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  • »Schlachten« von Heiner Müller

Heiner Müller im Gorki: Unfall in der Geschichtswerkstatt

Oliver Frljić schließt mit der Heiner-Müller-Melange »Schlachten« seine »Kriegstrilogie«am Berliner Maxim-Gorki-Theater ab

Tim Freudensprung und Mehmet Yılmaz auf Panzer-Rollschuhen, vor ihnen gleichmacherisch die Namen kriegszerstörter Städte.
Tim Freudensprung und Mehmet Yılmaz auf Panzer-Rollschuhen, vor ihnen gleichmacherisch die Namen kriegszerstörter Städte.

Heiner Müller hat der Nachwelt nicht nur ein umfangreiches, sehr sprachgewaltiges Œuvre hinterlassen, sondern auch das hübsche Bonmot, dass der Text klüger sei als der Autor. So dumm allerdings war der Autor Müller nicht. Dennoch: Sein Werk ist natürlich klüger. Blöd nur, wenn ein Regisseur daherkommt, der sich für noch klüger hält. Oliver Frljić zum Beispiel, dessen Theaterabend »Schlachten« nach Texten von Heiner Müller am Samstag im Maxim-Gorki-Theater Premiere hatte.

Mit dieser 75-minütigen Arbeit beschließt Frljić, der seit der laufenden Spielzeit zur künstlerischen Leitung der Bühne gehört, seine so bezeichnete Kriegstrilogie, die wohl einen inhaltlichen Bogen spannen will zwischen den letzten drei Inszenierungen des Regisseurs. Indes, das deutsche Stadttheater funktioniert anders als Netflix. Den Anfang hatte er mit einem Verschnitt von Büchners »Dantons Tod« und den »Iphigenie«-Dramen des Euripides gemacht. Im vergangenen Herbst setzte er die Inszenierungsfolge fort mit einer rumpf- (und manchmal auch kopf-)losen Fassung von Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder«. Jetzt also Heiner Müller. Aus diesem Vorgehen sprechen ein Gespür für die richtigen Stoffe, der Wille, auf die großen weltpolitischen Themen künstlerisch zu reagieren, und leider auch das Manko, dass der Regisseur sich selbst zum ersten Autor gemacht hat und sein literarisches Material recht unsanft zugerichtet hat.

Vidina Popov mit großer Präsenz betritt also die Bühne und schmettert dem Publikum den Prolog aus Müllers »Philoktet« entgegen: »Damen und Herren, aus der heutigen Zeit / Führt unser Spiel in die Vergangenheit / Als noch der Mensch des Menschen Todfeind war / Das Schlachten gewöhnlich, das Leben eine Gefahr. / Und daß wirs gleich gestehn: es ist fatal / Was wir hier zeigen, hat keine Moral«. Das Theater ist bekanntlich der beste Ort für wirkungsvolle Unwahrheiten, aber es wäre doch schön gewesen, man hätte es ernster genommen mit der Beschäftigung mit der Vergangenheit wie auch mit dem Verzicht auf Moral. 

Dieser Einstieg in den Abend kommt trotzdem nicht von ungefähr. Unter den hier kompilierten Müller-Texten nimmt »Philoktet« den Hauptteil ein. Wer will, darf auch Versatzstücke aus »Die Schlacht«, »Wolokolamsker Chaussee« und »Germania 3 Gespenster am Toten Mann« und eigene Erfindungen der Bühnenkünstler erkennen. Neben Popov stehen auch die in der Darstellung kraftvolle Marina Frenk sowie Tim Freudensprung und Mehmet Yılmaz auf der Bühne, zum Finale gesellen sich vier Kinderdarsteller dazu.

Die zwei Schauspielerinnen bewerkstelligen die Passagen aus dem Drei-Personen-Stück »Philoktet« allein und wissen sich durch eine Maske (wohl das am häufigsten verwendete Requisit des Abends) zu helfen. In Müllers fein komponiertem Drama sucht Odysseus den großen Krieger Philoktet, den er vor zehn Jahren auf die Insel verbannt hat, für den Kampf gegen die Troer zu gewinnen. Den alten Bogenschützen zu überzeugen, schickt er den jungen Neoptolemos, Sohn des Achill, vor. Es handelt sich um ein unübertroffen kluges Stück um Machtpolitik und Deutungshoheit. In diesem an Nuancen schwerreichen Drama kommt es auf jedes Wort an. In »Schlachten« ist es stark gerafft, um wichtige Impulse bereinigt, und zudem werden die Verse in einem solchen Tempo gesprochen, häufiger geschrien, dass auch die beste Kenntnis des Originaltextes nur zu unvollkommenem Verständnis verhilft.

