Drama »Der Fuchs«: Der Soldat und das Tier

Der Regisseur Adrian Goiginger erzählt im Drama »Der Fuchs« vom Leben seines Urgroßvaters im Zweiten Weltkrieg

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Fuchswaise weicht Franz (Simon Morzé) nicht mehr von der Seite.
Die Fuchswaise weicht Franz (Simon Morzé) nicht mehr von der Seite.

Es ist ein abgeschiedenes Bergidyll im Pinzgau in Österreich im Jahr 1927. Doch hier lebt eine Familie mit elf Kindern in absoluter Armut. Man arbeitet hart und redet kaum miteinander. Das höchste der Gefühle ist, wenn der von der täglichen Knochenarbeit sichtlich erdrückte Vater (einprägsam: Karl Markovics) abends ein paar Lieder anstimmt – eine von den Kameramännern Yoshi Heimrath und Paul Sprinz besonders herausragend fotografierte Szene, die im Gedächtnis bleibt, zumal die Darsteller*innen alle im alten Pinzgauer Dialekt singen und reden.

Als sein jüngster Sohn Franz einmal fiebernd im Bett liegt, erzählt der Vater ihm sogar eine Geschichte. Sie handelt vom Krausenbauern, der den Sensenmann austrickste – eine Erzählung, die in dieser Gegend immer nur mündlich überliefert wurde. Schließlich aber muss der Vater das schwächliche Kind an einen Großbauern verkaufen, da er es nicht mehr ernähren kann.

Mit Händen und Füßen versucht sich der Achtjährige, den die Eltern nicht in ihre Pläne eingeweiht haben, gegen seinen Käufer zu wehren. Doch die verhärmte Mutter schlägt ihm die Tür vor der Nase zu und auch sein geliebter Vater wendet sich in stiller Verzweiflung von ihm ab. Von dieser seelischen Verletzung erholt sich der sensible Junge nie.

Als Volljähriger aus der Knechtschaft entlassen, heuert der emotional extrem verschlossene Franz, der anrührend von Simon Morzé (»Der Trafikant«) verkörpert wird, 1937 beim Bundesheer an und zieht nach dem Anschluss Österreichs als Soldat in den Zweiten Weltkrieg an die Westfront. Mit seinen Kameraden, die übrigens zum Großteil von Laien gespielt werden, versteht er sich nur leidlich; er hat doch nie gelernt, mit anderen zu reden oder Spaß zu haben, geschweige denn Freundschaft zu schließen.

Im Wald findet der wunderliche Außenseiter einen verletzten Fuchswelpen, der aufgeregt neben seiner in einer Tierfalle verendeten Mutter hin- und herläuft. Der Fuchs ist ähnlich verstört wie er, als ihn damals der Großbauer von den Eltern wegholte.

Fortan kümmert sich Franz um das zarte Lebewesen wie ein liebevoller Vater um sein Kind – keine leichte Aufgabe, ist er doch ansonsten bloß von Tod und Zerstörung umgeben. Zudem muss er den Fuchs vor den anderen verbergen. Schon bald weicht die Fuchswaise ihm nicht mehr von der Seite.

Franz, der als Motorradkurier eingesetzt wird, versteckt seinen Leidensgenossen in seinem Beiwagen, fährt mit ihm – durch Drogen aufgeputscht – tage- und nächtelang an Leichenbergen und Explosionen vorbei.

Doch ebenso wie Franz erleben die Zuschauer*innen den Krieg nur am Rande. Das Hauptaugenmerk des im engen 4:3-Format gedrehten – und mit seinen abgerundeten Ecken wie in Bewegung geratene Fotos aus dieser Zeit wirkenden – Antikriegsfilms ruht darauf, wie der junge Mann sich ganz allmählich ein wenig von seinem tief sitzenden kindlichen Trauma erholt, indem er sich so hingebungsvoll um das Tier kümmert, wie er gern von seinen Eltern behandelt worden wäre.

Der Fuchs im Film ist übrigens nicht animiert, sondern es handelt sich dabei um dressierte Wildtiere. Der ausgewachsene Fuchs, der in den meisten Szenen zu sehen ist, wurde von dem Hauptdarsteller mit einer Flasche großgezogen, wodurch das Charakterdrama besonders authentisch wirkt.

Als die Soldaten 1940 Frankreich besetzen und dort fast ein Jahr verbringen, lernt Franz in der Normandie die französische Bäuerin Marie (Adriana Gradziel) kennen, die davon angerührt ist, wie liebevoll der verschlossene Soldat für seinen Fuchs sorgt. Auch Franz fasst zum ersten Mal ein wenig Vertrauen zu einem Menschen und schützt Marie davor, dass ihr Haus besetzt wird.

Schon bald muss Franz genau wie sein Vater eine ähnlich schwierige Entscheidung zum Wohl seines Fuchses fällen, die die grausame Tat der Eltern, ihn wegzugeben, in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Adrian Goiginger drehte mit nur 26 Jahren den beeindruckenden, vielfach ausgezeichneten Debütfilm »Die Beste aller Welten«, in dem er herzergreifend von seinem Aufwachsen mit einer heroinsüchtigen, ihn aber mit all ihrer verbleibenden Kraft liebenden Mutter erzählt. In seinem dritten Kinofilm nun beruft sich der junge Regisseur, Produzent und Drehbuchautor, den man im Auge behalten sollte, wieder auf eine wahre Familiengeschichte, dieses Mal die seines Uropas Franz Streitbergers, der als Motorradkurier der österreichischen Armee Ähnliches erlebte.

Nach dem zutiefst berührenden Ende des Films wird eine Fotografie von dem echten Franz eingeblendet, und man hört aus dem Off einen Ausschnitt aus den vielen Gesprächen, die Goiginger bereits als 14-Jähriger mit seinem inzwischen verstorbenen Urgroßvater begann – und durch die er auch von der ungewöhnlichen Freundschaft mit dem Fuchs erfuhr. Die Verbundenheit mit dem Tier half Franz, den grausamen Krieg zu überstehen und seinen Glauben an die Liebe wiederzugewinnen. Leben schützen statt zerstören, was für eine wichtige filmische Parabel in diesen Zeiten.

»Der Fuchs«: Deutschland, Österreich 2022. Regie und Buch: Adrian Goiginger. Mit: Simon Morzé, Karl Markovics, Verena Altenberger. 117 Minuten, Start: 13. April 2023.

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