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Berliner Ensemble spielt »Big Brecht«: Krach & Wonne
Das Berliner Ensemble reanimiert die Tradition der Brecht-Liederabende
Da kommen sie einer nach dem anderen auf die Bühne am Bertolt-Brecht-Platz in Berlin. Eins, zwei, drei …, ja 17 Musikanten, die zusammen die Fine Arts Big Band bilden. Man spielt auf, und dazu kommt Tilo Nest, der einen Frack erstaunlich gut tragen kann, und singt eben nicht einmal die Schlager aus der »Dreigroschenoper« runter, sondern beginnt seinen Auftritt mit dem »Bilbao-Song« über Bills Ballhaus, in dem es einst bekanntlich für nur einen Dollar Krach und Wonne gab.
Dann betritt Constanze Becker die Bühne, auch sie im Dreiteiler, und singt das »Lied von der harten Nuss«, das wie »Der Bilbao-Song« aus der Komödie »Happy End« entnommen ist, die hier am Schiffbauerdamm vor nicht ganz hundert Jahren uraufgeführt wurde. Nest, nicht nur Schauspieler im Ensemble des BE, sondern seit Jahren als Sänger auf Tour, tänzelt über die Bühne, bewegt sich fast zu viel, aber nur fast und leiht den Brecht-Texten seine samtene Stimme. Ganz anders die Becker: Sie tut scheinbar nahezu nichts – und damit unfassbar viel für die Songs! – und singt mit fast ungekannter Härte die leichtfüßigen Verse. So geben sich die zwei Schauspieler den ganzen Abend über, und die Band spielt dazu auf. Man ahnt, was man hier über eineinhalb Stunden geboten bekommt, und die Performance trägt über jede Minute.
Derartige Brecht-Liederabende – dieser firmierte naheliegenderweise unter dem Titel »Big Brecht« – sind keine neue Erfindung an dem Haus mit BB-Tradition, allerdings eine über Jahre vernachlässigte. In den 60er Jahren wurden erste solcher revueartigen Spektakel unter der Leitung von Mitarbeitern und Schülern Brechts veranstaltet. Aber ist das nicht etwas wenig für ein Theater mit einer so bewegten Geschichte? Keineswegs. Es darf natürlich nicht die einzige Auseinandersetzung mit dem Patron des Berliner Ensembles sein, aber es ist eine, die wirkungsvoll ist. Die Bühnen haben derzeit mitunter ein Problem, mit ihren Inszenierungen zum Publikum durchzudringen angesichts von Krieg und neuen existenziellen Notlagen. Da ist ein solcher Abend, der nicht großspurig die Verhandlung pressierender Katastrophen behauptet, sondern vor allem sinnliche Unterhaltung verspricht, gerade richtig. Und mit wem könnte man besser lernen, dass Unterhaltung auch klug sein kann, als mit Brecht?
Und so singen Tilo Nest und Constanze Becker die eingängigen Songs, mal solistisch, mal gekonnt im Duett. Die verschiedenen Kompositionen von Eisler und Weill, von den Leitern der Fine Arts Big Band für diesen Abend arrangiert, fügen sich bestens zueinander. Wurde gerade noch der Bilbao-Mond besungen, wird bald schon der Mond von Alabama musikalisch beschworen. Höchst ungewöhnlich intoniert Nest seinen »Surabaya Johnny«, und kraftvoll wartet Becker mit einer Weisheit aus der Mahagonny-Welt auf: Wie man sich bettet, so liegt man.
Gänzlich unpolitisch bleibt’s mit Brecht selten. So folgt auf das Gedicht vom zerstörten Carthago eine Vertonung von der »Legende vom toten Soldaten«, das der Autor kaum 20-jährig verfasst hat. Aber erst Brechts und Weills »Und was bekam des Soldaten Weib?« von 1942 offenbart die tieferreichende Klugheit dieses Liederabends. Brechts Verse folgen mit Blick auf die Soldatengattin dem Raubzug durch Europa Station für Station. Die bittere Pointe des Gedichts ereignet sich im Osten: Aus Russenland bekommt die Frau den Witwenschleier für die Totenfeier. Das Russland der 40er Jahre ist nicht das Russland von heute. Gerade deswegen lässt sich der Darbietung nichts anderes entnehmen als die Erkenntnis, wie sinnlos das Sterben im Krieg ist.
Während man im etwas beengten und restlos ausverkauften BE sitzt, kann man den Wunsch nicht verhehlen, man säße in einem Varieté-Theater der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts an einem Tisch, könnte sich zu seiner Begleitung für einen Wortwechsel rüberbeugen und das eine oder andere Getränk bestellen. Ob das für oder gegen den Besuch eines solchen Brecht-Liederabends spricht, der nicht der letzte am Haus gewesen sein dürfte, bleibt dem Leser überlassen.
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