Die menschliche Komödie

Für den italienischen Kulturminister ist Dante Alighieri der nationale »Begründer rechten Gedankenguts«. Nun wird der Dichter von der Linken verteidigt – dabei liegt das Problem in der politischen Vereinnahmung der Kunst allgemein

  • Ioannis Dimopulos
  • Lesedauer: 5 Min.
Handelt es sich hier um politisches Gedankengut? Darstellung der »Göttlichen Komödie« im Florentiner Dom (Domenico di Michelino, 1465)
Handelt es sich hier um politisches Gedankengut? Darstellung der »Göttlichen Komödie« im Florentiner Dom (Domenico di Michelino, 1465)

Karl Marx zufolge ereignet Geschichte sich einmal als Tragödie und ein zweites Mal als Farce. Dieser Leitsatz bewahrheitet sich immer wieder – so auch vor einigen Tagen, als Italiens Kulturminister Gennaro Sangiuliano versuchte, Dante Alighieri zum »Begründer des rechten Gedankenguts« in Italien zu erklären. Es handelt sich dabei nicht um den ersten Versuch, den italienischen Nationaldichter, dessen bekanntestes Werk die »Göttliche Komödie« (um 1320) ist, politisch zu vereinnahmen. So hatten bereits Benito Mussolini und Kreise ihm wohlgesinnter Intellektueller versucht, diesen politisch-propagandistisch für den italienischen Faschismus zu instrumentalisieren. Entsprechend gab es nun zu Sangiulianos Äußerungen spöttische Kommentare in den sozialen Medien.

Die Instrumentalisierung von Kunst zum politischen Hilfsmittel ist nicht neu. Vor allem ist es kein alleiniges rechtes Phänomen. Die Inszenierung großer Parteitage im Nationalsozialismus, die in artifiziellen Pathos gesteigerten Reden Hitlers oder Goebbels’, aber auch der »Marsch auf Rom«, mit dem die Faschisten unter ihrem »Duce« Mussolini in Italien die Macht übernahmen, verweisen darauf, dass Faschismus offenbar ein Bedürfnis nach Ästhetik hat. Dies ist nicht verwunderlich. Das Politische lebt von der minutiösen Inszenierung. Nicht umsonst wurde zwischen 1935 und 1938 am Eröffnungstag des Parteitags der NSDAP Richard Wagners »Meistersinger« gespielt.

Politik muss sich auf bestimmte Weise geben, um zu gefallen und macht dadurch das Artifizielle zum Konstituens des eigenen Handelns. Dies zeigt sich auch in Italien. Angelo Bonelli, ein Abgeordneter des Grünen Linksbündnisses, verweist auf Twitter nicht etwa auf das Problem der Politisierung von Kunst selbst, sondern darauf, dass Dante für ganz andere Themen Position bezogen habe, als es die politische Rechte tut. Was der neofaschistischen Partei vorgeworfen wird, ist also nicht die Politisierung an sich, sondern eine falsche Politisierung.

Es wäre aber, bei allem komödiantischen Gehalt dieser aktuellen Diskussion, klüger gewesen, auf die Stellung von Kunst in der Gesellschaft zu blicken, statt Dante korrekt einordnen zu wollen. Die Vereinnahmung des Dichters ist nämlich genauso verkehrt, wenn er zum Sozialisten umgedeutet werden soll. Entscheidend dabei ist die Idee kapitalistischer Landnahme. Ist nichts gesellschaftlich zu denken, ohne dass es einen ökonomischen Zweck oder Wert besitzt, so muss auch Kunst zum Organ politischer Agitation reduziert werden. In einem solchen Kunstverständnis vereinigen sich Rechte, Vulgärmarxisten und vermeintlich progressive Vorkämpfer partikularer Identitäten.

Gerade der deutsche Kulturbetrieb ist sehr schnell mit Dämonisierungs- und Konservatismusvorwürfen bei der Hand, wenn neu erschienene Romane oder Musik nicht klar genug politisch Position beziehen. Dabei fehlt es den Werken oft nicht an politischer Dimension, die konstitutive Uneindeutigkeit von Kunst fordert allerdings die Rezeption heraus. Statt diese Herausforderung anzunehmen, stürzt sich politische Agitation auf Kunst und behauptet ihre semantische Eindeutigkeit in einer kontingenten Welt. Kunstwerke sind instrumentalisierbar, können als Projektionsflächen des eigenen Standpunkts dienen. Sie scheinen sich denen, die sie missbrauchen wollen, widerstandslos zu fügen: Zustimmung mit der eigenen Weltsicht durch Stillschweigen.

Das erinnert an Adorno und Horkheimers Charakterisierung der Kulturindustrie als gesellschaftliches Verhältnis, in dem alle Kultur zur Ware reduziert wird. Es geht jedoch nicht allein darum, Kunst und ihre Kritik als kulturindustriell gefärbt zu verstehen. Die Politisierung von Kunst scheint auch die Funktion zu erfüllen, etwaige Neuerscheinungen anhand bekannter und lebensnaher Kategorien einordnen und deuten zu können. Man liegt möglicherweise nicht weit weg von der Wahrheit, wenn man sich die Kafka-Lektüren des Deutschunterrichts ins Gedächtnis ruft, in denen allzu gern das komplexe Werk des Autors auf das schwierige Verhältnis zu seinem Vater reduziert wird. Das Bedürfnis, Kunst anhand von Identifikation und eigener Lebenserfahrung zu deuten, ist dabei nicht das Problem. Kunst, die vergisst, dass sie sich als Anwältin der konkreten menschlichen Erfahrung aus dem Leben speist, verkommt zu reiner Form und stirbt ab. Aber es ist gefährlich, in ihr nur die Widerspiegelung der eigenen Welt zu entdecken. Das ist der springende Punkt: Dadurch, dass in der Projektion und Identifikation das politische Bedürfnis in die Kunst gepresst wird, wird gleichzeitig das immanent emanzipatorische Potenzial der Kunst verkannt. Die politische Vereinnahmung der Kunst ist deshalb so problematisch, weil sie Fiktion mit Wirklichkeit vergleicht und ersterer anschließend die Lücken als Lügen vorhält, statt es umgekehrt zu machen.

Kunst, die nicht identisch ist mit der Realität, wird diese Qualität zu einem Makel gemacht. Dabei liegt gerade in ihrer Abweichung von der schlecht eingerichteten Wirklichkeit ihr politisches Potenzial. Kunst übt in der fiktionalen Rede die Möglichkeit eines besseren Zustands, weil sie nicht darauf angewiesen ist, der deformierten Welt zu entsprechen. Indem Kunst Aussagen über eine Welt trifft, die uns produziert und gerade nicht natürlich gegeben erscheint, lässt sie erahnen, dass eine bessere Ordnung des Lebens möglich ist. Dadurch, dass Kunst nicht urteilt, urteilt Kunst. Denn sie überführt die vermeintliche Sicherheit darüber, was wahr und unveränderbar sei, der Lüge. Die Formgesetze des Kunstwerks modellieren den verhandelten Gegenstand und verwandeln ihn dadurch. Es scheint dadurch die Welt veränderbar und nicht mehr starr, so wie man es gerne im politischen Diskurs verlautbart.

Sollte in Zukunft also ein zweiter Sangiuliano, etwa in Deutschland, auf die Idee kommen, Thomas Mann oder Richard Wagner als Vordenker rechter Politik zu bezeichnen, wäre es ratsam, sich in Mäßigkeit zu üben. Der Vorwurf der Politisierung von Kunst wird sonst sehr schnell zum unreflektierten Selbstvorwurf.

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