Weder zu sorglos noch zu vorsichtig

Lungenärzte zogen auf ihrem Kongress auch ein Fazit zur Behandlung von Covid-19-Patienten

Überschüssiges Bindegewebe in der Lunge kann auf eine Covid-19-Infektion hinweisen. Der Patient leidet dann unter Atembeschwerden.
Überschüssiges Bindegewebe in der Lunge kann auf eine Covid-19-Infektion hinweisen. Der Patient leidet dann unter Atembeschwerden.

Anfang 2020 wurde Covid-19 als Lungenkrankheit identifiziert, später zeigte sich, dass die negativen Wirkungen über dieses Organ hinausgehen können. Bei dem Kongress für Lungen- und Beatmungsmedizin Ende vergangener Woche in Düsseldorf widmeten die Pneumologen einige Sitzungen auch der Infektion mit Sars-CoV-2.

An Rückblicken auf die Pandemie durfte es nicht fehlen. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover fasste noch einmal die Ausbreitung des Virus von Wuhan nach Mailand und ins restliche Europa zusammen: In Italien sei Sars-CoV-2 auf ein schlecht organisiertes Gesundheitswesen getroffen, mit einem Fünftel des Bestandes an Intensivbetten im Vergleich zu Deutschland. Die Infektionswelle dort war mit einer hohen Sterblichkeit verbunden, weil auch viele anderweitig Schwerkranke nicht mehr versorgt wurden. Ein Champions-League-Spiel von Atalanta Bergamo im Februar 2020 gilt als Superspreader-Event, wozu wichtige Risikofaktoren beitrugen: die Enge unter den Zuschauern, die kalte feuchte Luft sowie das Schreien und Singen der Fans. Im Nachhinein wurde festgestellt, dass in diesem Zeitraum in der Region Mailand die höchste Feinstaubbelastung Europas herrschte. Eine hohe Belastung gab es im Winter 2019/2020 auch im chinesischen Wuhan. So entstand die These, dass diese Art der Luftverschmutzung ihren Beitrag zur hohen Covid-19-Sterblichkeit geleistet hat.

Welte erinnerte auch daran, dass beim ersten deutschen Lockdown ab März 2020 die bundesweiten Inzidenzen im Schnitt bei 20 je 100 000 Einwohner lagen. Im Nachhinein betrachtet auch der Infektiologe die Schulschließungen schon zu diesem Zeitpunkt als einen der großen Irrtümer in der Pandemiepolitik.

Die verschiedenen Varianten des neuartigen Coronavirus zeigten unterschiedliche Wirkungen. Welte hält die Delta-Variante für die wahrscheinlich bösartigste: »In der vierten Pandemiewelle sank das mittlere Alter der Verstorbenen deutlich. Mehr junge Menschen und solche ohne Risikofaktoren überlebten ihre Infektion nicht.« Die vierte Welle baute sich im Herbst 2021 auf, Ende des Jahres kam es jedoch mit dem Wechsel zur dann vorherrschenden Omikron-Variante laut Welte zu einer »Zeitenwende«. Der Lungenspezialist weist darauf hin, dass Omikron stark in der äußeren Zellschicht der oberen Atemwege bindet, dass es eine hohe Übertragbarkeit hat, aber die Zellen der unteren Atemwege nicht angreift. In den Kliniken wurden nun kaum noch durch das Virus verursachte Lungenentzündungen beobachtet.

Welte hebt noch einmal den schnellen Erkenntnisprozess zu Covid-19 hervor und vergleicht Corona mit einer anderen Infektionskrankheit: der Pest. Die kam 1347 zurück nach Europa. 1865 wurde der Erreger identifiziert und 1932 gab es die erste effektive Therapie mit Antibiotika. Bei Covid wurde das verursachende Virus vier Wochen nach dem ersten Auftreten sequenziert. Erste Therapien wurden nach drei Monaten angewendet, die ersten spezifischen Medikamente gab es noch im ersten Jahr. Erste Studien mit möglichen Impfstoffen begannen neun Monate nach der Virusentdeckung.

