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Wo ist der Leerlauf?
Eine Erinnerung an die Macht des Bonanza-Rads
Das coolste Fahrrad in der gemütlichen Bundesrepublik der 70er Jahre, die Helmut Schmidt auf Wahlplakaten als »Modell Deutschland« verklärte, war das Bonanza-Rad. Es hatte keinen Rücktritt, sondern zwei Bremsen, kleine Räder und einen sogenannten Bananen-Sattel, an den man sich beim Fahren anlehnen konnte. Wie auch der Lenker und die Gabel mit ihren imitierten Stoßdämpfern erinnerte der Sattel an ein Motorrad. Das bedeutete eine erhöhte Imaginationsdosis für Kinder, die sich auf diesem Rad einbilden konnten, sie cruisten auf einer Maschine zum nächsten Spielplatz. So wie sie auch Kaugummi-Zigaretten pseudorauchten (so lange bis das Papier feucht wurde), ein Gläschen Apfelsaft oder Zitronenlimo als Fake-Schnaps hinunterstürzten oder sich am Malzkaffee als vermeintlichen Wachmacher labten. Was damals die Erwachsenen halt so vormachten.
Gebrochen wurden diese Stereotypen aber durch das Bonanza-Rad selbst. Denn es hatte eine Gangschaltung auf der Querstange, die aussah wie die von einem Auto – mit Schaltknüppel. Das war der eigentliche Clou, denn es machte aus dem Rad in der Fantasie ein Hybrid aus Motorrad und Auto – toller ging es kaum. Diese Schaltung hatte drei Gänge und ein Problem: man konnte auch noch in den Leerlauf schalten. Und wer das tat, meistens aus Versehen, fiel mit dem Rad schnell um, weil man plötzlich ins Nichts trat.
Diese Art Schaltung wird heute verzweifelt gesucht: Wie kommt man in den Leerlauf? Zur Ruhe, zur Muße, zur Kontemplation? Was tun, wenn Sauna, Yoga und Waldlauf nicht mehr reichen? Vielleicht doch mal wieder Fernsehen? Aber bitte nur ein Programm, ganz ohne Zappen. Das Geheimnis des Bonanza-Rads war, dass man damit nicht besonders schnell fahren konnte und sich dann auch noch auf den Leerlauf konzentrieren musste. Aber man sah dabei sehr gut aus (dachte man jedenfalls).
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