäre. Etwa über die Frage, wie in der Linken so etwas wie ein strategisches Zentrum entwickelt werden kann. Das wollen wir ändern, wie wir überhaupt eine stärkere Offenheit bei der Linkspartei und ihrer Führung erwarten für das, was wir als Stiftung beitragen können.

Das wirft andererseits die Frage auf, wie nützlich die Arbeit der Stiftung für Die Linke und ihr Umfeld ist.

Ich glaube, wir haben da einiges zu bieten. Wie das von der Partei wahrgenommen wird, das ist – diplomatisch formuliert – verbesserungswürdig.

Sie waren lange in Saarbrücken Professor für Betriebswirtschaft, haben etwa im Fach Unternehmungsführung gelehrt. Gibt es aus diesen Erfahrungen etwas, was Sie der Führung der Linken ans Herz legen möchten?

Erst mal will ich meine Erfahrungen in die Stiftung einbringen. Wir müssen unsere Organisation, unsere Strukturen überprüfen. Was für uns wichtig ist und was ich auch der Führung der Linkspartei sagen muss: Der entscheidende Punkt ist, dass man über eine überzeugende Strategie verfügt. Das ist die Grundlage für jede Unternehmenspolitik und für jede Organisation. Wir haben uns in der Stiftung bemüht, Schwerpunkte zu identifizieren. Einer der zentralen Punkte ist die sogenannte Zeitdiagnose, also die Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung, und die Frage, wo die strategischen Ansatzpunkte für sozialistische Politik sind. Jetzt gibt es das große Thema Klimagerechtigkeit und sozial-ökologische Transformation. Dann der Frieden und die geopolitischen Herausforderungen. Außerdem das, was wir als »Gesellschaft der Vielen« bezeichnen, der Kampf gegen rechts. Und die soziale Gerechtigkeit in Verbindung mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeit. Daraus leiten wir die Debatte für die weitere Arbeit ab. Und das kann ich der Linkspartei auch nur empfehlen. Die Linke hatte 2020 eine Strategiekonferenz, aus der ist nichts gefolgt. Damals hatten ja viele in der Linken begrüßt, dass es ein solches Debattenforum gibt, aber der Diskussionsprozess ist nicht fortgeführt worden. Das muss dringend wieder aufgegriffen werden.

Ihre Amtsvorgängerin Dagmar Enkelmann sagte im nd-Interview, einer der Gründe für die jetzigen Probleme der Linken sei es, dass die inhaltlichen und programmatischen Differenzen, die es schon vor gut 15 Jahren bei der Fusion von PDS und WASG gab, nicht geklärt wurden. Dagmar Enkelmann hat den Fusionsprozess von PDS-Seite aus erlebt, Sie als WASG-Mitglied. Ist dieser Befund auch Ihrer Ansicht nach ein Kern des Problems?

Da ist etwas dran. Ob Kern oder nicht: Jedenfalls gibt es erhebliche Defizite in der strategischen Diskussion. Am Anfang wurde Die Linke von den Schwesterparteien beneidet wegen ihrer Pluralität, und es war auch ein Vorteil, unterschiedliche Positionen in einer Partei zu vereinen. Aber das hat sich später praktisch ins Gegenteil verwandelt – aus diesem Vorteil ist eine harte Auseinandersetzung von Strömungen geworden.

An welchem Punkt ist das umgeschlagen?

Es war kein thematischer Punkt oder ein bestimmter Zeitpunkt. Es liegt vielmehr an mangelnder Diskussion miteinander und daran, dass Konflikte stark personalisiert werden. Wenn man nach dem inhaltlichen Kern der Unterschiede fragt, stößt man oft gar nicht auf so große Differenzen.

Vielleicht ist ein Teil der Erklärung ganz banal: Solange eine Unternehmung erfolgreich ist, spielen Differenzen keine große Rolle. Aber wenn es schlecht läuft, knallt’s.

Das ist die klassische Geschichte, insbesondere bei Linken. Ich war Anfang November bei der Nationalversammlung, praktisch dem Parteitag von Sinn Féin in Dublin. Die schwimmen derzeit auf einer Erfolgswelle, in Nordirland und auch in der Republik Irland. Das ist eine ganz andere Ausstrahlung. Bei uns dagegen nehmen die Konflikte zum Teil zerstörerische Dimensionen an.

Sie waren parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag des Saarlands, zu einer Zeit, als Die Linke dort im Höhenflug war. Inzwischen hat sich die Partei selbst aus dem Parlament katapultiert. Ist das in absehbarer Zeit reparabel? Und wie groß ist der Schaden für die gesamte Linkspartei in den alten Bundesländern?

Der Schaden ist riesig, das hat für uns bundesweite Bedeutung. Und für das Saarland bin ich pessimistisch, dass die Partei da wieder auf die Beine kommt. Da hätte die Bundesgeschäftsführung mehr tun müssen, um den Konflikt zu befrieden. Auch hier war es leider wieder ein stark personalisierter Konflikt.

Die AfD klagt derzeit beim Bundesverfassungsgericht auf staatliche Zuwendungen für ihre Stiftung. Sollte diese Stiftung aus Steuergeldern finanziert werden wie die anderen parteinahen Stiftungen?

Da sollte die politische Dimension im Vordergrund stehen und nicht nur die formale Zugehörigkeit der AfD zum Bundestag. Wir müssen schon sehen, wie weit es sich um eine Partei im demokratischen Spektrum handelt – oder eben nicht. Natürlich entscheidet das Verfassungsgericht, aber der politische Aspekt ist hier gravierend.

Dabei könnte eine Rolle spielen, wie der Verfassungsschutz die AfD einschätzt.

Zum Verfassungsschutz habe ich eine eher skeptische Einstellung. Für mich ist entscheidend, ob die AfD in den demokratischen Bogen passt. Und da sage ich: Nein.

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