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Radio-DJs: Sie wollten, dass man hinhört
»Wer Rockmusik liebt, ist ja nicht blöd«: Thomas Kraft hat ein Buch über die letzten DJs des Radios gemacht
Das Radio war einmal ein freies Land. Einfach den Apparat einschalten und ab ging’s in unbekannte Gefilde, mit Musik, die man noch nie gehört hatte. Denn die Plattenläden hatten nicht alles da. Bevor es CDs gab, waren die Backkataloge der Musiker verschüttet. Am freiesten waren damals die Radiomoderatoren, sie waren die Gatekeeper, die einen reinließen in Punk, Jazz, Reggae, Rock und Funk.
Für sie galt der Refrain eines alten Lieds von David Bowie: »Ich bin der DJ, ich bin, was ich spiele.« Und die Hörerin oder der Hörer dachte, das ist mein Freund. Radio schafft eine Öffentlichkeit, die privat wirkt. Das freie Land beginnt da, wo man einschaltet, in der Küche, im Auto oder am Strand. Doch das freie Land ist formatiert und zerteilt worden. Die Gatekeeper dürfen heute über alles reden, aber nicht länger als eine Minute. Vor allem dürfen sie sich nicht mehr ihre eigene Musik mitbringen. Wenn sie »ich« sagen, hat das eigentlich keine Bedeutung mehr, denn das alte Autorenradio, wie es der Moderator Klaus Walter nennt, ist tot. Es starb langsam ab Mitte der 90er Jahre, als die öffentlich-rechtlichen Sender anfingen zu glauben, sie müssten die Privatradios übertrumpfen – und noch inhaltsärmer und dudeliger werden, damit sich niemand erschrickt. Jeder Sender bekommt eine sogenannte Klangfarbe verpasst, und die wird einem auf die Ohren gepinselt von einem Algorithmus. Da weiß man, was man hat, und das ist genau das Problem. Früher wussten die Gatekeeper, was sie haben – in ihrem Plattenschrank, aus dem sie etwas auswählten, und die Hörer*innen ließen sich überraschen.
Dem Autorenradio hat Thomas Kraft mit seinem Buch »The Last DJs« ein Denkmal gesetzt. Er hat mit 40 Radioleuten gesprochen, mit den »Pilots of the airwaves«, wie Thomas Gottschalk im Vorwort schreibt. Bevor er im Fernsehen berühmt wurde, war er es schon im Radio des Bayerischen Rundfunks. Gottschalk ist ein »Jahrhunderttalent«, denn er ist »ein Meister des Spontanen, gebildet und unheimlich witzig«, sagt Viktor Worms, der dann ebenfalls ins Fernsehen wechselte (und die »ZDF-Hitparade«, die schlimmste Sendung des ZDF, moderierte). Für das Radio gilt laut Worms: »Menschen suchen Ansprache und Gemeinschaft, und wenn wir herausragende Moderatorinnen und Moderatoren haben, werden die Menschen auch das Radio einschalten.«
Als Gottschalk 1977 bei »Pop nach acht« anfing, hatte er an einem Werktag eine Million Hörer. Fritz Egner, ebenfalls erst BR-Radio und dann TV, sagt: »Wir wollten nicht nur Nebengeräusch sein und auf keinen Fall eine Art musikalischer Untermalung beim Bügeln. Wir wollten, dass man hinhört. Um sich zu ärgern, sich zu freuen oder sich zu begeistern.« Denn »Radio ist Emotion«, sagt Rik De Lisle. Er kam ursprünglich vom US-Soldatensender AFN, mit dem die meisten Radio-DJs in den 60ern groß geworden sind, neben Radio Luxemburg. Es ging nicht nur um die Musik, sondern auch um die Form ihrer Präsentation. AFN hatte Jingles und es wurde in die Lieder reingeredet – über die Ramps, den instrumentellen Beginn, bevor der Gesang einsetzt. Das war eine ganz andere Dynamik als im deutschen Radio, wo die Moderatoren so steif sprachen wie Nachrichtensprecher, egal ob sie eine Oper oder einen Schlager ansagten. Die AFN-Sendungen waren Shows und die Moderatoren voller Leidenschaft und berühmt. De Lisle stellte sich so vor: »I’m Air Force Sergeant Rik de Lisle – reminding you, that Rock ’n’ Roll is just a state of mind.«
Fritz Egner war als Teenager so begeistert von AFN, dass seine Mutter das Programm auf Tonband mitschneiden musste, während er in der Schule war, damit er es nachmittags abhören konnte. Dabei verstand er kein Wort Englisch. Und sein Vater verabscheute die Amerikaner. »Aus meinem Kinderzimmer kamen Töne, die ihn zur Verzweiflung trieben.« Nach dem Studium jobbte Egner bei seinem Nachbarn, der Tonstudios einrichtete und gelangte so zu AFN München, wo er später sogar ein Zimmer bezog, in der alten Nazivilla, in der der Sender residierte. Es war das ehemalige Haus des Gauleiters von München. Nachts lernte Egner technisches Englisch, um die Fachbegriffe zu verstehen. Und eines Tages verschlief der Moderator der Morgenshow und Egner ging als Ersatz morgens um sechs auf Sendung – er wusste alles, auch, wie der Wetterbericht zu verlesen war. Aber weil er so nervös war, trank er vorher eine Kaffeetasse voll mit Cognac.
