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  • Clowns im Nationalsozialismus

Hupen unterm Hakenkreuz

Bald ist es wieder so weit: Zu Karneval werden, zumindest im Rheinland, viele Clowns umherziehen. Auch im Nationalsozialismus erfreute sich die Clownerie großer Beliebtheit – und war dabei keineswegs unpolitisch

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 6 Min.
»Ich war nur ein internationaler Artist, der seinem Publikum Freude bringen wollte«, schreibt der Schweizer Clown Grock in seiner Autobiografie. Doch ließ er sich von Hitler hofieren.
»Ich war nur ein internationaler Artist, der seinem Publikum Freude bringen wollte«, schreibt der Schweizer Clown Grock in seiner Autobiografie. Doch ließ er sich von Hitler hofieren.

Im Nationalsozialismus gab es viel zu lachen. Unterbrochen vom Fliegeralarm boten Akrobaten und Musiker auf Varieté- und Zirkusbühnen ihre Kunst dar und im Kino liefen die harmlosen Abenteuer von Micky Mouse, zu denen Walter Benjamin schon 1931 schrieb: »In diesen Filmen bereitet sich die Menschheit darauf vor, die Zivilisation zu überleben.« In der Unterhaltungskultur unter dem NS-Regime fehlte zwar das Obszöne und Kritisch-Aufreizende der Weimarer Republik, doch viele Tanzlokale und Kinos änderten ihr Programm nur wenig. Revuetheater wie der Wintergarten und die Scala in Berlin richteten sich weiterhin auf »heiter stimmende Breitenwirkung« ein, wie es der Kulturwissenschaftler Jost Hernand in seinem Buch »Kultur in finsteren Zeiten« (2010) beschreibt. Ihr »unpolitisches« Programm verfolgte die Strategie, großen Teilen der noch sozialdemokratisch und kommunistisch eingestellten Gesellschaft Zerstreuung zu bieten. »In diesem Sinne hatte Goebbels schon im März 1933 gesagt: ›Die tendenziöseste Kunst ist die, deren Schöpfer behaupten, sie habe keine‹«, zitiert Hernand.

Gerade Clowns, denen oft eine anarchische Kraft nachgesagt wird, erfreuten sich großer Beliebtheit. Ihre Komik speist sich aus dem Unterlaufen menschlicher Normen und Gepflogenheiten. Wie die mythologischen Trickster-Figuren, von denen sie entfernte Nachfahren sind, vereinen sie Gegensätze: »Zerstörung und Kreativität, Ernsthaftes und Lachhaftes, Weisheit und Dummheit, Bosheit und Güte« – die Theaterwissenschaftlerin Gerda Baumbach beschreibt sie als »leiblich offen in alle Richtungen«. Ihre Bewegungen sind tölpelig, zugleich akrobatisch avanciert, die Körper verformen sich durch Buckel und geblähte Bäuche – nicht zu vergessen die großen roten Nasen. Doch während sie Normen zeitweise auszuhebeln wissen, die Mächtigen machtlos und die Kleinen groß machen, stabilisieren sie auch die Ordnung, indem sie im kollektiven Lachen ein gesellschaftliches Ventil bieten.

Der universelle Anspruch, allen Menschen Freude zu bringen mit Komik, die sich als anthropologisch konstant versteht, wird offenkundig zum Problem, wenn er Tür und Tor zur Komplizenschaft mit menschenfeindlichen Systemen öffnet und deren Ideologien stützt. Charlie Rivel und Grock, zwei der populärsten Clowns der Zeit, verstanden sich als unpolitische Spaßmacher. Große Erfolge feierten die zwei Exempel einer nicht gesellschaftskritischen Strömung der Clownerie auch auf deutschen Bühnen mit hochrangigem Publikum. Ein erstauntes »Nit möööglich!« war die Catchphrase des Schweizers Adrien Wettach, der als Grock und damals »bekanntester Clown Europas« mit winziger Geige und riesigen Schlappschuhen musizierte und auf Stühlen balancierte. 1880 geboren, begann er schon mit 13 Jahren seine Bühnenkarriere, die ihn auf Tournee durch Europa und Amerika führte.

Im Deutschen Theater in Berlin begegnet er am 24. Januar 1934 zum ersten Mal Hitler. »Ich war bereits geschminkt, als Dr. Goebbels in die Garderobe kam, um mich zu Hitler in dessen Loge zu begleiten. Er erhob sich, gab mir die Hand und sagte mir, daß er mich mindestens schon zehnmal gesehen habe« schreibt Grock in seiner 1951 erschienen Autobiografie »Grock. Ein Leben als Clown«, und ergänzt: »Später habe ich oft gedacht, welch ein Glück es für die Menschheit bedeutet, daß nicht alle meine Bewunderer Hitler ähnlich waren.« Doch er hatte sich während der NS-Zeit öffentlich damit gebrüstet, vom Diktator geschätzt zu werden und der einzige Künstler zu sein, der ihn nicht ermüde. Die 1956 überarbeitete und veröffentlichte Autobiografie »Nit mö-ö-ö-glich. Die Memoiren des Königs der Clowns« deckt sich an vielen Stellen mit der Publikation von 1951. Nur hier und da sind ein paar Hinweise an die Leser*innen ergänzt. So wurde zur leichteren Einordnung dem Treffen mit Hitler vorangestellt: »Um das Folgende verstehen zu können, müssen Sie wissen, dass ich in Fragen der Politik ein nicht zu überbietender Ignorant bin.« Außerdem tauchen nun allerhand böse Vorahnungen auf. Die »politische Neutralität« Grocks wird wohl auch von Vorteil gewesen sein, wenn er seine Kontakte zu Führungskräften bei Daimler Benz und BMW pflegte.

