Alles, aber auch alles …

Wolfgang Alles berichtet über die Linke Opposition gegen den Faschismus

  • Reiner Tosstorff
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Warnungen von Leo Trotzki angesichts der Massenarbeitslosigkeit und des scheinbar unaufhaltbaren Aufstiegs der Nazis ab 1929, die dieser in einer Reihe von weitverbreiteten Broschüren, aber auch in viel gelesenen Artikeln, beispielsweise in der »Weltbühne« vermittelte, trafen auf ein großes Echo. Darin analysierte der russische Bolschewik den Aufstieg der deutschen Faschisten, gestützt auf eine breite kleinbürgerliche Massenbasis, was sie von den traditionellen konservativen Organisationen aus der Kaiserzeit unterschied. Der Faschismus könne nur siegen, wenn eine politisch gespaltene Arbeiterbewegung nicht zu gemeinsamen Abwehraktionen, zur Einheitsfront, zusammenfinden könne. Kurt Tucholsky bezeichnete Trotzkis Texte als »Meisterleistung«, in denen »alles, aber auch alles« stehen würde.

Trotzki konnte seine Analysen in seinem damaligen Exil in der Türkei nur deshalb derart anschaulich entwickeln, weil ihn zahlreiche Anhänger aus ganz Deutschland umfassend informierten. Doch die oftmals langjährigen, in ihrem regionalen politischen Umfeld bestens verankerten Aktivisten waren längst nicht so einflussreich, wie man glauben mag. Das lag nicht nur an dem großen Gewicht, über das SPD und KPD mit ihren zahlreichen Massenorganisationen verfügten. Durch die etlichen Fraktionskämpfe innerhalb der beiden Arbeiterparteien hatte sich Ende der 1920er Jahre ein breites Spektrum von »Zwischenorganisationen« herausgebildet, so die KP-Opposition, der Leninbund und die SAP (Sozialistische Arbeiterpartei), unter denen sich die Trotzkisten behaupten mussten. Zwar war man sich einig in der Kritik an der Erstarrung der beiden proletarischen Massenparteien und deren Unwillen, zu wirklichen Einheitsfrontaktionen trotz wachsender faschistischer Gefahr zu gelangen. Doch dem stand eine ganze Reihe von theoretischen und taktischen Fragen gegenüber wie zum Beispiel die Einschätzung der Sowjetunion, die Bewertung der Politik der KPD und der Kommunistischen Internationale und vieles mehr.

Dennoch gelang der Vereinigten Linken/Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten), wie sie sich offiziell bei ihrer Konstituierung im März 1930 aus dem Zusammenschluss einer Reihe lokaler Gruppierungen nannte, in den Jahren bis 1933 ein beständiger, wenn auch langsamer und gelegentlich durch scharfe innerorganisatorische Auseinandersetzungen belasteter Aufstieg. Hier wirkte sich nicht zuletzt die Berufung auf Trotzki und die Veröffentlichung seiner Broschüren aus. Ihre Zeitung »Permanente Revolution« fand zunehmende Verbreitung.

Ende der 70er Jahre, als die Erforschung der linken Bewegungen vor 1933 ein breit betriebenes Feld war, unternahm Wolfgang Alles den Versuch, die Frühgeschichte des deutschen Trotzkismus zu erforschen. Zunächst eine akademische Qualifizierungsschrift, betreut vom langjährigen Nestor der KPD-Geschichtsschreibung in Westdeutschland, Hermann Weber, erschien sie dann in einer kleinen Reihe. Nun gibt es sie in einer etwas erweiterten Fassung für eine neue Generation, für die die Geschichte der Linken weitgehend neu zu entdecken, aber eben auch kritisch zu durchdenken ist.

Ausgehend von den von Trotzki und seinen Anhängern in der Sowjetunion bis zu seinem Zwangsexil 1929 entwickelten Konzeptionen einerseits und den Auseinandersetzungen in den verschiedenen Oppositionsfraktionen der KPD andererseits, zeichnet Alles zunächst die Gründung der Vereinigten Linken/Opposition nach, um sich dann den Aktivitäten bis zum Jahre 1933 in ihren verschiedensten Aspekten zu widmen – von organisatorischen Fragen über das Verhältnis zu den anderen linken Zwischengruppen bis hin zu verschiedenen lokalen Einheitsfront-Initiativen. Des Weiteren werden die Anfangsjahre des Widerstands in der Illegalität und Emigration der Internationalen Kommunisten Deutschlands verfolgt, wie diese sich inzwischen nannten. Alle Hoffnungen, den drohenden Krieg aufhalten zu können, zerschlugen sich an der Repression durch die Gestapo im »Reich« einerseits und im Exil anderseits angesichts fehlender Durchbrüche der Massenbewegungen. Der Kriegsausbruch 1939 führte zu einer neuen Fluchtbewegung über den Atlantik und zu systematischen Verfolgungen in dem von der Wehrmacht besetzten Europa. Nur noch vereinzelte Aktionen waren noch möglich. Die Kontinuität der Organisation war zerstört. Nach 1945 fanden die Neuanfänge unter den Rahmenbedingungen zunächst der alliierten Besatzung und sodann der Polarisierung im Gefolge des Kalten Krieges trotz allem Aktivismus nur ein sehr begrenztes Echo.

Die Arbeit wird ergänzt durch einen biografischen Anhang sowie einem Nachwort, in dem der Autor die Geschichte der Erarbeitung dieses Buchs skizziert. Eine »Pionierleistung« für die Geschichte einer einzigartigen kommunistischen Strömung in Deutschland, wie Hermann Weber in dem von ihm noch kurz vor seinem Tod verfassten Vorwort lobte.

Wolfgang Alles: Für Einheitsfront gegen Faschismus. Neuer ISP-Verlag, 305 S., br., 29,80 €.

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