Winfried Trenkler fing beim WDR als Hausbote an, Werner Reinke bei Radio Bremen als Ansager, ebenso Henning Venske beim NDR, Elke Heidenreich ging direkt zum SWF in Baden-Baden, um sich bei den Redakteuren darüber zu beschweren, dass im »Pop Shop« keine Theater- und Buchkritiken vorkommen würden – das machte dann anschließend sie, denn »junge Leute interessieren sich doch auch für andere Sachen als nur für Musik!«. Klaus Walter fuhr Taxi in Frankfurt am Main und ärgerte sich über das schlechte Programm von HR3. Darüber schrieb er einen Artikel im »Pflasterstrand« und wurde daraufhin von der Musikredaktion des Senders eingeladen. Sie würden zwar gerne andere Sachen spielen, aber sie hätten leider keine Ahnung, sagten sie ihm. Ob er es nicht probeweise versuchen wolle? So entstand die Indie-Sendung »Der Ball ist rund«. Kurz vor ihrem 25. Jubiläum wurde sie 2008 vom HR eingestellt, mit demselben Argument, das Winfried Trenkler schon 1994 beim WDR gehört hatte: »Wir wollen keine Geschmäcker mehr bedienen.«
Formatradio kann auch gut sein. Als Mitte der 70er mit BR3 und HR3 sogenannte Autofahrersender mit möglichst flacher Musik aus der Taufe gehoben wurden, wehrten sich die Redakteure des Südwestfunks gegen dieses Konzept, denn »wer Rockmusik liebt, ist ja nicht blöd«, erzählt Peter Stockinger. Und so wurde SWF3 ein Radio neuen Typs, »das intelligent unterhält und informiert«. Für Elke Heidenreich waren die Arbeitsbedingungen »eine wunderbare Zeit«, denn »es gab keine Konkurrenz und keine Kräche«. Sie verließ den Sender nur, weil man nicht »ein ganzes Leben lang in Baden-Baden wohnen kann«. Gitti Gülden wohnte lieber in Los Angeles und schickte an den NDR »Kassetten-Briefe«, die dann als Reportagen aus den USA gesendet wurden.
Die »Last DJs« sind heute fast alle über 70 und älter. Sie betonen, dass sie im Radio sehr lange machen konnten, was sie wollten. »Im Grunde waren das von Fans gemachte Sendungen«, bilanziert Karl Bruckmaier die 70er Jahre. Und der Ostberliner DJ Jürgen Kuttner beschreibt das Radio in der späten DDR »als eine Art Zwischenzone«, die nach dem »russischen Prinzip« organisiert war: »Man verbietet alles und lässt gleichzeitig alles zu. Wenn man dann jemanden festsetzen will, findet man immer etwas Verbotenes, was er getan hat«. Lutz Schramm spielte ab 1986 auf DT64 »die anderen Bands« des DDR-Untergrunds, aber auch Musik, die er im Westradio aufgenommen hatte. Er selbst hatte in den 70ern »Musik für junge Leute« des NDR bei seiner Oma in Leipzig gehört – weil der NDR damit sein Testbild beschallte. DT64 wurde dann in der BRD trotz großer Proteste zerschlagen, weil man keinen bundesweiten Jugendsender dulden wollte. Auf der Frequenz sendet nun der MDR-Höllensender Sputnik.
»Man will den Menschen nicht zuhören«, fasst Elke Heidenreich das heutige Radioelend zusammen. Deshalb gibt es auch keine Nachtsendungen mehr, noch nicht mal im Internet, wo Alan Bangs noch bis 2013 seine kunstvollen Radioperformances senden konnte, nachdem er Mitte der 90er beim WDR ausgeflogen war, weil er im Dummkopfradio Chopin gespielt hatte – denn Rock ’n’ Roll ist eine Frage des Geisteszustands. Da hat Rik de Lisle völlig recht.
Thomas Kraft: The Last DJs. Wie die Musik ins Radio kam. Starfruit, 492 S., geb., 32 €.
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