Keine Berührungsangst bei sensiblen Themen

Der antirassistische Verein AKEBI bezieht neue Räumlichkeiten

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 4 Min.

Welcher Name würde zu einem Raum passen, in dem Türk*innen sich mit dem armenischen Genozid, aber auch mit eigenen Rassismuserfahrungen in Deutschland beschäftigen? Ein armenisches Wort vielleicht, oder ein deutsches, für alle verständlich? Erkin Erdoğan schaut auf die erleuchteten Fenster des Projektraums in der Böckhstraße in Kreuzberg. »Wir finden schon noch einen Namen, heute feiern wir erst einmal die Eröffnung«, sagt er mit sichtlichem Stolz.

Seit 2014 ist der Verein AKEBI (ein Akronym für einen türkischen Begriff, der übersetzt AktivistInnenvereinigung gegen Rassismus, Nationalismus und Diskriminierung bedeutet) in Berlin aktiv. Gegründet wurde er von Erkin Erdoğan und anderen türkeistämmigen Menschen, die sich für politische Teilhabe ihrer Landsleute engagieren.

»Unsere Hauptarbeit ist die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Vergangenheit und der Kampf gegen Nationalismus und Rassismus zwischen türkeistämmigen Migrant*innen«, erklärt Erdoğan. Die Aktivist*innen seien der Überzeugung, dass ein konsequenter Kampf gegen Rassismus in Deutschland nur dann möglich sei, wenn man sich auch mit den eigenen rassistischen Mechanismen beschäftige. »Ich meine damit, wer sich nicht mit den Verbrechen der Türkei, wie dem Genozid an den Armenier*innen auseinandersetzt, der kann auch heute nicht zu einer demokratischen Entwicklung der Gesellschaft beitragen«, sagt er. Man müsse zum Ursprung zurückgehen und hinterfragen, was Begriffe wie »Türkentum« überhaupt bedeuten und auf welchen Grundpfeilern die Republik Türkei entstanden sei. »Andernfalls wird der Rassismus gegen Kurd*innen oder Araber*innen einfach reproduziert«, warnt er. Als eines ihrer Vorbilder sehen die Aktivist*innen den armenischen Journalisten Hrant Dink, der bis zu seiner Ermordung in Istanbul 2007 für die Anerkennung des Genozids in der türkischen Gesellschaft, aber auch für ein respektvolles Zusammenleben zwischen Türk*innen und Armenier*innen einstand.

In den vergangenen neun Jahren hat AKEBI zahlreiche Veranstaltungen organisiert und auch ein umfangreiches Online-Angebot auf ihrem Youtube-Kanal erstellt. Die Themen reichen von der Geschichtsaufarbeitung über Hip-Hop-Kultur bis zu den Möglichkeiten einer antikolonialen Zukunft. So gut wie alle Formate sind auf Deutsch und Türkisch übersetzt. Der nun eröffnete Projektraum soll ein fester Ort für Veranstaltungen, aber auch für den Austausch mit anderen Gruppen im Bezirk werden.

AKEBI spricht sensible Themen an, die nicht nur in der Türkei großes Konfliktpotential haben. Auch in Deutschland bestreiten türkische Nationalisten den Völkermord, kurdische und linke Migrant*innen werden Opfer brutaler Angriffe. Dass auch AKEBIs Projektraum Ziel von Attacken werden könnte, denkt Erdoğan erst einmal nicht. »Wir sind ein Berliner Verein und wir machen keine Türkeipolitik« betont Erdoğan. »Aber wir haben eine Position gegenüber der türkischen Geschichte, die übrigens auch vom deutschen Parlament vertreten wird«, erläutert er und bezieht sich dabei auf die Armenien-Resolution. Fast einstimmig hatte der Bundestag 2016 über ein Dokument abgestimmt, in dem die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armenier*innen als Völkermord bezeichnet wird. »Wir sehen uns als Teil des antirassistischen Kampfes hier in Kreuzberg und diesen Kampf muss man jeden Tag führen.« Statt eiserne Gitter an den Fenstern anzubringen, sei es wichtiger, den Rassismus an seinen Wurzeln zu bekämpfen – nicht im Einzelkampf, sondern als gesellschaftliche Strategie.

AKEBI ist vor allem ein Verein von Freiwilligen. Nur eine kleine Stelle wurde durch die Finanzierung des Partizipations- und Integrationsprogramms vom Berliner Senat ermöglicht. Die Mittel für dieses Programm der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wurden unter der rot-rot-grünen Regierung immer wieder aufgestockt. Erdoğan hofft, dass es auch bei einem Regierungswechsel nach den Neuwahlen bestehen bleibt. Das nächste große Projekt, das AKEBI plant, heißt »Empowerment der Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung«. In dessen Rahmen sollen drei Ziele verwirklicht werden: den Dialog zwischen verschiedenen Generationen von Migrant*innen fördern, demokratische Teilhabe in Deutschland ermöglichen und deren Zugang zu antirassistischen Initiativen erleichtern. Dafür kooperiert AKEBI mit dem Stadtteilzentrum Kotti e.V.

Alteingesessene Kreuzberg*innen kennen den Projektraum vielleicht noch als die Narr-Bar, in der auch einige der heutigen AKEBI-Aktivist*innen mal gearbeitet haben. Nar, mit einem R, ist das türkische Wort für Granatapfel. Die Frucht hat eine tiefe Bedeutung in der armenischen Kultur. Bei Neuanfängen werden sie aufgebrochen, um Glück zu bringen. Ihre tausend Kerne stehen aber auch für die Zerstreuung der Genozidüberlebenden in alle Teile der Welt. Einer dieser Kerne ist wohl auch AKEBI, der Verein, der dafür Sorge trägt, dass sich Tragödien aus der Vergangenheit nicht wiederholen.

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