Dabei wäre dieser Stoff die richtige Wahl, wollte man allzu plakatives Kriegsbebilderungstheater vermeiden. Aber man will nicht. Erzählte man die Geschichte von Philoktet konsequent und vertraute man auf deren kluge Fabel, müsste man auch auf tumbe Aktualisierungen und einfache Analogien verzichten. Man dürfte aber auch feststellen, dass tieferreichende Analogien erst in der Darstellung des Grundverschiedenen sichtbar werden. 

Die einfache Botschaft dieses Abends, dass jeder Krieg auch ein Verbrechen ist, ist unbestreitbar richtig. Leider zieht der Regisseur außerdem den trügerischen Schluss, dass sich deshalb überhaupt alle Kriege gleichen. Schildchen werden aufgestellt: »Aleppo« ist darauf zu lesen oder »Guernica« oder »Dresden«. Dass es Unterschiede in der Zerstörung von Dresden und von Guernica aber doch gegeben hat, ist keine Kleinigkeit.

Das Publikum wird eingeladen, »Germany’s Next Top Opfer« zu spielen. Eine denkwürdige Szene, in der wohl das zynische Kurzzeitmitgefühl für Kriegsgeschädigte der letzten Jahre, an deren Leid wir medial Anteil nehmen, vorgeführt werden soll. Von Bosnien ist die Rede, vom Irak, Jemen, Syrien und der Ukraine. Dann auch von den Erdbebenopfern in Syrien und der Türkei. Die merkwürdige Neigung dieser Inszenierung, alles mit allem verbinden und gleichsetzen zu wollen, wird hier auf die Spitze getrieben. Ein Krieg ist keine Naturkatastrophe. Wir befinden uns mittendrin in einem außerordentlichen hässlichen Geschichtsrelativismus, bei dem noch unklar ist, ob er nur ärgerlich oder schon gefährlich ist.

John Lennons »Imagine« wird auf der Bühne geröhrt. Nicht, ohne dass sich die Darsteller gleich wieder in ironische Distanz zu diesem hippiesken Kitsch begeben würden. Schuldig bleiben sie die Antwort auf die Frage, warum das Lied dann überhaupt gesungen wird. In einer anderen Szene werden munter Flaggen durch die Gegend geworfen – vielleicht als müde Illustration für nationalistischen Wahnsinn. Subtilität ist wahrlich keine Stärke dieser Inszenierung.

Interessanterweise bemüht Marina Frenk in einem Monolog einen Vergleich zwischen der Invasion der USA im Irak vor 20 Jahren und dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Beide Kriege seien zu verteilen, seien völkerrechtswidrig. Warum aber habe es keine Sanktionen gegen die USA gegeben? Warum seien US-amerikanische Künstler, die sich nicht von George W. Bush distanziert haben, nicht mit Auftrittsverboten belegt worden? Das sind Fragen, die sicher ihre Berechtigung haben (auch wenn es kaum vorstellbar ist, dass die Mehrheit des Publikums der realpolitischen Umsetzung eines solchen Prinzips des gleichen Maßes goutieren würde). Auf der Theaterbühne wirken sie als Hybrid aus Agitprop und Infotainment dennoch vollkommen deplatziert.

Der Projektion von Bildern von Kriegsversehrten folgen bald solche von fast verhungerten Kindern. Aber Drastik ersetzt keine Gedanken. Pseudoreflexiv lauscht man einer Kritik unter Niveau an der Instrumentalisierung von Kriegsbildern und darf sich danach wirklich sicher sein: Deren Einsatz in »Schlachten« ist an der Grenze zum Missbräuchlichen. In etlichen Momenten des Abends sieht man den Schrecken des Krieges, in Zeiten realer militärischer Auseinandersetzung und eines an Wahnsinn grenzenden Eskalationspotenzials ist das zu wenig. Jedes Bemühen um Analyse und auch nur einen Gedanken wird ausgespart.

Nächste Vorstellungen: 2. und 18.4.
www.gorki.de

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