Kurz vor Kriegsbeginn zog er sich in seine italienische Villa zurück und begann dort vor Kriegsversehrten zu spielen, bevor er mit herzlichem Empfang 1944 in die Schweiz zurückkehrte. Nur die »Berner Zeitung« habe sich weniger herzlich geäußert: »Man nannte mich Nazi und Antikommunist. […] Ich hatte mich nie um Politik gekümmert, ich war kein Nazi, kein Kommunist und auch kein Weißgottwas, ich war nur ein internationaler Artist, der seinem Publikum Freude bringen wollte«, schreibt er in »Grock. Ein Leben als Clown.« An seiner Neutralität zweifelten aber wohl doch einige, denn auf seine Tourneeplakate wurden immer wieder Hakenkreuze gepinselt. 1952 überredete Grock den katalanischen Clown Charlie Rivel, bekannt für sein langes rotes Trikot und den Ausruf »Akrobat – schööön!«, zur gemeinsamen Tournee. Rivel, der in den Dreißigerjahren auf deutschen Bühnen auch vor politischer Prominenz spielte, bewunderte Hitler und sendete ihm Geburtstagsgrüße. In seiner Autobiografie »Akrobat – schöön« von 1972 zeigt er sich als Spaßmacher mit universellem Anspruch: »Es wird immer Lachen und Lust, Tränen und Leiden für Menschen jeglicher Nation und jeder Hautfarbe geben. Mit seinem Segeltuch und seinem Tauwerk ist der Zirkus wie ein Schiff, das vor allen Winden in jeder Witterung auf Fahrt sein muß. Für die Mannschaft bedeutet dies Kampf ohne Ende.« Diese bedeutungsschweren Statements, ähnlich auch bei Grock zu finden, zeigen sich gerade in ihrem universellen, anthropologischen Anspruch kompatibel mit dem Kunstverständnis des Nationalsozialismus.

In seinem Artikel »Das Kunstwerk Rasse« (2004), der einer Sammlung von kulturpolitischen Reden Hitlers vorangestellt ist, beschreibt der Philosoph Boris Groys die Verbindung von ewiger Kunst und »Rassentheorie«. Im Gegensatz zu Kunsttheorie oder Moden, die eine historische Verwurzelung haben, geht es hier um die reine Erfahrung der Kunst durch den Körper, der einer bestimmten Rasse angehört. So soll jedes Sprechen darüber, ob etwas Kunst oder sogar gute Kunst sei, ausgeschaltet werden. Die instinkthafte, nicht-artikulierbare Kommunikation der Körper mit dem Kunstwerk bilde eine authentische Erfahrung, die Kunstdiskurs oder -kritik nur verfälschen könnte. In Verbindung mit der »Rassentheorie« liegt darin ein Verständnis, dass sich erst in der Kunst das ewige, genetisch festgelegte Erbe einer Rasse ausdrücke und diese – zum Beispiel in der Architektur – überdauere. Ziel des Nationalsozialismus müsse es dann sein, die genetisch bestimmte Produktion und Rezeption von ewiger Kunst durch die Erhaltung der Rasse sicherzustellen.

Während in der Aufklärung eine Dominanz des Geistes über den Körper angenommen wurde, dreht sich dies in der Antimoderne um. Unvermittelte Gemeinschaftserfahrung in der Kunst, die keiner Vermittlung oder kritischer Distanznahme bedürfe und diese sogar zerstöre – wie sie auch bei zeitgenössischen Performances angepriesen wird –, rekurriert notwendig auf essentialistische Qualitäten des Mensch-Seins, die als unverhandelbar dargestellt werden sollen. »So ist nun mal die menschliche Natur …«, sagt diese Kunst und verstellt den Blick auf die zweite Natur mit ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit.

Die hier beschriebenen Clowns stellen ihre Komik über jene konstant aufgefasste Anthropologie her und setzen die augenblickhaft unterlaufenen Normen als ewige. Auf der Bühne arbeiten sie mit ihrem komischen Körper, um körperliche Reaktionen hervorzurufen. So geht es im Zirkus oder der Revue häufig nur um die Produktion intensiver Zustände. Sich vor Lachen nicht mehr einzukriegen, Seitenstechen oder keine Luft mehr zu bekommen, gehört genauso dazu, wie die Erfahrung, bei einem Hochseilakt angespannt mitzufiebern. Oft geht die Diskussion nach solchen Abenden auch nicht weit über den Austausch der durchlebten Zustände hinaus. Es handelt sich hier um unvermittelte Erlebnis-Kunst, bei der man dabei gewesen sein muss und die sich der kritischen Distanznahme sträubt. Das ist nur oberflächlich »neutral« oder »unpolitisch«, sondern vor allem ein Baustein des Bestehenden.

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