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Ukraine-Krieg: Folgt der Staatsbankrott?
Die Ukraine erhält umfangreiche Unterstützung, doch die Frage der überhandnehmenden Staatsschulden wird bislang ausgeklammert
Seit Kriegsbeginn wird die Ukraine mit Waffenlieferungen förmlich überhäuft. Weniger bekannt ist hingegen, dass auch finanzielle Unterstützung in erklecklicher Größenordnung fließt. Hierbei geht es meist um vergünstigte Kredite, die aber irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Auf die damit verbundenen Probleme wird im »Schuldenreport 2023« in einem eigenen Kapitel hingewiesen.
Ein Land, das von einem Krieg erschüttert wird, steht mit Blick auf die Staatsfinanzen vor zwei gewaltigen Problemen. Einerseits muss der Wiederaufbau gestemmt werden, andererseits schnellt die Schuldenquote, also das Verhältnis der Gesamtschulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), schon allein dadurch in die Höhe, dass die Wirtschaftsleistung aufgrund der Zerstörungen und des Arbeitskräftemangels einbricht. Dadurch steigt das Risiko, dass die Verbindlichkeiten nicht mehr »tragfähig« sind, wie es im Fachjargon heißt. Auf gut deutsch: Das Land kann Zinsen und Tilgungen nicht mehr fristgerecht und in voller Höhe nachkommen – es ist zahlungsfähig. Das gilt für die Ukraine in besonderem Maße: »Sie war schon vor Kriegsbeginn im Februar 2022 ein kritisch verschuldetes Land, das bei Eintreten eines externen Schocks leicht in die Zahlungsunfähigkeit rutschen konnte«, erläutert Jürgen Kaiser, ehemals Leiter des Bündnisses Erlassjahr.de.
Tatsächlich betrugen die Gesamtschulden vor dem Krieg laut dem ukrainischen Finanzministerium insgesamt 56,9 Milliarden US-Dollar. Knapp die Hälfte davon entfiel auf multilaterale Gläubiger, insbesondere die Weltbank und europäische Entwicklungsbanken. Die andere Hälfte bestand fast ausschließlich aus Staatsanleihen, die auf den internationalen Finanzmärkten gehandelt werden. Deren hoher Anteil ist erstaunlich, da seit der Fast-Staatspleite im Jahr 2015 zwar die Wirtschaft des osteuropäischen Landes boomte, aber die innenpolitische Lage aufgrund der latenten Kriegssituation höchst fragil war. Die Kreditgeber ließen sich das hohe Risiko wie üblich mit üppigen Zinsen von jährlich sechs bis zehn Prozent versüßen, die ein Schuldner erst einmal stemmen muss. Üblicherweise geht dies nur solange gut, wie die Wirtschaft nicht zu schwächeln beginnt.
Seit Kriegsbeginn ist die Ukraine nicht mehr in der Lage, die Schulden zu bedienen. Der Pariser Club, ein informelles Gremium staatlicher Gläubiger, hat dem Land ein Schuldenmoratorium bis Ende 2023 gewährt, das bis Ende 2024 verlängert werden kann. Gleichzeitig sind die Schulden weiter angestiegen. Zusagen über Kredite, Garantien und Währungsswaps aus bilateralen und multilateralen Quellen summieren sich laut Schätzungen unter anderem von Erlassjahr.de bereits bis Ende Januar 2023 auf 41,7 Milliarden US-Dollar. »Die Gelder stammen mehrheitlich aus europäischen Quellen, nämlich der EU, sowie von einzelnen EU-Mitgliedern«, schreibt NGO-Experte Kaiser. Insgesamt beziffert die Weltbank die Schuldenquote der Ukraine angesichts des kriegsbedingten Wirtschaftseinbruchs mittlerweile auf 80 Prozent des BIPs, Tendenz weiter steigend. Und nicht nur das: Der für Auslandsschulden in harter Währung noch wichtigere Indikator des Verhältnisses von Schuldenstand zu jährlichen Exporteinnahmen lag Ende 2020 bereits 60 Prozentpunkte über dem kritischen Niveau von 150 Prozent, schreibt Erlassjahr.de. Auch dies dürfte sich aufgrund der Ausfuhrprobleme nicht nur bei Getreide durch den Krieg weiter verschärft haben.
Die Frage, wie mit der Überschuldung umzugehen ist, wurde bei bisherigen Geberkonferenzen allerdings ausgeklammert. Am Rande eines von Bundeskanzler Olaf Scholz und der EU-Kommission organisierten Treffens im Herbst 2022 sagte ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky hinter vorgehaltener Hand: »Wir sind vollauf damit beschäftigt, Schulden zu machen. Wir können jetzt nicht darüber nachdenken, wie wir sie zurückzahlen.«
Allerdings müssten sich die Gläubiger jetzt schon darüber verständigen, meinen Finanzexperten. »Es ist ausgeschlossen, dass die Ukraine mittelfristig ihren Schuldendienst wieder aufnimmt und Zahlungsverpflichtungen aus der Vorkriegszeit ebenso zurückzahlt wie die neuen Kredite, die während des Krieges gewährt wurden«, erläutert Kaiser. Er schlägt unkonventionelle Umschuldungen auf Basis einer unabhängigen Schuldentragfähigkeitsanalyse vor, für die es ein historisches Vorbild gibt: »Bei der Londoner Konferenz von 1952/53 konnten die (west-)deutschen Vor- und Nachkriegsschulden in einem kohärenten Verfahren auf ein tragfähiges Niveau reduziert werden.«
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