- Berlin
- Polizeigewalt
Senatsinnenverwaltung: Vier Fälle tödlicher Polizeigewalt in 2022
Antwort auf schriftliche Anfrage an den Senat zählt Polizeieinsätze mit Schusswaffeneinsatz und mit Todesfolge auf
Im vergangenen Jahr starben vier Menschen in Berlin infolge von Polizeieinsätzen. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, hervor.
»Drei davon waren ja bereits öffentlich bekannt, aber der vierte ist uns neu«, sagt Franco zu »nd«. Dieser vierte Fall ereignete sich im Februar 2022 in der Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm. Der Verstorbene leistete laut Senatsinnenverwaltung, die die Anfrage beantwortet hat, Widerstand gegen eine Blutentnahme, wurde dabei »reanimationspflichtig« und verstarb schließlich im Krankenhaus. Das Ermittlungsverfahren gegen die Einsatzkräfte wurde eingestellt. Laut Obduktion litt der Verstorbene bereits an einer Lungenentzündung, die »eindeutig einen todesursächlichen Krankheitswert aufwies«.
In zwei weiteren Todesfällen wurden die Ermittlungsverfahren eingestellt: Im September erschossen Polizist*innen einen Mann in Lichtenberg und im März verstarb Marcel K. im Zuge eines Polizeieinsatzes. K. war zu dem Zeitpunkt obdachlos und soll die Einsatzkräfte, die ihn zum Verlassen eines Hausflurs aufforderten, mit einer Flasche beworfen haben. Als die Beamten ihn überwältigten, kollabierte K. und starb im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren ein, weil die Beamt*innen laut Innenverwaltung in Notwehr handelten.
»Da sind bei mir noch Fragen offen«, so Franco zum Tod von Marcel K. Denn laut Zeitungsberichten hätten sich Augenzeug*innen gemeldet, die die Situation vor K.s Tod anders dargestellt hätten. »Ob dem Tod von K. ein unverhältnismäßiger Einsatz von Polizeigewalt vorausging, geht aus der Antwort nicht hervor.«
Es sei außerdem unklar, ob die Staatsanwaltschaft die Zeug*innenberichte in ihren Ermittlungen überhaupt berücksichtigt habe. »Allgemein werden die Aussagen von obdachlosen Menschen allerdings selten so hoch eingeschätzt wie die von Polizeikräften«, sagt Franco. Auch die organisatorische Nähe zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft trage dazu bei. »Deshalb ist es wichtig, dass gerade Fälle, in denen Polizeieinsätze tödlich enden, in der Öffentlichkeit diskutiert werden«, sagt der Innenpolitiker. »Es ist die Aufgabe von uns allen, da genau hinzuschauen.«
Noch nicht abgeschlossen ist ein Verfahren bezüglich des Todes von Kupa Ilunga Medard Mutombo, der im Oktober nach einem Polizeieinsatz verstarb. Mutombo sollte von einem Heim für psychisch Erkrankte in eine ambulante psychiatrische Einrichtung wechseln. Die Polizei, die die Überweisung begleitete, verletzte Mutombo tödlich. Nun wird gegen die Polizist*innen ermittelt. »Hier ist einiges unklar, zum Beispiel wie die Angehörigen benachrichtigt wurden und warum Polizeihunde im Einsatz waren«, so Franco.
Neben der Auflistung der Todesfälle geht aus der Senatsantwort auch hervor, dass im vergangenen Jahr sieben Menschen durch den Einsatz von Schusswaffen, einschließlich Taser, durch die Polizei verletzt wurden. »Das sind eher wenige Fälle, was gut ist. Anscheinend ist die Hürde groß, Schusswaffen einzusetzen«, sagt Franco. Es sei wichtig, dass im Zusammenhang mit diesen Einsätzen ermittelt werde.
Wie die Senatsantwort zeige, werde es immer relevanter, einen anderen Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen zu finden. Denn die Polizei wisse sich oft nicht anders zu helfen, als Gewalt oder Schusswaffen einzusetzen. »Es wird oft gefragt, ob es zum Beispiel mehr Taser für die Polizei brauche. Wir sollten uns lieber fragen, welche Fähigkeiten stattdessen gebraucht werden, gerade im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen«, so der Grünen-Innenpolitiker.
In keinem der in der Senatsantwort genannten Fälle erfolgten dienstrechtliche Konsequenzen für die Polizist*innen. Einzig im Fall von Marcel K. wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, aber inzwischen eingestellt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.