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Verurteilter Philosoph: John Malkovich

Martialisch: John Malkovich als »Seneca« im Berlinale Special

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Jaja: Unser ganzes Leben ist eine Vorbereitung auf den Tod, sagt der Philosoph und ist ergriffen.
Jaja: Unser ganzes Leben ist eine Vorbereitung auf den Tod, sagt der Philosoph und ist ergriffen.

In seinem »Seneca«-Essay schreibt Peter Hacks einen für ihn ungewöhnlich schlichten Satz: »Ich kann Seneca gut leiden.« Das zitiere ich im starken Gefühl, dass der Regisseur dieses »Seneca«-Films, Robert Schwentke (der auch das Drehbuch schrieb), Seneca gar nicht leiden kann. So wenig, dass er ihn zur Projektionsfläche für all das nimmt, was ihm an dieser Welt missfällt.

Er dreht also ein Schauerstück über Seneca in dem Stil, wie Seneca selbst Dramen verfasste, die nicht erst heute zu Recht vergessen sind. Natürlich kreist dann alles um Senecas Tod, denn dieser wurde zur Legende. Auch Senecas Denken kreiste ständig um den Tod. Unser ganzes Leben sei Vorbereitung auf den Tod – das kann man in seinen immerhin schon zweitausend Jahre überdauernden philosophischen Schriften nachlesen.

Schwentke ist ein deutscher Regisseur, der in Hollywood lebt, einige Comics mit wechselndem Erfolg verfilmt hat und hierzulande durch den – tatsächlich wichtigen – Film »Der Hauptmann« bekannt wurde. Als Hollywood-Insider kennt er die dortigen Rentner gut, deren experimentierfreudigster zweifellos der großartige John Malkovich ist, für den Schwentke den »Seneca«-Film überhaupt erst schrieb. Auch Geraldine Chaplin konnte er dazu bewegen, bei seinem Seneca-Splatter-Movie dabei zu sein. Da deutsches Geld in der Produktion steckt, spielen Samuel Finzi, Wolfram Koch und Lilith Stangenberg mit – Schauspieler, die sich im Fach Groteske eigentlich bestens auskennen, aber hier wie ausgestopfte Papageien in einer schlechten Molière-Inszenierung herumsitzen oder herumstehen.

Der Film will provozieren als bluttriefende Burleske. Aber dazu müsste er zuerst originell gedacht sein und das ist er nicht. Er bleibt auf ausrechenbare Weise vorurteilsvoll, was besonders ärgerlich ist, da »Seneca« unterschwellig ständig Gegenwartsbezüge herstellt (Müllhalden und Hochspannungsleitungen geraten ins Bild). Kaiser Nero heißt hier »Präsident auf Lebenszeit«, hat ein rundes Babyface und lässt irgendwann sein ganzes Umfeld, inklusive Ehefrau und Mutter, ermorden. Ist Seneca denn nicht sein Erzieher gewesen, sogar ein wichtiger Senator, ein Staatsmann – Mittäter also?

Für Schwentke ist er zweifellos ein Kofferträger der Macht, ein Intellektueller, der viel redet, immer an seinen Vorteil denkt und zudem unerträglich eitel ist – um damit doch nur die hässlichen Taten der Mächtigen schönzureden. Wäre dem so, dann könnten wir – salopp gesprochen – endgültig einpacken. Dann ist Jürgen Habermas nicht länger das intellektuelle Gewissen dieser Republik, sondern bloß ein wichtigtuerischer Schwätzer, der von nichts eine Ahnung hat, wie zu hören war. Aber das stimmt offensichtlich nicht, denn andernfalls wäre der Aufschrei gegen die ruhigen Argumente der Vernunft nicht so hysterisch – gestern wie heute.

Nein, die bedächtige, sich auch in existenziellen Bedrohungssituationen nicht still machen lassende Vernunft, stört den reibungslosen Lauf der Machtmaschine, das ist ihr geringster Zweck. Hat Seneca diesen verraten? Da sollte man dann genau hinschauen und ihn – ebenso wie Kaiser Nero – nicht bloß als Projektionsfläche für eigene Interessen benutzen.

Malkovich, um den sich hier alles (vor allem die Kamera) dreht, spielt die ihm zugedachte Rolle des Hohlschwätzers so gut, dass sie momentweise Tiefe und Faszinationskraft bekommt – und dennoch falsch bleibt. Nun wissen wir von Nero und Seneca fast nur über Tacitus und der schrieb von beiden ein Menschenalter später. Fakt ist, dass Seneca, als er bemerkte, dass er nicht mehr Teil des mörderischen Wahns Neros sein durfte, weil er ihn nicht mehr zu zügeln vermochte, sein Amt abgab, er stieg aus. Doch hatte er wohl schon zu viel widersprochen, und Nero beschloss, auch ihn zu töten. Weil er aber sein Lehrer gewesen war, gewährte er ihm die zweifelhafte Gnade, sich selbst den Tod zu geben.

Der Philosoph stirbt am Ende einen qualvollen Tod: verlassen und enttäuscht. Dementiert das seine Schriften über die Kunst des Sterbens? Die einen haben sie nie gelesen und brauchen sie offenbar nicht, die anderen werden nie aufhören sie zu lesen – und die brauchen dann diesen martialischen Film nicht.

»Seneca. On The Creation of Earthquakes«. Deutschland/Marokko 2022, Regie: Robert Schwentke. Mit John Malkovich, Tom Xander, Geraldine Chaplin. 110 Min. Termin: Fr., 24.2., 13.30 Uhr, Zoo Palast 3

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