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- Brecht-Tage 2023
Montieren gegen den Krieg
Die Brecht-Tage 2023 wollen zeigen, dass Bertolt Brecht die richtigen Fragen auch zu Kriegen der Gewegwart stellt
Es war Max Frisch, der Bertolt Brecht bereits kurz nach dessen Tod 1956 »die durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers« attestierte. Ein mit Gift versetztes Lob. Aber hat der der Schweizer Schriftsteller mit seiner Einschätzung denn so unrecht gehabt? Wurde uns Brecht, in diesem Jahr ein Klassiker, der 125 Lenze zählt, nicht reichlich vermiest durch den sogenannten Literaturunterricht in der Schule? Und winken nicht allzu viele vorschnell ab, wenn sie den Namen des großen Augsburgers hören? Brecht, ja, ja, ein alter Hut, reichlich pädagogisch, verstaubt, ein gestriger Künstler mit Interesse an gestrigen Fragen.
Aber so einfach ist es nicht. Wer die Muße aufbringt, sich mit dem extrem umfangreichen Werk Brechts vertraut zu machen, wird bald bemerken, dass hinter vermeintlich eindeutigen Botschaften die Klugheit des Dialektikers hervortritt und dass das Wirken des Künstlers vor allem auch das ist: ein ästhetischer Genuss. Und wer in Zeiten eines innereuropäischen Krieges, von Aufrüstung und offener Konfrontation statt Diplomatie die Relevanz des Brecht’schen Schaffens anzweifelt, muss blind sein für die Herausforderungen der Gegenwart.
Vom 6. bis 10. Februar finden im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus die Brecht-Tage unter dem Motto »›Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert‹. Brechts ›Kriegsfibel‹« statt.
Beteiligt sind Sebastian Blasius, Volker Braun, Margarita Breitkreiz, Dorte Lena Eilers, Johannes Gall, Dirk Gieselmann, Ulrike Haß, Jakob Hayner, Christoph Hesse, Sabine Kebir, Alexander Kluge, Gerd Koch, Luise Meier, Anna Melnikova, Zhenja Oks, Elisabeth Ruhe, Armin Smailovic, Johannes Weilandt, Erdmut Wizisla, Erik Zielke und Max Zschorna.
Weitere Informationen und das vollständige Programm finden Sie unter:
www.lfbrecht.de/projekte/brecht-tage-2023
Der Krieg war für Brecht ein Lebensthema. Schon als Gymnasiast überdenkt er seine anfängliche Kriegsbegeisterung und bezieht klar Stellung gegen das Töten. Etliche seiner Gedichte, nicht zuletzt in den Jahren des Exils von 1933 bis 1948 verfasst, wehren sich gegen den militärischen Eifer.
Da sind selbstverständlich auch die großen Dramen. »Trommeln in der Nacht« zeigt einen erschöpften Protagonisten, dem nach seiner Zeit an der Front nur noch die Flucht ins Private bleibt. In dem fragmentarischen Monumentalwerk »Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer« stellt Brecht einen Deserteur in den Mittelpunkt. Wie schmerzlich entbehren wir heute Porträts von Deserteuren, die nicht bloße Anklage sind! »Mutter Courage und ihre Kinder« fragt danach, wem Kriege eigentlich nützen. »Furcht und Elend des Dritten Reiches« wie auch »Schweyk im Zweiten Weltkrieg« handeln den Hitlerfaschismus szenisch ab.
Auch außerhalb der nur künstlerischen Arbeit vertrat Brecht eine eindeutige Position. Anfang der 50er Jahre stellte er auf Seite 1 des »Neuen Deutschland« unmissverständlich klar: »Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben.« Warum sollte sich an dieser einleuchtenden Wahrheit etwas geändert haben?
Und da wäre natürlich Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«, ein Theaterstück, das die Entstehung des Nazismus aus dem Geist der Kleinkriminalität zeigt. Am Ende des Dramas finden wir den Vers »Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert«, der auch titelgebend für die diesjährigen Brecht-Tage ist, die vom 6. bis 10. Februar im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus stattfinden und eines der verhältnismäßig wenig erforschten, aber äußerst inspirierenden Werke Brechts in den Blick nehmen: seine »Kriegsfibel«.
