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Im Wettlauf mit der Inflation

Erdoğans Politik verarmt die türkische Bevölkerung und verschreckt internationale Investoren

Wechselstube in Izmir: Die Abwertung der türkischen Lira macht ausländische Devisen und Importe immer teurer.
Wechselstube in Izmir: Die Abwertung der türkischen Lira macht ausländische Devisen und Importe immer teurer.

Die unkonventionelle bis abenteuerliche Wirtschaftspolitik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hält die Ökonomie des Landes in einer prekären Balance: Niedrige Zinsen befeuern die Kreditvergabe und halten so das Wirtschaftswachstum bislang aufrecht. Gleichzeitig galoppiert die Inflation, die türkische Lira verliert an Wert. Die steigenden Preise führen zu einer Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Allerdings ermöglicht das Wirtschaftswachstum der Regierung, Finanzhilfen an die Menschen zu verteilen – die jedoch prompt von der Inflation wieder aufgefressen werden. Das Land hängt weiter am Zufluss ausländischen Kapitals. Doch während die privaten Investoren sich zurückziehen, findet die Türkei neue Geldgeber: Qatar, China und Russland.

Auf der Haben-Seite Erdoğans findet sich ein anhaltendes Wirtschaftswachstum: Selbst im Krisenjahr 2020 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um knapp zwei Prozent. Im Folgejahr waren es sogar elf Prozent und 2022 sollen es voraussichtlich knapp fünf Prozent sein. Die Exportquote stieg letztes Jahr um 13 Prozent, was auch am florierenden Handel mit Russland lag. Mit einem Plus von über 70 Prozent – in US-Dollar gemessen – stand die Istanbuler Aktienbörse 2022 an der globalen Spitze.

Die Kehrseite ist die extrem hohe Inflation, die im vergangenen Herbst bei 85 Prozent gipfelte. Bis Dezember ging sie zwar auf 64 Prozent zurück, doch das ist für die Bevölkerung ein schwacher Trost. Denn erstens dürfte die tatsächliche Teuerung über der offiziellen liegen. Und selbst gemessen an den Zahlen des türkischen Statistikamts kosteten Lebensmittel im Dezember immer noch 78 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, Energie war fast doppelt so teuer. Die Last trügen vor allem die ärmeren Haushalte des Landes, so die Weltbank. Aber auch die Mittelschicht ist bedroht.

Wachstum und Inflation – angeheizt wird beides durch billiges Geld. Der Präsident persönlich sorgt per Anweisung und Besetzung von Zentralbankposten dafür, dass die Zinsen niedrig bleiben, damit der kreditgetriebene Boom nicht endet. Statt die Inflation durch Leitzinserhöhungen zu bremsen, hat die türkische Zentralbank ihre Leitzinsen seit 2021 um volle zehn Prozentpunkte gesenkt.

Vor den anstehenden Wahlen, so schreibt das britische Magazin »Economist«, scheine Erdoğan fast allmächtig. »Doch seine Macht kennt Grenzen. Eine davon ist die Ökonomie.« Laut Prognosen der Weltbank geht das Wachstum dieses Jahr auf 2,7 Prozent zurück. Die Inflationsrate dürfte irgendwo zwischen 25 und 50 Prozent liegen. Ein großes Problem ist die türkische Lira: Die hohe Inflationsrate plus niedrige Zinsen machen die türkische Währung unattraktiv für globale Investoren. In der Folge hat die Lira gegenüber dem US-Dollar seit 2018 drei Viertel ihres Werts verloren. Da Importe vielfach in Dollar zu bezahlen sind, macht die schwache Lira Einfuhren teurer, was die Inflationsrate weiter steigen lässt.

Die Regierung hat vor den Wahlen zwar zahlreiche finanzielle Unterstützungen für die Bevölkerung beschlossen: Hilfen zur Frühverrentung für 2,3 Millionen Einwohner*innen, 600 Milliarden Lira an Energiezuschüssen, eine Erhöhung des Mindestlohns um 55 und der Gehälter der öffentlich Bediensteten um 30 Prozent. »Allerdings dürfte die Inflation diese staatlichen Zuschüsse noch vor Juni aufgefressen haben«, so der Economist, »das ist ein Grund dafür, dass Erdoğan die Wahlen auf Mai vorziehen will.«

Ein weiteres großes Problem der Türkei sind die hohen Auslandsschulden vor allem der Privatwirtschaft. Zur Tilgung braucht das Land US-Dollar, ebenso zur Stützung des Lira-Kurses und zur Finanzierung seiner Importe. Denn im Geschäftsverkehr mit dem Ausland erzielt die Türkei ein Leistungsbilanzdefizit von fast fünf Prozent ihres BIP. »Defizite in dieser Höhe zu finanzieren, dürfte für die Türkei dauerhaft kaum möglich sein«, so die DZ-Bank.

Neue Geldgeber

Das Land braucht also Investoren, die Devisen ins Land bringen und so die Türkei international geschäftsfähig halten. Allerdings »haben drei Währungskrisen innerhalb von drei Jahren das Vertrauen von Rating-Agenturen und internationalen Investoren in die türkische Wirtschaftspolitik stark erschüttert«, erklärt die DZ-Bank.

Dennoch hat Erdoğan neue Geldgeber gefunden: Im Dezember ließen »nicht deklarierte Kapitalzuflüsse« die Devisenreserven der türkischen Zentralbank anschwellen. Dazu kamen in den vergangenen Monaten Devisentauschgeschäfte mit China, Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch Russland überweist Geld, unter anderem zum Bau eines Atomkraftwerks durch die russische Rosatom, und stundet der Türkei die Zahlung von Gaslieferungen. »Die Fähigkeit Erdoğans, Finanzierungen von befreundeten Staaten zu finden, ist ziemlich beeindruckend«, schreibt Brad Setser von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations auf Twitter, »auch wenn diese Staaten nicht wirklich als Freunde zu bezeichnen sind.«

Längerfristig halten Ökonom*innen die wirtschaftlichen Aussichten der Türkei für gut. Die westlichen Geldgeber dürften das Land schon aus geopolitischen Gründen nicht China und Russland überlassen. Zudem verfügt die Türkei über eine relativ gute Infrastruktur und vor allem über billige Arbeitskraft – in der Industrie liegt der Durchschnittslohn bei 400 Euro im Monat und wird mit jedem Wertverlust der Lira für ausländische Investoren niedriger. »Da Europa versucht, seine Lieferketten zu verkürzen, könnte die Türkei als Zulieferer mit China konkurrieren«, so der »Economist«.

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