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  • Münchner Volkstheater: »Revolution«

Willkommen in unserem Zirkus

Am Münchner Volkstheater wurde Viktor Martinowitschs russlandkritischer Roman »Revolution« auf die Bühne gebracht – und dabei von Deutschland geschwiegen

  • Dorte Lena Eilers
  • Lesedauer: 4 Min.
Augen immer geradeaus: Am Münchner Volkstheater blickt man auf Russland, ohne die eigene Rolle zu befragen.
Augen immer geradeaus: Am Münchner Volkstheater blickt man auf Russland, ohne die eigene Rolle zu befragen.

Die Verbindungen zwischen München und Moskau haben eine lange, teils kuriose Tradition. Im Dezember 1987 war es der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß höchstpersönlich, der im Cockpit einer zweistrahligen Cessna eine illustre Delegation, darunter Theo Waigel und Edmund Stoiber, durch schwerstes Schneegestöber – ein besseres Wetter hätte man für die Legendenbildung gar nicht erfinden können – auf Einladung Michail Gorbatschows gen Moskau manövrierte. Bayern hatte bereits 1976, als erstes Bundesland überhaupt, Handelsbeziehungen mit Russland aufgebaut, einer Devise folgend, die erstmals 1963 von SPD-Politiker Egon Bahr in seiner berühmten Tutzinger Rede rund 40 Kilometer südlich von München formuliert worden war. Wandel durch Handel, daran glaubte man auch hier, wobei es vorrangig der Handel war, von dem nicht nur die Wirtschaft, sondern eben auch die Bevölkerung profitierte – durch niedrige Gaspreise und florierende Unternehmen.

Am 24. Februar 2022 ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine in den politischen Status quo eingebrochen wie die Realität in eine vermeintlich lang gelebte und nun enttarnte Fiktion. Man habe, so der allgemeine Tenor, von den destruktiven Mächten nichts gewusst. Ein Roman wie Viktor Martinowitschs »Revolution«, der mit großer literarischer Kraft vom Leben im postsowjetischen Raum erzählt und nun am Münchner Volkstheater uraufgeführt wurde, wirkt vor diesem Hintergrund und vor überwiegend deutschem Publikum wie eine zwiespältige Lektion. Der belarussische Autor, der trotz Publikationsverbot nach wie vor in Minsk lebt, erzählt darin die Geschichte Michail Germans, eines in Moskau wohnenden Dozenten für Architektursemiotik, der als Ich-Erzähler zurückblickt auf sein Leben, vor allem aber auf eine Liebe, die er im Rausch der Macht schmerzlich verriet.

In der Bühnenversion von Hausregisseur Philipp Arnold erscheint dieser German, dargestellt von Steffen Link, wie ein durch und durch sympathischer, in seinem viel zu großen Anzug etwas tapsiger, bei Arnold homosexueller und ständig Bulgakow, Kant oder Lacan zitierender Gelehrter, dessen Begegnung mit der staatlichen Kriminalität wie ein grobes Versehen wirkt. Tatsächlich ist es ein Autounfall, der German zunächst einen Totalschaden und infolgedessen einen Haufen Schulden bei den windigen Unfallverursachern beschert. Ein bedrohliches Szenario, hätte er nicht plötzlich einen Geldkoffer in der Hand, für dessen Nutzung der Absender einzig die Mitgliedschaft in einer »Organisation« zur Bedingung macht.

Martinowitsch hat nach eigenen Angaben mit »Revolution« einen Einblick in das System des postsowjetischen Raumes geben wollen, in dem nach den gewaltvollen Jahren, die dem Ende der Sowjetunion folgten, unter dem Deckmantel der Stabilisierung weiterhin Korruption, Machtmissbrauch und kriminelle Strukturen herrschten. Dafür hat er einen Protagonisten geschaffen, der völlig unbescholten in die Fänge einer »Organisation« gerät, für die er nicht nur allerlei schmutzige Geschäfte zu erledigen hat – Falschaussagen vor Gericht etwa oder die Beseitigung von Gegnern –, sondern die ihn gleichzeitig mit diversen Begünstigungen lockt. Er wird Dekan, später Prorektor an der Universität, während die vorherigen Amtsinhaber plötzlich verschwinden. Die Verführung zur Macht hat begonnen.

Bei derartigen Stoffen, die an einem geografischen Ort von einem ganz anderen erzählen, besteht die Gefahr des Exotismus. Arnold hat so gesehen einen richtigen Ansatz gewählt: Die von Belle Santos entworfene Bühne ist leer und sieht aus wie ein Bluescreen, wodurch das Geschehen den Charakter einer Projektion erhält, die aufgrund der Distanz des Regisseurs zur realitätsgesättigten Geschichte schlicht unvollständig bleiben wird. Auch die Videos von Sebastian Pircher, die mit Handkamera-Close-ups der Spielenden wechseln, sorgen für Abstraktheit: Sie zeigen keine Putin-Gesichter oder militärischen Aufmärsche, sondern Kamerafahrten durch Moskaus Straßenschluchten und U-Bahn-Stationen. Und trotzdem klaffen Romanvorlage und Inszenierung auseinander.

Was in der auf reine Vorstellungskraft setzenden Literatur gelingt, wird auf der nach konkreten Bildern suchenden Bühne schnell schief. Das System, das Martinowitsch beschreibt, basiert in großen Teilen auf Einschüchterung und Angst. Dass man über die Mitglieder der »Organisation« mit ihrem breitbeinigen Gehabe und schlechten Zottelhaarperücken eigentlich nur lachen möchte, ist der Erzählung daher nicht wirklich dienlich. Auch das Mittel der Distanzierung hat einen nachteiligen Effekt: Es suggeriert, dass wir in Deutschland mit den Geschehnissen in Russland, in Belarus, in der Ukraine nichts zu tun hätten. Haben wir, siehe Handelsbeziehungen, aber eben doch. In einer Szene vor Gericht beschreibt Martinowitsch, wie sein Protagonist den Angeklagten per Falschaussage ins Straflager befördert. »Sein Blick«, erinnert sich German, »blieb an mir hängen, er nickte mir zu – (nach dem Motto: Willkommen in unserem Zirkus!).« In der Bühnenadaption zu thematisieren, dass auch Deutschland in diesem »Zirkus« kein blinder Zaungast gewesen ist, wäre der komplexen Gemengelage in den Beziehungen beider Staaten sicher nähergekommen.

Nächste Vorstellungen: 29.3., 19. und 21.4.
www.muenchner-volkstheater.de

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