Bei den Todesfällen mit einer Omikron-Infektion handelt es sich aus Weltes Erfahrung vor allem um ältere, mehrfach erkrankte Patienten. Deren schon vorhandene Leiden sind zwar durch medizinische Maßnahmen kompensiert, kommt aber ein neuer Störfaktor ins Spiel (etwa ein Virus), kann es schnell lebensgefährlich werden. Ein solcher Trigger ist auch Sars-CoV-2. Neben diesen Patienten sind weiterhin vor allem Menschen mit transplantierten Organen durch eine Corona-Infektion gefährdet sowie jene, die an Autoimmunkrankheiten leiden.

Diese Einschätzung bestätigt auch Martin Kolditz, Pneumologe am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden. Als Risikofaktoren für weiterhin schwere Covid-19-Verläufe nennt er eine starke Unterdrückung des Immunsystems (wie etwa bei Krebserkrankten im Laufe von Chemotherapien), ein Alter über 80 Jahren und mehrere vorbestehende chronische Erkrankungen. Letzteres ist bei älteren Patienten häufiger der Fall. Gefährdet sind weiterhin besonders Menschen mit einer transplantierten Lunge. Bei den genannten Personengruppen sei eine frühe antivirale Therapie angeraten.

Auf die Wende in der Pandemie mit dem Rückgang von Krankenhausaufnahmen, Todes- und intensivpflichtigen Fällen kommt auch der Immunologe Leif Erik Sander zurück. Diese Entwicklung ab Frühjahr 2022 schreibt der Direktor der Klinik für Infektiologie der Berliner Charité jedoch nicht der Omikron-Variante zu, sondern der durch Impfungen erreichten Immunität in großen Teilen der Bevölkerung. Die Omikron-Variante habe zuletzt immer mehr Subvarianten entwickelt. Die Infektionen damit verliefen zunehmend schwächer: »Sie sind auf den Stationen nicht zu sehen.« Sander unterstützt die Empfehlung für Risikogruppen, hochbetagte und immunsupprimierte Patienten, sich mit einem an Omikron angepassten mRNA-Impfstoff boostern zu lassen.

Sorgen macht dem Internisten Sander das sinkende Vertrauen in das Gesundheitssystem, vor allem bei nicht geimpften Personen. Er räumt ein, dass die Kommunikation zu den Corona-Impfungen nicht gut war. »Die Fakten sind aber eindeutig«, eigentlich sollte sich die Einstellung zum Impfen gebessert haben. Bedauerlich sei die gegenteilige Entwicklung auch, weil neue Immunisierungen gegen RSV oder Lungenentzündung in Vorbereitung sind.

Daten zu Long- und Post-Covid fasste bei der Fachveranstaltung Isabell Fink von der Medizinischen Hochschule Hannover zusammen. Von Long-Covid wird gesprochen, wenn vier bis 12 Wochen nach der Infektion noch Symptome auftrten, von Post-Covid dann, wenn dies nach der 12. Woche noch der Fall ist. Studien zu entsprechenden Patienten liegen zu Ansteckungen mit der Alpha- und der Delta-Variante des Virus vor.

In den vorhandenen Untersuchungen bilden Patienten, die stationär versorgt werden müssen, die kleinste Gruppe. Eine zweite Gruppe wird von Patienten aus der ersten Pandemiewelle gebildet, bei denen narbige Lungenveränderungen nachweisbar sind. Eine dritte Gruppe leidet in der Regel unter massiver Erschöpfung und kann kaum Belastungen aushalten. Unter vielen möglichen Symptomen ist besonders Atemnot häufig. Der Erkrankungsmechanismus sei noch nicht klar, auch eine kausale Therapie nicht bekannt. Die Versorgung sollte interdisziplinär erfolgen, der Hausarzt an die nötigen Fachärzte überweisen.

Die Gesellschaft insgesamt müsse lernen, mit dem Virus zu leben, resümierte der Hannoveraner Mediziner Welte: »nicht zu sorglos, nicht zu vorsichtig.« Zudem müsse man sich auf neue Pandemien vorbereiten. Zu dem, was von der Medizin nach der Pandemie noch aufzuarbeiten ist, gehören für den Lungenarzt Veränderungen bei anderen Infektionen: »Wir sehen mehr RSV- und schwere bakterielle Infektionen, Lungenentzündungen und schwere Scharlachfälle bei Erwachsenen.« RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus – es kann akute Atemwegserkrankungen auslösen und besonders für sehr kleine Kinder gefährlich werden.

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