Werbung

Altersarmut etwas entgegensetzen

Berlins Seniorenbeirat präsentiert Gesetzesvorlage für künftigen Senat

Gerade in der anonymen Großstadt kann man schnell einsam werden. Vielen Berlinerinnen und Berlinern im Rentenalter fehlt es im Alltag an sozialen Kontakten, der Anschluss an die Gesellschaft geht verloren. Das hat Konsequenzen, wie Thomas Klie weiß. »Ins Altersheim kommt man nicht wegen Blasenschwäche, sondern wegen Netzwerkschwäche«, sagt der Rechtswissenschaftler am Freitag im Käte-Tresenreuter-Haus in Grunewald. »Dabei geht es auch viel um Prävention.«

Die rechtliche Grundlage dafür, Problemen wie diesen entgegenzuwirken, hält Klie in seinen Händen: Für den Landesseniorenbeirat Berlin (LSBB) präsentiert der Jurist den Vorschlag für das sogenannte Altenhilfestrukturgesetz, der nicht zuletzt durch seine Hilfe zustande gekommen ist. In allen zwölf Bezirken hat der LSBB den Dialog gesucht, um auszuarbeiten, was Berlin braucht, um Seniorinnen und Senioren mehr Teilhabe zu ermöglichen, Altersarmut zu bekämpfen und Vereinsamung von vorneherein zu verhindern. Der Beirat selbst setzt sich aus Mitgliedern bezirklicher Seniorenvertretungen und anderer Seniorenorganisationen in Berlin zusammen.

»Es ist ein besonderer Prozess, dass eine zivilgesellschaftliche Organisation selbst ein Gesetz ausarbeitet«, sagt Klie, der mit dem Ergebnis durchaus zufrieden ist. »Das kann man jetzt so verabschieden, da muss man nicht nochmal grundlegend ran.« Was es jetzt allein noch brauche, sei politischer Wille. Tatsächlich bekennen sich CDU und SPD im gemeinsamen Koalitionsvertrag bereits zum Altenhilfestrukturgesetz. Die Idee fristete aber schon unter dem Vorgängersenat ein Mauerblümchendasein. Und konkrete Maßnahmen hat auch Schwarz-Rot nicht im Gepäck.

Der LSBB liefert nun genau das und erhöht damit den Druck. Auf der Suche nach der passenden juristischen Formel sei die Arbeitsgruppe auf »Riesenunterschiede« in den einzelnen Bezirken gestoßen, wie Klie erklärt. »Wir haben in Steglitz-Zehlendorf eine deutlich höhere Lebenserwartung als in Marzahn-Hellersdorf«, sagt der Rechtswissenschaftler. »Wir leben in einer Gesellschaft, die von Ungleichheit geprägt ist.« Die Altersarmut in der Hauptstadt nehme nach wie vor zu. »Armut ist heute«, fasst es Klie zusammen.

Betroffen seien häufig auch Menschen mit Migrationsgeschichte, die eigentlich nie geplant hatten, in Berlin alt zu werden. Entsprechende Vorkehrungen würden nur die wenigsten treffen. Klie findet: »Es kann nicht alles über die Pflegeversicherung geregelt werden.« Deshalb brauche es dringend mehr finanzielle Unterstützung für armutsbetroffene Seniorinnen und Senioren. Eine Politik, die sich für entsprechende Transferleistungen einsetze, suche man in ganz Deutschland vergebens – auch in Berlin. Was durch das Altenhilfestrukturgesetz ebenfalls gefördert werden soll, sind Begegnungsmöglichkeiten für Menschen im Rentenalter, genauso wie Beratungsstrukturen, die »kieznah und sozialnah« arbeiten. Klie zufolge wissen Seniorinnen und Senioren häufig nicht, welche Unterstützungen ihnen eigentlich zustehen. Gehe es darum, Leistungen in Anspruch zu nehmen, bleibe Berlin hinter anderen Bundesländern zurück. Der Jurist fordert deshalb Transparenz und Initiative: »Wir haben viele Menschen, die nicht rausgehen. Zu denen müssen wir hin.«

Zu den Menschen, die hinten runterfallen, zählen nicht zuletzt queere Seniorinnen und Senioren. In Berlin mache diese Gruppe Klie zufolge ganze zehn Prozent aus. Und noch eine zentrale Aufgabe solle der künftige Senat endlich anpacken: Die Vielfalt der Berliner Stadtgesellschaft müsse sich auch in den ehrenamtlichen Sozialdiensten widerspiegeln. »Das Problem ist, dass meist ältere Menschen die Dienste übernehmen. Der Altersschnitt liegt bei 72,5 Jahren«, sagt Klie. Es brauche mehr Junge, mehr Menschen mit Migrationshintergrund, mehr Angehörige sexueller Minderheiten. »Die sind ja alle organisiert, wir haben sie nur noch nicht angesprochen.«

Geht es nach dem LSBB, soll das Altenhilfestrukturgesetz schon zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten. Würde das gelingen, wäre das Land Berlin bundesweiter Vorreiter. Wie der Senat letztlich aussieht, der es zum Leben erweckt, ist dem Beirat eigenen Aussagen zufolge egal. Hauptsache, es gebe keine Möglichkeit mehr für Ausreden. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist allerdings nicht einmal eine Absichtserklärung zu finden, ein Altenhilfestrukturgesesetz noch in der aktuellen Legislaturperiode auf den Weg zu bringen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -