Manchmal muss es wehtun

Kritisch oder eher lahm: Ein Blick auf kirchliche Portale im Netz

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 5 Min.

Es kommt nicht oft vor, dass Kirchenjournalisten in säkularen Medien gelobt werden. Anfang Dezember 2022 aber titelte die »Neue Zürcher Zeitung«: »Der von rechten Katholiken meistgehasste Journalist tritt ab – Raphael Rauch hat das einst brave Internetportal ›kath.ch‹ auf Krawall gebürstet«. Und tatsächlich, der Deutsche kam vor drei Jahren zu »kath.ch« nach Zürich und hat die Klickzahlen seitdem verdreifacht. Wohl auch, weil der Portalleiter kein Blatt vor den Mund nimmt und immer wieder kritische bis bissige Artikel über die eigenen Bischöfe schreibt. Oder wie er selbst formuliert: »Für einen Journalisten ist es nicht die Aufgabe, den Bischöfen zu gefallen, sondern ihnen kritisch auf die Finger zu schauen.«

Rauchs Claim geht so: Katholisch – religiös – relevant. Die säkularen Medien zitieren »kath.ch« heute um einiges mehr als in den Jahren zuvor. Der tägliche Blick auf das katholische Portal lohnt sich. Dessen Leiter erklärt die gestiegene Aufmerksamkeit: »Zum Beispiel haben wir einen Gottesdienst gefilmt, wo eine Frau am Altar stand und konzelebriert hat, sozusagen ein Video-Beweis, wie eine Frau sich über die bischöflichen Regeln hinwegsetzt, weil sie einfach sagt: Mein Bild von Jesus ist einladend. Wir finden es ein Dokument der Zeitgeschichte. Frauen machen. Sie warten nicht, dass Männer ihnen etwas zugestehen, sondern sie gehen mutig voran. Dieses Video ging um die Welt. Dieses Video war Thema im Vatikan.«

Die Schweizer Bischöfe sind allerdings seine Auftraggeber. Kaum verwunderlich, dass diese ihren Kirchenredakteur wieder loswerden wollten. Kirche ist aber mehr als nur der Klerus. In einer Mediation verständigten sich nun die Schweizer Bischofskonferenz und das Katholische Medienzentrum in Zürich darauf, dass »ein Spannungsfeld von redaktioneller Unabhängigkeit und Loyalität gegenüber dem kirchlichen Auftraggeber systemimmanent ist«. So gebe es heute viele kritische Katholiken, die sich freuten, dass »kath.ch« die innerkirchliche Reformdiskussion bissig-kritisch widerspiegele, sagt Rauch.

Doch »kath.ch« ist nicht allein um Aufregung bemüht. Auf Youtube veröffentlicht das Portal auch ganz unaufgeregte Erklärvideos, etwa zu den Heiligen. Rauch will nicht warten, bis jemand auf »kath.ch« stößt, sondern bereits auf externen Social-Media-Kanälen Menschen ansprechen.

Nun verlässt Rauch allerdings Mitte des Jahres das Internetportal. Mit seinen 37 Jahren wolle er als Wirtschaftsredakteur beim Boulevardblatt »Sonntagsblick« der Ringier AG Neues wagen. Er könnte aber auch Kirchenredakteur bleiben, meint er. Er erklärt: »Unabhängiger Journalismus kann wehtun und muss manchmal wehtun. Anders sind wir nicht glaubwürdig als Kirche, wenn wir nach diesen ganzen Skandalen nicht sagen, wir leisten uns einen kritischen unabhängigen Journalismus.«

In Deutschland gibt es »katholisch.de« als Pendant zum Schweizer Portal. Mit »kath.ch« gebe es einen redaktionellen Austausch, sagt der Bonner Portalleiter Björn Odendahl. Für ihn ist »katholisch.de« ein Erklärportal über den Glauben, der von Generation zu Generation immer mehr verloren gehe. Wenn plötzlich eine Taufe oder Firmung ins Haus stehe, könnten sich hier die Menschen informieren. Hinzu kommen Audio- und Videoangebote.

Pater Philipp aus Maria Laach etwa spricht das tägliche Video-Gebet. Auch das jüngere Publikum soll angesprochen werden, beispielsweise im Kinderbibel-Podcast. »Wir sind zudem kritisch-loyaler Begleiter dessen, was in der katholischen Kirche heute passiert. Das betrifft die Reformbemühungen in Deutschland, auch die Missbrauchsaufarbeitung. Das ist ein wichtiges Signal der Transparenzoffensive der Bischöfe«, so Odendahl.

14 Redakteure, im Alter von 25 bis 40 Jahren, erreichen hier täglich 60 000 bis 80 000 Menschen. Die Tendenz sei seit Jahren steigend, sagt Odendal. Auf dem Kirchenportal gebe es ein Fachwissen, das bei säkularen Medien kaum noch vorhanden sei, weil sich viele Redaktionen heute kaum noch einen klassischen Kirchenjournalisten leisten. Wer wissen wolle, was katholisch ist, könne sich bei »katholisch.de« am besten informieren, meint er.

Das Geld dafür kommt vom Verband deutscher Diözesen. Ähnlich wie »kath.ch« dürfe auch das deutsche Kirchenportal kritisch berichten, sagt der Portalleiter: »Wir sind ein Abbild der katholischen Kirche in Deutschland. Wenn Sie den synodalen Weg verfolgen, dann ist relativ offensichtlich, dass auf der Ebene der Bischöfe, aber auch der Laien, geschätzt 90 bis 95 Prozent eher liberal und reformorientiert sind. Das spiegelt sich dann auch in der Berichterstattung von ›katholisch.de‹ wider. Die Bischöfe selbst haben Wert darauf gelegt, dass wir kein PR-Organ sind. Wir haben ein Redaktionsstatut, das uns journalistische Freiheit zusichert, sodass wir keine Redaktionslinie von irgendwem vorgegeben bekommen.«

So ähnlich sieht man das auch beim Gemeinschaftswerk evangelischer Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main. Hier wird »evangelisch.de« von einer Handvoll Redakteuren und freier Pauschalisten betreut. »Journalistische Unabhängigkeit ergibt sich aus der Präambel des GEP. Wir arbeiten in der Überzeugung, dass christliche Publizistik in der Bindung an das Evangelium eigenständige Entscheidungsfreiheiten, kirchliche Verpflichtung in gleicher Weise umfasst. Wir sind loyal einerseits gegenüber der Kirche, was uns aber nicht in unserer journalistischen Freiheit eingrenzt«, erklärt Portalleiter Markus Bechtold.

Bechtold hat das Schaufenster-Prinzip eingeführt. Hier sieht und hört man alles, was evangelische Publizistik aufzubieten hat. Von klassischer Bibelarbeit bis zu schwul-lesbischen Kreuz-&-Queer-Formaten. Hinzu kommen externe Kooperationspartner, etwa das Videoprojekt des Evangelischen Kirchenfunks Niedersachsen-Bremen. Wenn jemand schon etwas mache, müsse »evangelisch.de« keine kostspieligen Dubletten produzieren, meint Bechtold.

Doch reicht das alles? Die Berliner Kommunikationswissenschaftlerin Anne Beier hat sich die Kirchenportale angeschaut. Über »evangelisch.de« sagt sie, dass es hier kaum um investigativen Hintergrundjournalismus gehe, vielmehr um eine evangelisch-publizistische Leistungsschau. Gemacht für ältere, eher kirchenaffine Menschen. Junge Leute könne man damit kaum erreichen. Aber wenn den Bischöfen die eigenen Portale dann doch zu selbstkritisch werden und sie ihnen den Geldhahn abdrehen? Wer würde etwas vermissen?

»Die gläubigen Menschen werden immer älter, und für sie ist das ein niedrigschwelliges Angebot, ohne das Haus verlassen zu müssen, sich auch geistige Inhalte nach Hause holen zu können. Das ist der Absender, dem ich vertraue. Das ist ja ein Auftrag von Kirche, die Welt für die Gläubigen einzuordnen«, sagt Anne Beier.

Ob aber die deutschen Kirchenportale eine höhere Aufmerksamkeit erreichen werden so wie »kath.ch«, hängt von den Machern ab. Ein Journalist wie Raphael Rauch würde ihnen vielleicht guttun, um weitere Leser zu gewinnen.

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