Ab den 30er Jahren – Brecht befindet sich bereits im dänischen Exil – beginnt er mit Unterstützung seiner Mitarbeiterin Ruth Berlau damit, Kriegsfotografien und Propagandabilder aus der Presse zu sammeln. Bald schon verfasst er dazu Vierzeiler. Das Genre des »Fotoepigramms« war geboren. Der journalistischen Kriegseuphorie setzt er keine gereimten Plattheiten entgegen. Seine Montagetechnik ist weit subtiler. Seine Verse sind, je nachdem, Kommentar, Erweiterung, Überspitzung, Verkehrung des Bildmaterials. Brecht nahm den Begriff Fibel ernst: Kriegsbilder muss man lesen lernen.
In den USA ließ Brecht zu den Bildprojektionen die Epigramme öffentlich vortragen. Ein Versuch, der mit der Schauspielerin Margarita Breitkreiz im Rahmen der Brecht-Tage wiederholt werden soll. Bis die »Kriegsfibel« als gedrucktes Buch erscheinen konnte, war es allerdings ein langer Weg. Erst 1955 wurde sie so veröffentlicht, wie sie noch heute im Buchhandel erhältlich ist. Zuvor musste Brecht sich im Nachkriegsdeutschland (Ost) mit dem unsäglichen Vorwurf des Pazifismus auseinandersetzen.
Dass auch wir noch Grundlegendes zu lernen haben, wird schnell klar, wenn man auf den verschärften Ton in den Medien achtet, die Abbildung von Staatschefs in martialischer Pose nicht ignoriert und das Verharmlosen und Schönreden des Krieges nicht einfach hinnimmt. (Das Schlagwort »Zeitenwende« spielt auch in Brechts »Kriegsfibel« eine Rolle.)
Ein solches Werk ist bis heute zweifelsohne anschlussfähig. Die Brecht-Tage wollen dafür den Beweis erbringen. Unter vielen anderen wird der Schriftsteller Volker Braun, der 1967 mit »KriegsErklärung« bereits eine Fortschreibung der »Kriegsfibel« mit Blick auf das Geschehen in Vietnam probiert und der sich das Brecht’sche »Fotoepigramm« zu eigen gemacht hat, einen Beitrag leisten.
Der Musikwissenschaftler Johannes Gall geht der Erweiterung der Bild-Text-Montagen durch die Tonebene auf den Grund, für die Hanns Eisler mit seiner Vertonung »Bilder aus der ›Kriegsfibel‹« verantwortlich ist. Der bildende Künstler Johannes Weilandt zeigt 30 Zeichnungen, die die Technisierung des Krieges verdeutlichen und gleichsam infrage stellen.
Alexander Kluge, der sich als einer der wenigen Intellektuellen in Deutschland sehr klar gegen Waffenlieferungen positioniert hat, wird mit Filmmaterial und im Gespräch die Aktualität Brechts bezeugen und die Montage als probates künstlerisches Mittel gegen den Krieg veranschaulichen. So soll zwischen wissenschaftlicher Auseinandersetzung und künstlerischen Arbeiten ein Programm entstehen, das der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht wird und das bei Bertolt Brechts Werk nicht stehen bleibt, sondern es in seinem Sinne fortführt.
Der bereits zitierte Vers »Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert« findet seine Fortsetzung in der Zeile »Und handeln; statt zu reden noch und noch«, um mit der weitaus bekannteren und oft zitierten Passage zu enden: »So was hätt’ einmal fast die Welt regiert! / Die Völker wurden seiner Herr, jedoch / Daß keiner uns zu früh da triumphiert / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.« Das Lesen der Kriegspropaganda, Sehen statt Starren, ist heute geboten. Es wird uns nicht davon entbinden, auch zu handeln, statt zu reden. Und doch: Klar zu sehen ist in diesen Tagen keine Selbstverständlichkeit mehr, es muss eingeübt werden. Das können und sollten wir von dem alten Meister Brecht lernen.
Gemeinsam mit Zhenja Oks leitet Erik Zielke in diesem Jahr die Brecht-Tage.
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